Berlin. Wenn es keinen besseren Klimaschutz gibt, werden Korallenriffe verschwinden und Grönland eisfrei sein. Das sagt ein neuer Klimabericht.

Die Menschheit kann das Ausmaß der Erderwärmung nur noch dann begrenzen, wenn weltweit schnell umfassende Maßnahmen zum Klimaschutz eingeleitet werden, die nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfassen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC, der in der Nacht zu Montag veröffentlicht wurde.

Hunderte Klimaforscher warnen darin vor den verheerenden Folgen einer Welt, die sich um mehr als 1,5 Grad erwärmt. Ökosysteme wie Korallenriffe würden weltweit zerstört, das grönländische Eis und Teile des antarktischen Eises unwiederbringlich verloren gehen. Laut aktuellem Stand der Wissenschaft ist die Erde derzeit bereits rund ein Grad wärmer als vor der Industrialisierung.

Die faszinierende Welt der Korallenriffe

Kunterbunt und faszinierend-schön: Korallenriffe. Die größten Bauwerke der Erde bestehen aus Kalk und sind nicht vom Menschen errichtet. Hier lebt ein Viertel aller bekannten Meerestierarten. Die dritte Folge „Faszination Korallenriff“ der ARD-Naturfilmserie „Blauer Planet“ nimmt Zuschauer am 5. März um 20.15 Uhr mit in die Tiefen der Meere. Wir zeigen eine Auswahl der beeindruckenden Aufnahmen.
Kunterbunt und faszinierend-schön: Korallenriffe. Die größten Bauwerke der Erde bestehen aus Kalk und sind nicht vom Menschen errichtet. Hier lebt ein Viertel aller bekannten Meerestierarten. Die dritte Folge „Faszination Korallenriff“ der ARD-Naturfilmserie „Blauer Planet“ nimmt Zuschauer am 5. März um 20.15 Uhr mit in die Tiefen der Meere. Wir zeigen eine Auswahl der beeindruckenden Aufnahmen. © WDR/BBC NHU/Jason Isley
Korallenriff-Bewohner: Die Suppenschildkröte. Sie ist die einzige Meeresschildkrötenart, die auch im Erwachsenenalter reiner Pflanzenfresser bleibt.
Korallenriff-Bewohner: Die Suppenschildkröte. Sie ist die einzige Meeresschildkrötenart, die auch im Erwachsenenalter reiner Pflanzenfresser bleibt. © WDR/BBC NHU/Jason Isley
Zur Eiablage brauchen Anemonenfische festen Untergrund. Kokosnussschalen zum Beispiel, die sie mit großem Kraftaufwand in die Nähe ihrer Gastanemone bugsieren.
Zur Eiablage brauchen Anemonenfische festen Untergrund. Kokosnussschalen zum Beispiel, die sie mit großem Kraftaufwand in die Nähe ihrer Gastanemone bugsieren. © WDR/BBC NHU/Jason Isley
Auch Tintenfische sind am Korallenriff zu finden: Sie gelten als hochintelligent – können komplexe Probleme lösen und sich die Lösungen sogar merken. Beste Voraussetzungen für ein Leben im Riff, das große Flexibilität und die unterschiedlichsten Strategien fordert.
Auch Tintenfische sind am Korallenriff zu finden: Sie gelten als hochintelligent – können komplexe Probleme lösen und sich die Lösungen sogar merken. Beste Voraussetzungen für ein Leben im Riff, das große Flexibilität und die unterschiedlichsten Strategien fordert. © WDR/BBC NHU/Alex Tattersall
Der Breitarm-Sepia-Tintenfisch ist auf Krabben spezialisiert. In schnellem Rhythmus lässt er Muster über seinen Körper flackern. Das scheint Krabben in Trance zu versetzen, so dass sie leichter zu fangen sind. Guter Trick!
Der Breitarm-Sepia-Tintenfisch ist auf Krabben spezialisiert. In schnellem Rhythmus lässt er Muster über seinen Körper flackern. Das scheint Krabben in Trance zu versetzen, so dass sie leichter zu fangen sind. Guter Trick! © WDR/BBC NHU/Justin Hofman
Jedes Jahr machen sich Riffhaie auf den Weg zum großen Fressen. Auf dem Speiseplan: Laichgrund von Zackenbarschen in Französisch-Polynesien.
Jedes Jahr machen sich Riffhaie auf den Weg zum großen Fressen. Auf dem Speiseplan: Laichgrund von Zackenbarschen in Französisch-Polynesien. © WDR/BBC NHU/Jonathan Smith
Riffhaie auf Patrouille am Abhang eines Korallenriffs. Sie warten auf die Ankunft ihrer Beute - tausende von Zackenbarschen, die hier ihre Eier ablegen wollen.
Riffhaie auf Patrouille am Abhang eines Korallenriffs. Sie warten auf die Ankunft ihrer Beute - tausende von Zackenbarschen, die hier ihre Eier ablegen wollen. © WDR/BBC NHU/Dan Beecham
Nein, das Foto wurde nicht bewusst entsättigt: Steigen die durchschnittlichen Wassertemperaturen nur einige Wochen um ein bis zwei Grad Celsius an, verlieren Korallen ihre Farbe und sterben ab. Dieses Phänomen ist unter dem Namen Korallenbleiche bekannt.
Nein, das Foto wurde nicht bewusst entsättigt: Steigen die durchschnittlichen Wassertemperaturen nur einige Wochen um ein bis zwei Grad Celsius an, verlieren Korallen ihre Farbe und sterben ab. Dieses Phänomen ist unter dem Namen Korallenbleiche bekannt. © WDR/BBC NHU/Alex Mustard
Korallenpolypen leben mit Algen als „Untermieter“ zusammen, die sie mit Nahrung versorgen. Steigen die durchschnittlichen Wassertemperaturen nur geringfügig an, stoßen die Polypen in einer Panikreaktion ihre Untermieter aus, sie verlieren ihre Farbe und Hauptnahrungsquelle – und sterben ab.
Korallenpolypen leben mit Algen als „Untermieter“ zusammen, die sie mit Nahrung versorgen. Steigen die durchschnittlichen Wassertemperaturen nur geringfügig an, stoßen die Polypen in einer Panikreaktion ihre Untermieter aus, sie verlieren ihre Farbe und Hauptnahrungsquelle – und sterben ab. © WDR/BBC NHU/Christophe Bail
Interessant: Manche Zackenbarsche gehen gemeinsam mit Kraken auf die Jagd. Sie zeigen ihren Jagdpartnern, in welcher Korallenspalte sich Fische versteckt haben. Eine Zusammenarbeit, für die man Köpfchen braucht.
Interessant: Manche Zackenbarsche gehen gemeinsam mit Kraken auf die Jagd. Sie zeigen ihren Jagdpartnern, in welcher Korallenspalte sich Fische versteckt haben. Eine Zusammenarbeit, für die man Köpfchen braucht. © WDR/BBC NHU/Alex Vail
Auch dieses Kerlchen hat es in sich: Der Riesenborstenwurm oder Bobbit ist ein fleischfressender Verwandter der Regenwürmer. Vergraben im Meeresgrund, erspürt er mit antennenartigen Anhängseln seine Opfer, zieht sie schlagartig in den Sand und tötet sie mit Gift.
Auch dieses Kerlchen hat es in sich: Der Riesenborstenwurm oder Bobbit ist ein fleischfressender Verwandter der Regenwürmer. Vergraben im Meeresgrund, erspürt er mit antennenartigen Anhängseln seine Opfer, zieht sie schlagartig in den Sand und tötet sie mit Gift. © WDR/BBC NHU/Jason Isley
Bis zu 40 Zentimeter lang, jagt der Rotfeuerfisch kleine Fische. Sein Trick: langsam heranschweben und dann die Beute blitzschnell ins Maul saugen. Guten Appetit.
Bis zu 40 Zentimeter lang, jagt der Rotfeuerfisch kleine Fische. Sein Trick: langsam heranschweben und dann die Beute blitzschnell ins Maul saugen. Guten Appetit. © WDR/BBC NHU/Tony Wu
Auf den Bahamas in der Karibik sorgt das einlaufende Wasser der Flut für ein merkwürdiges Phänomen: Ein immer stärker werdender Strudel entsteht über einem Höhlensystem. Dieser „Whirlpool“ bringt mikroskopisch kleine Nahrung aus dem Ozean ins Riff.
Auf den Bahamas in der Karibik sorgt das einlaufende Wasser der Flut für ein merkwürdiges Phänomen: Ein immer stärker werdender Strudel entsteht über einem Höhlensystem. Dieser „Whirlpool“ bringt mikroskopisch kleine Nahrung aus dem Ozean ins Riff. © WDR/BBC NHU/Brian Kakuk
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Für den IPCC-Bericht hatte ein Kernteam von 91 Autoren und 250 weiteren Forschern 6000 Publikationen der vergangenen Jahre analysiert und bewertet.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass es weitreichende Vorteile für Millionen Menschen und eine Vielzahl von Ökosystemen bringen würde, wenn der globale Temperaturanstieg auf 1,5 Grad statt auf zwei Grad begrenzt werden könnte. Darauf hatte sich auch die Staatengemeinschaft 2015 im Weltklimavertrag von Paris verständigt.

Staatengemeinschaft ist weit von Klimazielen entfernt

Nun allerdings macht der Report klar, wie ehrgeizig dieses Ziel ist: Im Vergleich zu 2010 müsse der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) laut Experten weltweit bis 2030 um 45 Prozent reduziert werden, um dann im Jahr 2050 auf Null zu sinken.

Davon ist die Staatengemeinschaft derzeit weit entfernt. Zu erreichen seien die Ziele nur mit sofortigen und weitreichenden Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft, Energie, Industrie, Gebäuden und Verkehr sowie in Städten, heißt es in dem Report.

Die Klimaforscher warnen eindringlich vor den Folgen für das Klimasystem der Erde, würde die globale Erwärmung die 1,5-Grad-Marke überschreiten. Bereits bei einer Erwärmung um 1,5 Grad würden 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe weltweit absterben. Bei zwei Grad jedoch seien „nahezu alle“ Riffe verloren. Die Wahrscheinlichkeit einer eisfreien Arktis im Sommer sei bei einem Anstieg um 1,5 Grad einmal in 100 Jahren – bei zwei Grad einmal pro Jahrzehnt.

Jedes Zehntelgrad Erwärmung, insbesondere nach dem Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle, sei bedeutsam, weil dies das „Risiko langanhaltender oder irreversiblen Veränderungen wie dem Verlust einiger Ökosysteme“ erhöhe, sagte der deutsche Klimaforscher Hans-Otto Pörtner vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Pörtner war einer der Leitautoren bei der Erstellung des Berichts.

Bei der Erstellung des Berichts hatten die Wissenschaftler seit März vergangenen Jahres Tausende Anmerkungen diskutiert. Aus dem 200 Seiten umfassenden Endbericht wurde nun eine über 30 Seiten lange Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger gefertigt. Um deren Text wurde bis zuletzt zwischen Vertretern von 195 Staaten und den Wissenschaftlern gerungen. Die Ergebnisse sollen den Delegationen auf der kommenden UN-Klimakonferenz in Katowice Anfang Dezember in Polen als Verhandlungsgrundlage dienen.

Klimaforscher: Nur ein Jahrzehnt Zeit, um Wende zu schaffen

Angesichts des neuen IPCC-Berichts appellierten Forscher und Nichtregierungsorganisationen weltweit an politische Entscheidungsträger, einschneidende Maßnahmen zum Klimaschutz zu verabschieden. „Wie auch immer wir die Daten hin und her wenden, wir haben nur ein Jahrzehnt, um die CO2-Wende zu schaffen und die Menschen noch vor den größten Risiken des Klimawandels zu schützen“, sagte der designierte Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström.

Der Bericht des Weltklimarates müsse ein Weckruf sein, sagte der Leiter Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, Michael Schäfer. „Um die Erderhitzung zu stoppen, ist jetzt entschiedenes politisches Handeln gefordert.“ Das gelte insbesondere für die Bundesregierung. Im letzten Jahr habe sich Deutschland auf erschreckende Weise von der internationalen klimapolitischen Debatte abgekoppelt.

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    Auch der Klimaforscher Prof. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik im Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, mahnte tiefe Einschnitte an: „Noch wäre es aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht zu spät, um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Der Bericht sagt aber sinngemäß, dass wir für den Klimaschutz völlig neue Wege finden müssen. Das heißt übersetzt, dass es bisher de facto gar keinen Klimaschutz gegeben hat. Das kann man auch daran ablesen: Seit sich die Weltpolitik dem Thema Klima widmet – seit Beginn der 1990-iger Jahre – sind die weltweiten CO2-Emissionen förmlich explodiert. Sie sind um über 60 Prozent gestiegen“, so Latif.

    „Wir sind selbst bei optimistischer Bewertung der gegenwärtigen politischen Maßnahmen auf dem Weg in eine ‘Über-3°C-Welt‘. Wenn wir es nicht schaffen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, würde unsere Welt komplett aus dem Ruder laufen. Die Folgen wären nicht nur klimatischer Natur. Es drohten unter anderem Flüchtlingsströme bisher ungekannten Ausmaßes und eine extreme Verschlechterung der Sicherheitslage auf der Erde.“

    Auch Bundesregierung gerät durch Bericht unter Druck

    Der Sonderbericht des Weltklimarats dürfte die Debatte um einen Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung befeuern und den Handlungsdruck für die Bundesregierung erhöhen. Ohne ein schnelles Abschalten besonders „schmutziger“ Kohlekraftwerke ist der im IPCC-Report geforderte rasche Sinkflug bei den Emissionen nach Ansicht vieler Experten nicht zu schaffen. Deutschland galt mit seiner Energiewende innerhalb der EU lange als Vorreiter, musste kürzlich aber eingestehen, dass die Klimaziele für das Jahr 2020 deutlich verfehlt würden. Auch der Bundesrechnungshof hatte vor wenigen Tagen heftige Kritik geübt. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Jahren viel Geld ausgegeben, bei der Reduktion von Treibhausgasen jedoch kaum etwas erreicht.

    „So lange Deutschland an der Kohle festhält, wird es keine internationale Koalition für einen Kohleausstieg geben“, sagte der Potsdamer Klimaökonom Otmar Edenhofer in einem Interview in der „Zeit“. Gerechnet wird damit, dass die EU-Mitgliedsländer nach dem Erscheinen des Berichts erstmals gemeinsam über ein Null-Emissions-Szenario diskutieren werden. Erwartet wird zudem, dass die EU-Kommission dazu eine Strategie vorschlagen wird. In Schweden und Großbritannien wird dieses Szenario bereits seit Jahren diskutiert, es ist sogar bereits Bestandteil eines nationalen Klimaschutzgesetzes.

    Auch in der Wissenschaft dürfte das Erscheinen des IPCC-Berichts Kontroversen auslösen. Denn in dem Report heißt es, dass die Staatengemeinschaft schon bald auf menschengemachte Eingriffe ins Klimasystem angewiesen sei, sollte beim Ausstoß klimaschädlicher Gase keine Umkehr gelingen. Unter dem Begriff „Geoengineering“ fallen Maßnahmen, um das Treibhausgas CO2 wieder aus der Atmosphäre zu ziehen und unterirdisch zu speichern. Dazu zählen etwa die Düngung der Meere mit Eisen oder Phosphor, um der Versauerung entgegenzuwirken. Künstliche Wolken sollen helfen, die Erde zu kühlen, in dem die Rückstrahlfähigkeit der Erde erhöht wird. Kritiker mahnen, dass weder die technische Machbarkeit, noch die Folgen für das Erdsystem gut verstanden seien.

    „Das wäre der pure Wahnsinn!“, sagte der Ozeanexperte Mojib Latif. Auch Prof. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, warnte: „In der Tat erscheint es extrem gefährlich, heutiges Nichtstun mit dem Verweis auf eine zukünftig möglicherweise einmal verfügbare Technologie – sozusagen als eine Art zukünftige ‚Wunderwaffe’ – zu legitimieren.“