Braunschweig. Renate Köhler engagiert sich seit 20 Jahren für den Kinderschutzbund Braunschweig.

Es gibt Anrufe, die Renate Köhler noch lange, nachdem sie den Hörer aufgelegt hat, beschäftigen. Wenn ein magersüchtiges Mädchen Selbstmordgedanken äußert beispielsweise, wenn ein Jugendlicher davon redet, dass der Teufel mit ihm spricht, oder wenn die Abiturientin verzweifelt berichtet, dass nach dem Corona-Jahr eine drei und keine eins mehr vor ihrem Notendurschnitt steht. Seit 20 Jahren hat die 81-Jährige ein offenes Ohr für Kinder und Jugendliche. Beim Kinderschutzbund Braunschweig sorgt sie mit anderen Ehrenamtlichen dafür, dass es beim Kinder- und Jugendtelefon immer ein Freizeichen gibt, dass kein Anruf ins Leere läuft.

Es ist wichtig, dass kein Anruf im Nichts endet

Eigentlich, betont sie, gehe es bei der Gemeinsam-Preis-Nominierung gar nicht um sie. Es gehe um den Kinderschutzbund Braunschweig und die Ehrenamtlichen, die sich für die unterschiedlichen Angebote engagieren . Aber dass Heide Lorenz vom Kinderschutzbund gerade sie vorgeschlagen hat, ist keineswegs der Willkür geschuldet. Sie sei nicht nur eine der langjährigsten Ehrenamtlichen. „Sie ist ein Mensch, der sich unabdingbar für andere einsetzt“, sagt Lorenz. Von ihrem wöchentlichen Dienst von zwei Stunden könne sie nur wenig abhalten. Corona? Köhler hilft weiterhin, nähte am Anfang sogar Masken für die anderen. Eis und Schnee auf den Straßen? Köhler lässt das Fahrrad stehen, schnappt sich Wanderschuhe und -stöcke und stapft 45 Minuten zum Dienst durch den Schnee. Sie übernimmt Schichten, die zeitlich eher ungünstig liegen, holt die Dienste, die sie nicht übernehmen kann wenn sie im Urlaub ist, nach.

Sie weiß, wie wichtig es ist, dass kein Anruf im Nichts endet. Wer beispielsweise von sexuellem Missbrauch betroffen ist, melde sich in der Regel erst nach einem langen Leidensweg. Wenn jemand bereit ist, darüber zu reden, müsse auch jemand zuhören. Und genau darum gehe es, sagt Köhler, ums Zuhören. Und manchmal auch darum, das Schweigen zu ertragen. „Solche Schweigeanrufe fallen mir nicht leicht, aber ich bleibe dran, motiviere, etwas mitzuteilen, frage ‘Bist du noch dran?’“ Manchmal komme nur ein gebrochenes „Ja“, aber der erste Schritt sei dann gemacht.

20 Prozent mehr Anrufe während der Corona-Pandemie

Die Anrufe kommen aus ganz Deutschland, die lokalen Verbände des Kinderschutzbunds sind bundesweit vernetzt. Der Bedarf ist da, sagt Köhler, kaum habe sie den Hörer aufgelegt, klingele es auch schon wieder. Laut Lorenz seien während der Corona-Pandemie 20 Prozent mehr Anrufe von Kindern und Jugendlichen eingegangen als zu anderen Zeiten. Beim Elterntelefon, das der Kinderschutzbund ebenfalls anbietet, sei es sogar ein Plus von 60 Prozent gewesen. Natürlich machten Kinder und Jugendliche auch mal Scherzanrufe. Und das nicht zu knapp, bestätigt auch Köhler. Da würden Pizzen bei ihr bestellt und unflätige Bemerkungen gemacht. Der Ton sei rauer geworden über die Jahre, sagt Köhler. Aber sie spiele mit und wenn ein Scherz arg abdriftet, lege sie einfach auf. Sie habe sehr gut unterscheiden gelernt, was echt und was gespielt ist. Und, so Lorenz, sie gehe entspannt mit der Situation um: „Sie nimmt sich selbst nicht so ernst.“

Im Gepäck hat Köhler nicht nur die 20 Jahre Erfahrung am Kinder- und Jugendtelefon. Sie hat eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin gemacht und bis zur Rente in dem Beruf gearbeitet, zuletzt als Kindergarten-Leiterin in Veltheim (Ohe) im Landkreis Wolfenbüttel. Die kirchliche Bindung der Einrichtungen, in denen sie arbeitete, sei ihr immer wichtig gewesen, den Kindern, die diese Bindung zu Hause nicht haben, beispielsweise zu vermitteln, dass mehr hinter Ostern steckt als der Osterhase. Dass die Liebe zum Nächsten im Mittelpunkt ihres Handelns steht, muss niemand aussprechen. Das zeigt ihr Leben. Lorenz: „Sie ist ein Herzensmensch.“

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