Braunschweig. Die Ehrenamtlichen des Bildungsprojekts SCHLAU Braunschweig wollen die Menschen sein, die sie sich früher an ihrer Seite gewünscht hätten.

Pia Schultz hätte sich in der Schulzeit einen Menschen gewünscht, der sie ermutigt hätte, selbstbewusst zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen, gegen Diskriminierung anzukämpfen, die Vielfalt in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Dieser Mensch möchte die 24-Jährige heute für andere sein. Deshalb spricht sie mit Jugendlichen offen über ihr Leben und ihre Liebe. Sie spricht auch darüber, wie schwer die schiefen Blicke auszuhalten sind, die sie begleiten, wenn sie mit ihrer Partnerin Stefanie Mevenkamp händchenhaltend durch die Stadt schlendert.

Das Ziel: Über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt informieren

Seit vier Jahren engagieren sich die beiden Frauen gemeinsam mit zwölf anderen Ehrenamtlichen im Aufklärungs- und Bildungsprojekt SCHLAU Braunschweig. Das Ziel der Initiative, die allein in Niedersachsen mehr als zehn Lokalprojekte unterhält: über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu informieren und zugleich mit Vorurteilen aufzuräumen. Für diese Vielfalt stehen sie selbst. Mit ihrer Geschichte. „Wir geben schon viel Persönliches preis“, sagt Stefanie Mevenkamp. Was sie zu sagen hat, erreicht nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz. „Es ist ein schönes Gefühl zu wissen: Wenn wir von uns erzählen, können wir etwas bewegen“, ergänzt Pia Schultz.

Wobei sie klarstellen: In den 90-minütigen Workshops in Schulen oder anderen Bildungseinrichtungen geht es nicht um Sexualaufklärung, sondern um sexuelle Orientierung. „Wir wollen zu einer queersensiblen Gesellschaft beitragen.“ Queer – der Begriff umfasst jegliche geschlechtliche Ausrichtung und Identität. Er sprengt das herkömmliche Bild von der Heterosexualität als gesellschaftlicher Norm, von der Beschränkung der Geschlechter auf Mann und Frau.

Der Verein setzt sich für mehr Vielfalt ein

In ihrer freiwilligen Bildungsarbeit – Einnahmen aus Workshops fließen direkt in Projekte – wollen die Ehrenamtlichen Verständnis wecken, Denkprozesse anregen, bestenfalls auch Haltungen ändern. Beleidigungen, Abwertungen sind schnell dahingesagt. Aber wie fühlt ein Mensch, dem das Wort „Schwuchtel“ entgegengeschleudert wird? Solche Beschimpfungen gehören für Pia Schultz und Stefanie Mevenkamp zu den Alltagserfahrungen Homosexueller. Gerade jungen Menschen können solche Vorurteile wie schier unüberwindbare Felsbrocken auf dem Weg zur Selbstakzeptanz erscheinen.

„Jugendliche orientieren sich an Rollenvorbildern“, bestätigt Stefanie Mevenkamp. Wenn sie aber keine andere Perspektive kennen als die heterosexuelle, könne es ihnen schwerfallen, ihr Anderssein anzunehmen. „Deshalb sprechen wir über unsere Lebenswirklichkeiten.“

Gesellschaft ist in Sachen Geschlechterrollen in Bewegung

Um mit den Jugendlichen über ihre Biografien, ihre eigenes Coming-out, Diskriminierungserfahrungen oder Vorurteile und Rollenbilder ins Gespräch zu kommen, nutzen die Ehrenamtlichen wissenschaftlich überprüfte pädagogische Konzepte. Wenn die Teilnehmer anonym ihre persönlichen Fragen auf einen Zettel schreiben können, wird es, wie sie berichten, in der Regel still und konzentriert. „Woher wusstest du, dass du so fühlst?“ „Wie haben deine Eltern auf deine Homosexualität reagiert?“ „Wie war das mit deinem Coming-out?“ Das sind Fragen, die Pia Schultz und Stefanie Mevenkamp immer wieder beantworten.

Dass die Gesellschaft in Sachen Geschlechterrollen in Bewegung ist, zeigt sich beiden auch in den Workshops: Gerade die Jüngeren seien – auch dank sozialer Medien – längst mit queeren Themen und Begriffen vertraut. Offenheit ist für die Ehrenamtlichen ein wichtiges Stichwort. „Am tollsten finde ich es“, sagt Mevenkamp, „mit den Jugendlichen in den Austausch zu kommen.“

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