Umweltgutachter Ralf Utermöhlen zieht in seinem Essay eine kritische Bilanz unseres Umgangs mit der Klimaveränderung. Letzter Teil der Serie.

Dr. Ralf Utermöhlen berät seit langem Unternehmen in Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Firmengruppe Agimus in Braunschweig. Dieser Text ist der dritte Teil einer Serie zum Klimaschutz, die auf Utermöhlens „Keynote“ zur Verleihung des Unternehmerpreises der Region 38 basiert.

Durch die Energiewende wird unser Land nicht im Chaos versinken, und dauerhaft werden ohne Energiewende die Energiepreise eher noch höher. Ein Irrweg ist eine zu betriebswirtschaftliche Fokussierung: Natürlich kosten steigende Energiepreise die Bürger und Unternehmen Geld. Fossile Energieträger werden aber zu fast 100 Prozent importiert, während eine Erzeugung regenerativer Energieformen in Deutschland oder Europa bedeutet, dass die Gewinne aus diesen Technologien hier anfallen und für weitere Investitionen oder Binnenkonsum zur Verfügung stehen.

Volkswirtschaftlich bedeutet die Energiewende eine Reduzierung ökologischer Folgekostenund eine Reduzierung des Abflusses von Vermögen, das in Europa erwirtschaftet wurde und damit eine Reduzierung der Kosten von Bürgern und Unternehmen an anderer Stelle – dieses Argument wird viel zu wenig angebracht. Unternehmen und Konsumenten werden sich in der Übergangsphase dann eine völlig neue Preisarchitektur des Energiemarktes gewöhnen müssen. Strom wird relativ zu den anderen Energieträgern preiswerter, Gas, Heizöl und mineralölbasierte Treibstoffe massiv teurer. Erst das macht es lohnend, auch Häuser im Bestand zu sanieren und mit Wärmepumpen zu beheizen. Eine nachhaltige Gesellschaft wird in „Plusenergiehäusern“ wohnen, die Energiespeicher enthalten und zumindest bilanziell eher mehr Energie erzeugen als die Bewohner benötigen und aus dem Netz nur zwecks Ausgleichs der Schwankungen zwischen Erzeugung und Bedarf versorgt werden.

Alle Folgen zu der Klimaserie finden Sie hier.

Nach dem so schönen wie wahren humboldtschen Satz, dass die schlimmste Weltanschauung diejenige der Menschen sei, die die Welt nie angeschaut haben, darf eine nachhaltige Gesellschaft keinesfalls bedeuten, dass wir nicht mehr in ferne Länder reisen können und sich unsere Mobilität wieder auf den Aktions- und Erfahrungsradius reduziert, der vor dem Zeitalter der Aufklärung üblich war. Also liegt auf der Hand: Wir müssen kluge Technik nutzen, um unsere Mobilität klimaneutral und flächenschonend zu gestalten.

Wie kann das aussehen? Die urbane und nahräumige Individualmobilität wird eindeutig (batterie)elektrisch sein. Bei der Einführung von Elektromobilität tun manche Auguren in ihrer Argumentation häufig so, als würden wir heute Abend alle unsere konventionellen Autos mit Verbrennungsmotoren in die Ecke stellen und wollten ab morgen früh sämtlich elektrisch fahren. Das ist natürlich Unsinn, die Mobilitätswende ist eine parallel zur Energiewende verlaufende Transformation über mindestens zwei Jahrzehnte, und natürlich wird es möglich sein, die elektrischen Anschluss-Leistungen, die benötigt werden, in die Quartiere und auf die Parkplätze zu bringen, um Fahrzeuge zu laden.

Warum sollte das nicht gehen? Wir haben innerhalb von eineinhalb Jahrhunderten die Welt elektrifiziert und nun geht es halt weiter. Im „Heavy-duty-Bereich“ wird auch Wasserstoff für Elektro-Lkw mit Brennstoffzellen eine Rolle spielen. Gewöhnen müssen wird sich jeder Einzelne an eine multimodale Mobilität – Ziele im Umkreis von 200 bis 300 Kilometern werden mit elektrisch betriebenen Pkw gut erreichbar sein, für längere Strecken wird es multimodal: Also mit dem Elektroauto oder E-Bike zum Bahnhof, mit dem Zug nach München und von dort erneut mit einem Leihfahrrad, Elektrotaxi oder Mobilitätsservice bis zum endgültigen Zielort.

Auch für ländliche Räume werden Mobilitätsinfrastrukturen solcher Art erforderlich werden. Das mag gefallen oder nicht. Und insbesondere diejenigen, die heute noch regelmäßig sagen „ach, im eigenen Auto fühle ich mich am wohlsten und bin flexibel“, werden umdenken. In einer nachhaltigen Gesellschaft sind eben Treibstoffe so teuer, dass die meisten sich das nicht mehr werden leisten mögen. Fliegen ist die schädlichste der heute üblichen Fortbewegungsarten – macht aber nur 2 Prozent der Treibhausgas -Emissionen aus. Durch verschiedene Effekte (NOx-Umwandlung zu Ozon, Emission von Aerosolen) haben diese Emissionen aber einen stärkeren Effekt als CO2 in Bodennähe, daher beträgt der Anteil am Treibhauseffekt vielleicht 6 bis 7 Prozent.

Nun reden alle über Flygskam (Flugscham), Greta Thunberg schippert mit dem Segelboot zum Klimagipfel , und es bleibt in den Köpfen: „Nachhaltigkeit heißt, wir dürfen nicht mehr fliegen.“ Was für ein Quatsch! Wir können natürlich nicht aufhören, internationale Beziehungen zu pflegen – fliegen sollte daher auch in einer nachhaltigen Gesellschaft möglich sein, aber eben nur zum Erreichen von Zielen, für die es bei einer vernünftigen Abwägung zwischen Zeit und Ziel nicht anders geht. Was in Zukunft nicht sein darf, ist dass es für eine Reise nach Paris aktuell am günstigsten ist, zu fliegen – das muss und wird sich ändern, wenn die tatsächlichen ökologischen Folgekosten im Flugpreis inkludiert werden. Dann braucht man netto von Tür zu Tür nach Paris halt wieder acht Stunden und nicht fünf, das ist erträglich. Der Kegel­ausflug oder fünftägige Spaßtrip geht wieder ins Sauerland oder zum Bodensee und nicht nach Mallorca. Letzteres mag einige Jahre lang ein großer Spaß gewesen sein, wird bei nachhaltiger Preisgestaltung aber einfach im Preis so sein, dass man es bevorzugt bleiben lässt. Absolut erforderlich ist es, klimaneutrales Fliegen zu erfinden – beziehungsweise wettbewerbsfähig zu kommerzialisieren. Bereits heute können sich Flugpassagiere als teuerste Kompensationslösung bei manchen Airlines für sogenanntes „Sustainable Aviation Fuel“ aus nachwachsenden Rohstoffen und Fettabfällen entscheiden. Im Idealfall wird der Flugtreibstoff der Zukunft aus Kohlendioxid mithilfe regenerativer Energie über Methanisierung und weitere chemische Prozesse gewonnen oder auf Wasserstoff basieren. Fliegen kostet dann relativ zur sonstigen Kaufkraft vielleicht wieder so viel wie in den siebziger Jahren – so ist das dann eben.

Ganz erhebliche Veränderungen wird es auch auf dem Finanzsektor geben. Ohne, dass es in der Öffentlichkeit groß wahrgenommen würde, wird aktuell auf internationaler Ebene bereits die Struktur vorbereitet, die Geldströme für nicht-nachhaltige Investitionen trocken zu legen und Investitionen umzulenken in alles, was den Regeln starker Nachhaltigkeit entspricht. Die sogenannte Taxonomieverordnung stellt Kriterien auf, die wirtschaftliche Tätigkeiten erfüllen müssen, um ökologisch nachhaltig zu sein. Damit schafft die EU eine Möglichkeit Investitionen nach grünen Maßstäben zu bewerten. Jede europäische oder nationale Maßnahme, die auf ökologisch nachhaltige Finanzaktivitäten anwendbar ist, muss sich auf diese Taxonomie stützen.

Sämtliche Finanzmarktteilnehmer, die ihre Finanzprodukte als „ökologisch nachhaltig“ bezeichnen oder mit ähnlichen Merkmalen versehen, müssen künftig Informationen darüber bereitstellen, wie und in welchem Umfang die Kriterien der Verordnung zur Bestimmung der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition genutzt werden. Für den Verbraucher, der Geld anlegen möchte, bedeutet dies, dass er von seinem Berater auf die Nachhaltigkeit des gewählten Anlagevehikels aufmerksam gemacht werden muss. Ein letzter Satz sei dem oft gehörten Theorem „Deutschland kann allein nichts tun“ gewidmet. Alle Staaten müssen Ihre Emissionen reduzieren, unsere sind doppelt so hoch wie der Durchschnitt der Weltbevölkerung, also sind wir mit dran. Außerdem muss die Weltgemeinschaft begreifen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Wenn eine führende Industrienation wie Deutschland nicht vormacht, wie eine nachhaltige, auf Kreislaufwirtschaft und regenerativer Energie basierende und dennoch lebenswerte Gesellschaft aussieht, dann kann man auch keine glaubwürdige Überzeugungsarbeit und Klimadiplomatie leisten. Es wird schwer genug, aber mit den nötigen Innovationen machen wir Deutschland eher zukunftssicherer als schwächer. Und aufzugeben ist im Interesse künftiger Generationen keine Option.

Ich hoffe, ich konnte in dieser Serie darlegen: Eine nachhaltige Zukunft ist nicht dunkler, kälter oder unbequemer. Ungemütlicher wird es aber, wenn wir uns um Nachhaltigkeit nicht kümmern. Zugegebenermaßen wird es anders: Wir werden anders heizen, anders reisen, uns anders ernähren müssen. Vieles, woran wir uns gewöhnt haben, wird nicht mehr möglich oder erschwinglich sein. Aber das Glück auf Erden sollte ohnehin nicht aus Konsum bestehen. Unternehmen tragen beim Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung unser Gesellschaft nicht nur eine Mitverantwortung, sie haben sogar neben den Konsumenten die tragende Rolle: Nur wenn Unternehmen innovative nachhaltige Produkte und Dienstleistungen entwickeln und mit hoher Verfügbarkeit und Glaubwürdigkeit auf den Markt bringen, kann eine nachhaltige Gesellschaft gelingen. Ich höre viele Leser sagen: „Ich lasse mir doch nicht meinen Lebensstil vorschreiben!“ Nun, zum einen haben wir das immer gehabt: Unser Lebensstil wurde durch alle Zeiten von Gesetzen, Religion oder Institutionen beeinflusst oder diktiert. Zum anderen sind Regeln notwendig, weil wir uns ohne solche Regeln Freiheiten genommen haben, die zukunftsschädlich sind und zum echten Freiheitsbegriff auch nicht gehören.