Braunschweig. Am Wochenende strömten pro Stunde bis zu 875 Liter in das marode Atommüll-Lage im Kreis Wolfenbüttel. Das Wasser ist die größte Gefahrenquelle.

Oh je. Und unser Grundwasser?

Das fragt Regina Schliemann auf unseren Facebookseiten.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle.

In das Atommüll-Lager Asse bei Wolfenbüttel ist am vergangenen Wochenende so viel Salzwasser eingelaufen wie nie zuvor. In der Nacht zum Sonntag hätten die Zuflüsse ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, teilte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) am Montag mit. An der Hauptauffangstelle für Salzwasser in 658 Metern Tiefe strömten bis zu 875 Liter pro Stunde ein: Rekord. Hochgerechnet auf den Tag wären dies bei anhaltender Strömung bis zu 21 Kubikmeter gewesen.

Wassereintritt in die Asse Stand Juni 2019-01.jpg

Tatsächlich waren es 13,6 Kubikmeter. Im vergangenen Sommer waren es im Schnitt 11,6 Liter pro Tag und somit zwei Kubikmeter weniger. Nimmt man sämtliche Ebenen, drangen am Sonntag in die Asse 14,8 Kubikmeter ein.

Bereits im vergangenen Oktober und auch im Januar hatte sich der Wasserzufluss deutlich erhöht, und die BGE sah sich gezwungen, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) und die Öffentlichkeit zu informieren.

Das aus unterirdischen Gebirgsschichten zulaufende Wasser gilt als größte Gefahrenquelle für den in der Asse lagernden Atommüll. Die Nachbarschächte Asse I und Asse III waren schon früher voll Wasser gelaufen und mussten aufgegeben werden.

Warum immer mehr in die Asse einfließt, das weiß die BGE nicht genau. Sprecherin Dagmar Dehmer sagte: „Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zuflussentwicklung des Salzwassers in der Schachtanlage Asse II nicht kalkulierbar ist. Das gilt weiterhin.“

Es gibt zumindest eine Vermutung: Möglicherweise gibt es in der Asse gerade eine Phase von Bewegungen in der Südflanke. Das alte Bergwerk driftet nur um wenige Millimeter pro Jahr zur Seite. Das reicht aber schon aus: Gebirgsspalten öffnen sich, Wasser dringt ein.

Laut BGE ist die Zuflussmenge in der Asse „weiterhin beherrschbar“. Auch auf die Frage unserer Leserin beruhigte Dehmer: „Das Grundwasser ist getrennt von den Zuflüssen ins Bergwerk, es fließt viel weiter oben. Die Entwicklung in der Asse hat aktuell keine Auswirkungen auf das Grundwasser, und wird auch für lange Zeit keine Verbindung zum Grundwasser haben.“

Und doch geben sich Initiativen nicht mit den Ausführungen der BGE zufrieden. Sie fordern mehr Tempo bei der Räumung der 126.000 Fässer. Andreas Riekeberg vom Asse II–Koordinationskreis, einem Zusammenschluss von Bürgerinitiativen, sagte: „Die Steigerung der Laugenzuflüsse zeigt, wie dringlich das Problem der Rückholung ist.“ Riekeberg begrüßte die Offenheit der BGE. „Es ist erfreulich, dass offensichtlich nichts vertuscht wird“, sagte er.

Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ erhöht den Druck jedoch zusätzlich. Er forderte „mehr Geld und mehr Personal“ für die Asse. Nur so sei zu bewerkstelligen, dass der Müll schneller als bisher geplant geborgen werde. Bisher gilt das Jahr 2033 als Startpunkt für die Bergung des Mülls als eher vages Datum. Die Zeit könnte denkbar knapp werden. Die BGE macht kein Geheimnis daraus, dass das Ziel, den Müll tatsächlich zu bergen, bevor die Asse voll Wasser läuft, ambitioniert ist.

Stay legt den Finger in die Wunde. Er sagte zum erhöhten Wasserzufluss: „Das ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass die BGE sich sputen muss. Sie muss einen Gang höher schalten.“

Man müsse damit rechnen, dass der Zufluss in den kommenden Monaten und Jahren noch einmal zulegen werde. „Wenn an der Elbe Hochwasser herrscht, setzt man doch auch sämtliche Hebel in Bewegung. Warum nicht auch bei der Asse?“, so Stay.

Doch statt mehr Geld und mehr Personal setzt die BGE eher weniger Mittel ein. Das zeigte bereits eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Victor Perli aus dem vergangenen April. Zwar gab der Bundestag seit 2009 eine Milliarde für die Asse frei. Und es kümmern sich 500 BGE-Mitarbeiter um die Stabilisierung und um die Notfallvorsorge im maroden alten Bergwerk. Sie bereiten die Rückholung vor, werden unterstützt von einer Vielzahl von Fremdfirmen. Jedoch sind die Ausgaben für die Vorbereitung der Rückholung gesunken. Hierfür gab der Bund als Sonderposten seit 2009 etwa 123 Millionen Euro aus. Die jährlichen Ausgaben sind seit 2013 aber rückläufig. Mit 11 Millionen Euro fielen sie im vergangenen Jahr sogar auf den tiefsten Stand seit 2011.

BGE-Sprecherin Dehmer kündigte am Montag an, dass die Gesellschaft nach der Sommerpause eine Rückholskizze vorlegen werde, in der alle Themen zur Rückholung in kompakter Form zusammengetragen werden . Dehmer versprach: „Die BGE wird diese Skizze mit der Fachwelt und mit der Öffentlichkeit in der Region diskutieren, um daraus ein tragfähiges Rückholkonzept zu entwickeln.“ Womöglich wird man dann klarer sehen, wann der Müll geborgen werden kann. Debatte