Braunschweig. Der Umweltgutachter Ralf Utermöhlen zeiht in seinem Essay eine kritische Bilanz unseres Umgangs mit der Klimaveränderung. Teil 1

Klimadebatte, CO2-Abgaben und Nachhaltigkeit – ein seit Jahrzehnten bekanntes Thema ist spätestens in den letzten 12 Monaten im Mainstream angekommen. Langsam wird auch dem Letzten klar: Ein „weiter so“ wird die Weltgemeinschaft in eine Situation führen, die mindestens unbequem, wenn nicht gefährlich ist. Um zu verstehen, warum eine massive Veränderung der Lebensweisen – insbesondere in den Industriestaaten – erforderlich ist und bevor wir darauf zu sprechen kommen, wie eine nachhaltige, aber dennoch freudvolle und komfortable nachhaltige Gesellschaft aussehen kann, muss man die Umweltauswirkungen und -veränderungen verstehen, die durch menschliches Leben in den letzten 200 Jahren verursacht wurden.

Sichtbarste und massivste Veränderung ist der Klimawandel: Mit dem Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre von rund 300 ppm (Anteile pro Million) auf 400ppm sind die globale Durchschnittstemperatur und die globale durchschnittliche Oberflächentemperatur seit dem Jahr 1850 um rund 1°C gestiegen. Dieser Temperaturanstieg ist schneller und signifikanter als je zuvor im Zeitraum der Erdgeschichte, für welchen man Wetteränderungen nachvollziehen kann.

Mit dem Klimawandel in direktem Zusammenhang steht das bereits zu beobachtende Auftauen der Permafrostböden – zum Beispiel in Sibirien – was zu großen Methanfreisetzungen führt, die den Klimawandel weiter beschleunigen werden. Das Auftauen des Permafrostes ist damit – logisches Phänomen – gleichzeitig Ergebnis und Ursache des Klimawandels. Die nicht ausreichende Klimafolgenanpassung (Hochwasserschutz, Bautensicherung) führt bereits heute regelmäßig zu großen wirtschaftlichen Schäden an Sach- und Kulturgütern nach Überschwemmungen und Starkwetterereignissen.

Dr. Ralf Utermöhlen berät als promovierter Chemiker seit Jahren Unternehmen in Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Er ist Geschäftsführer der Firmengruppe Agimus in Braunschweig. Auch ist er Vizepräsident des IHK Braunschweig. 2015 erschien sein Buch „Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte“. Der vorliegende Text basiert auf der Utermöhlens „Keynote“ zum Unternehmerpreis der Region 38.
Dr. Ralf Utermöhlen berät als promovierter Chemiker seit Jahren Unternehmen in Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Er ist Geschäftsführer der Firmengruppe Agimus in Braunschweig. Auch ist er Vizepräsident des IHK Braunschweig. 2015 erschien sein Buch „Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte“. Der vorliegende Text basiert auf der Utermöhlens „Keynote“ zum Unternehmerpreis der Region 38. © Florian Kleinschmidt/BestPixels.de | Florian Kleinschmidt

Ebenfalls eine direkte Folge des Anstieges der atmosphärischen CO2-Konzentration die „Versauerung der Weltmeere“, deren pH-Wert bereits von etwa 8,2 auf 8,1 gesunken ist. Das klingt marginal, ist wegen der logarithmischen pH-Skala aber rund 26 Prozent saurer als vor einigen Jahrzehnten. Die Folgen betreffen zunächst kalkskelettbildende Lebewesen, deren Fähigkeit, Exo- beziehungsweise Endoskelette zu bilden, im saureren Wasser beeinträchtig wird. Weil diese Kleinlebewesen die Basis der Nahrungsketten in den Ozeanen sind, ergeben sich dramatische Konsequenzen für alle weiteren Meeresorganismen bis hin zu großen Fischen und Meeressäugern und in der Folge auch für die auf diese Tiere angewiesenen Bevölkerungsgruppen.

Alle Folgen zu der Klimaserie finden Sie hier.

Eine weitere massive Umweltveränderung von Menschenhand ist die Brandrodung oder Abholzung von Urwäldern und Regenwäldern zur Gewinnung von Platz für Palmölplantagen, Sojakulturen für Tierfutter oder Weideland sowie die Versiegelung von Flächen. In der Folge verlieren wir nicht nur die „grüne Lunge“ des Planeten für die Sauerstoffbildung, sondern beschleunigen den Klimawandel weiter, weil die CO2-Senke durch Photosynthese permanent kleiner wird.

Eine weitere schwere Bürde für die Natur ist die „Vermüllung“ ganzer Umweltkompartimente wie durch Plastik in den Weltmeeren . Allein der „Great Pacific Garbage Patch“ enthält nach wissenschaftsbasierten Hochrechnungen rund. 80.000 Tonnen aus schätzungsweise 1,8 Billionen Einzelteilen. 92 Prozent der Masse stammen von Objekten, die größer als 0,5 Zentimeter sind, während 94 Prozent der Anzahl der Objekte aus Mikroplastik bestehen, die so in Nahrungsketten gelangen. Wir nehmen das mit Meeresfrüchten und anderer Nahrung mit auf – mit nicht genau bekannten, aber sehr wahrscheinlich negativen Folgen für die Gesundheit.

Mit Klimawandel, Vermüllung und Zerstörung der Naturräume einher geht der Verlust an biologischer Vielfalt, getrieben durch Schadstoffeinträge, Intensivlandwirtschaft und Zerschneidung von Flächen. Nicht nur aus moralischen Gründen ist der Erhalt der Biodiversität geboten. Es ist, als hätten wir jeden Blick darauf verloren, dass wir Menschen die Ökosystemleistungen der Natur unersetzlich brauchen: Sauberes Wasser, Obst und Gemüse durch bestäubende Insekten, CO2-Speicherung (zum Beispiel in Wäldern, Mooren, Böden) und Sauerstoffneubildung kann die Natur nur bei einer intakten Biodiversität sicher und dauerhaft liefern. Besorgniserregend ist auch der Rückgang der Reserven endlicher Ressourcen: Phosphate, Seltene Erden, Kupfer, Sande in Bauqualität – all das wird knapp und knapper, so dass sich Konflikte abzeichnen oder bereits stattfinden, weil Staaten sich den Zugriff sichern wollen.

Diese nüchterne Aufstellung der Umweltveränderungen darf nicht den Blick verstellen auf das, was es für die Weltgemeinschaft bedeutet. Schon beim Anstieg des Meeresspiegels geht es nicht nur um ein paar Atolle, kleine Inselstaaten oder Halligen: Bei einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um rund 1,5°C sind bis zu 10 Millionen Menschen an Küstengebieten durch Überflutung betroffen – beträgt der Anstieg 2,5 bis 3°C werden das 170 Millionen Menschen sein. Bei ca. 1,5°C rechnen die Szenarien alle 10 Jahre mit schweren Dürren in Südeuropa, 1 bis 4 Milliarden Menschen leiden regelmäßig unter Trockenheit. Werden es 2,5 bis 3°C, ist mit 20 bis 30 Prozent weniger Trinkwasser im Mittelmeerraum und im südlichen Afrika zu rechnen, einem Rückgang der Ernteerträge in tropischen Regionen.

Die Folge wären schwere Dürrenin Südeuropa, zusätzlich zwischen 150 und 500 Millionen Menschen würden hungern und bei ungebremstem Ausstoß wäre auch ein Viertel der chinesischen Bevölkerung betroffen. Wer heute unter 50 Jahre alt ist, hat so noch gute Chancen, eine deutlich unbequemere Welt zu erleben: Meeresspiegelanstieg, Dürren, Starkwetterereignisse, Nettorückgänge der Erträge der wichtigsten Feldfrüchte und Klimaanpassungskosten sind Folgen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Unweigerliche Folge wäre die Steigerung der politischen Instabilitäten und der Auslöser von Migration – eine Erwärmung um 2°C könnte die Anzahl der klimabedingt armutsgefährdeten Menschen bis 2050 um hunderte Millionen steigern. Wissenschaftlich sehr wahrscheinlich ist, dass die Risiken und Auswirkungen bei 1,5 °C Klimaerwärmung erheblich geringer ausfallen als bei 2 °C. Vom theoretischen Ansatz ist durchaus klar, was geschehen müsste:

1. Die weltweiten Emissionen von aktuell 42±3 Gt CO2eq p.a. müssten laut IPCC gegenüber 2010 bis zum Jahr 2030 um 45 % reduziert werden und bis 2050 auf nahezu Null sinken, wenn es gelingen soll, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur im Bereich von 1,5-2 K abzufangen. Wir (als Weltgemeinschaft) müssen also so schnell wie möglich aufhören, fossile Energieträger aus der Erde zu holen und uns regenerativ versorgen, ohne dabei Zugang zu Energieversorgung und Komfort zu gefährden.

2. Die Welt – in jedem Land, vor allem im globalen Süden – müsste unverzüglich aufhören, Wälder abzuholzen und neue, klimaangepasste Wälder anpflanzen und aufforsten.

3. Wir müssten unsere Mobilität klimaneutral gestalten.

4. Wir müssten unser bestehendes Wissen anwenden, um Nahrungsmittel nachhaltig zu erzeugen: In einem Mix aus ökologischem, extensivem Landbau und einer intensiveren Landwirtschaft, die einem nachhaltigen Grundregelkanon folgt (ohne Glyphosat, ohne Neonikotinoide, aber mit sanftem, angepasstem Pflanzenschutz und Düngung).

5. Wir müssten den Gedanken der Kreislaufwirtschaft konsequent umsetzen durch Ökodesignrichtlinien für alle Arten von Produkten und Verboten (hier ist das böse Wort) Beziehungsweise Phase-out aller Produkte, die nicht den Kriterien der Kreislaufwirtschaft genügen.

6. Wir müssten jeden Schritt unternehmen, um Biodiversität zu erhalten: Den Flächenverbrauch eindämmen, Schadstoffeinträge radikal reduzieren, Rückzugsräume für Organismen schaffen, in denen der Mensch maximal Besucher ist, aber nicht nutzt, Vermüllung stoppen.

7. Wir müssten die Einträge von Schadstoffen auf ein Maß reduzieren, das von der Biosphäre auch verarbeitet werden kann und sogenannte persistente, also schwerst abbaubare Schadstoffe komplett untersagen.

8. Wir müssten schnell die Prinzipien der Sustainable Finance umsetzen, indem wir die Kapitalströme für nicht nachhaltige Aktivitäten trockenlegen und Geld mobilisieren für alles, was nachhaltig erforderlich ist.

Wenn das so einfach ist, warum passiert dann nicht genug? Teile der Politik scheinen angesichts der Jahrzehntelangen Bekanntheit der Umweltprobleme seltsam orientierungslos. Statt mutig die erforderlichen Veränderungen einzuleiten, verzettelt sich die Politik im Kleinklein von Diskussionen einzelner Grenzwerte in deutschen Innenstädten, Autos mit drei Insassen auf der Busspur und ein Verbot von Kunststoffbeuteln sowie 120-seitigen Leitfäden über die Trennung von Gewerbeabfällen oder Energieaudits in Unternehmen. Der Grund ist sehr einfach: Wir – die Menschen – wollen zwar, dass uns Politiker und Unternehmen erzählen, wie ernst sie den Klimawandel nehmen und dass sie ihn bekämpfen, aber wir wollen nicht dafür bezahlen und vor allem, wir wollen nichts an unserem eigenen Leben ändern. Das geht aber nun mal nicht – „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ hat noch nie funktioniert und wird auch weiter nicht funktionieren.

Dazu kommt: Trotz verbalem und technischem Verständnis der oben genannten Axiome scheinen viele Menschen keine Vorstellung zu haben, wie eine nachhaltige und dennoch lebenswerte und komfortable Gesellschaft aussehen kann. Ich bemerke, dass viele Bürger mit „Nachhaltigkeit“ und „Klimaschutz“ fremdeln, weil sie glauben, man will ihnen gutes Essen und Flugreisen verbieten und man landet in einer spaßfreien Gesellschaft.

Daher halte ich es für einen wichtigen Impuls, zu erklären, wie lebenswert eine nachhaltige, moderne Industriegesellschaft sein kann. Dadurch, dass Menschen – vor allem junge Menschen - spüren, dass ein „gutes Leben“ zwar in jedem Fall eine gesunde wirtschaftliche Basis braucht, aber Ressourcenverschwendung, Überfluss, Ausbeutung Dritter und überbordender Konsum nicht dazu gehören, ist es eine gewaltige Chance, das auch attraktiv zu erklären.

In meiner kleinen Serie möchte ich wenigstens holzschnittartig aufzeigen, wie eine nachhaltige Gesellschaft aussehen kann. Es geht um nichts weniger als eine massive Transformation der Werte –und Wertschöpfungsarchitektur unserer Gesellschaft – aber keinesfalls um den Verlust von Qualität und Freude.

Beginnen wir mit dem, was wir alle tun müssen und zumindest in reichen Ländern auch genießen: Ernährung. Um das Jahr 1900 gaben die Menschen die Hälfte ihres frei verfügbaren Einkommens aus, um sich zu ernähren. Wir haben uns nun aber daran gewöhnt, dass wir nur 14 Prozent unseres Geldes für Nahrungsmittel – sogar schon inklusive Tabakerzeugnisse – spendieren müssen, und so mehr Geld für „Schabernack“ haben.

In einer nachhaltigen Gesellschaft wären Nahrungsmittel wieder teurer, insbesondere tierische Produkte. Studien ergeben, dass tierische Produkte das dreifache und Milchprodukte das Doppelte des heutigen Preises kosten müssten um, die ökologischen Folgen in den Preisen abzubilden und das Ernährungsverhalten umzulenken.

Wie sähe das also aus? Wir müssten uns daran gewöhnen, uns grundsätzlich pflanzenbasierter, regionaler und saisonaler zu ernähren. Obst, Gemüse, leckere Hülsenfrüchte und Rohkost aus heimischen Gefilden wären wieder viel öfter auf dem Tisch. Manche exotische Produkte – nur zum Beispiel nenne ich mal Avocado und Mango – gäbe es schlicht und einfach nicht das ganze Jahr über zu kaufen und wenn, dann nur zu deutlich höheren Preisen, weil die Herstellung die Umwelt sehr belastet. Frisches Obst und Gemüse wäre übrigens ganz anders verpackt als heute : Ein unbedenklicher, essbarer Überzug für jedes Obst und Gemüse ist bereits erfunden, mit dem Überzug bleiben Früchte vier- bis fünfmal so lange frisch, und man kann die Hülle nicht schmecken, sehen oder fühlen.

Auf Fleisch und Fisch muss niemand vollständig verzichten, aber es hätte – naja vielleicht nicht gerade den Status von Kaviar, aber doch den eines Genussproduktes, welches man sich nur ab und zu mal gönnt. Als Ziellinie könnte ich mir einen Pro-Kopf-Fleischverzehr in Größenordnung eines Viertels bis Drittels der heutigen Menge vorstellen. Die tierischen Produkte müssten zumindest fairer erzeugt sein.

Dass Massentierhaltung mit dem bloßen Ziel der Erzeugung von möglichst viel preiswertem Fisch und Fleisch wegen des Flächenverbrauchs und der Vernichtung von Kalorien (Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien ist etwa 2:1 bei Geflügel, 3:1 bei Schweinen, Zuchtfisch, Milcherzeugnissen und Eiern und 7:1 bei Rindern) nicht nur Klimaprobleme induziert, sondern schlicht und einfach eine Unanständigkeit ohnegleichen ist, muss sich als Gedanke durchsetzen.

Große Hoffnungen machen mir Entwicklungen für nachhaltige und weniger umweltbelastende, proteinhaltige Kost wie wohlschmeckende Burger-Patties aus Hülsenfrüchten oder eine Entwicklung, die auf Deutsch etwas sperrig IVF – In vitro Fleisch – heißt. Die Amerikaner nennen das viel lustvoller Clean Meat: Zellkulturen werden Tieren schonend entnommen und wachsen in einer Nährlösung mit Mineralien und Aminosäuren zu echtem Fleisch. Energie – im Idealfall natürlich aus regenerativen Quellen – benötigt das natürlich auch, aber die unglaublichen Flächenverbräuche, Antibiotika und Methanemissionen für die Nutztierhaltung werden nicht benötigt und die Tiere müssen weder gequält noch getötet werden.

Es ist doch verlogen, wenn wir auf der einen Seite Länder wie Brasilien mit erhobenem Zeigefinger zum Erhalt intakter Regenwälder mahnen, andererseits aber das Soja und die Flächennutzung für das Fleisch unseres billigen Konsums haben wollen. Solches Clean Meat wäre mit Sicherheit immer teurer als heutiges Fleisch, aber würde nachhaltige Erzeugung von Fleisch als das, was es sein sollte ermöglichen: Ein Genuss.

Der zweite Teil behandelt das Thema Kleidung und Energieverbrauch.