Braunschweig. Bis zu 16 Kubikmeter strömen pro Tag ins Atommülllager. Initiativen fordern mehr Tempo bei der Räumung.

Warum tut man nichts dagegen? Kann es ins Erdwasser dringen? Warum wird davon nur berichtet und nicht gehandelt?

Das fragt Illka Helbig auf unseren Facebook-Seiten.

Die Antworten recherchierte Andre Dolle.

In das marode Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel ist zuletzt deutlich mehr salzhaltiges Wasser als gewöhnlich geflossen. An der Hauptauffangstelle in 658 Metern Tiefe stieg die registrierte Laugenmenge vom 11. auf den 12. Januar von 12.510 auf 14.140 Liter, wie die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nun mitteilte.

Zum Vergleich: In den Monaten vor dem Oktober 2018 betrug der Durchschnitt rund 11.600 Liter pro Tag. Die Werte schwankten jedoch um mehrere hundert Liter täglich.

Nimmt man sämtliche Ebenen, drangen fast 16 Kubikmeter pro Tag in die Asse ein. Diese Zahlen teilte die BGE auf Anfrage mit. Das aus unterirdischen Gebirgsschichten zulaufende Wasser gilt als größte Gefahrenquelle für den in der Asse lagernden Atommüll. Die Asse I und die Asse III waren schon früher voll Wasser gelaufen und aufgegeben worden.

In das ehemalige Salzbergwerk Asse II waren zwischen 1967 und 1978 etwa 126.000 Fässer mit schwach und mittelradioaktiven Abfällen sowie Chemiemüll gebracht worden. Sie wurden zum Teil einfach per Radlader in das alte Bergwerk gekippt. Darunter sind auch mindestens 28 Kilogramm des giftigen Stoffes Plutonium.

Wassereintritt in die Asse.jpg

Vor dem Hintergrund der erheblich erhöhten Laugenzuflüsse in das marode Atommülllager drängen Bürgerinitiativen auf mehr Tempo bei der Bergung der radioaktiven Abfälle. Der Bau eines neuen Schachts, über den die Fässer an die Oberfläche geholt werden sollen, müsse umgehend beginnen, forderte der Asse II-Koordinationskreis am Montag. Ziel aller Maßnahmen müsse sein, den Atommüll so weit wie möglich trocken zu halten.

„Die Erhöhung des Laugenzuflusses macht den Zeitdruck deutlich, unter dem die Bergung des Atommülls aus der Schachtanlage Asse II steht“, sagte Andreas Riekeberg vom Asse II–Koordinationskreis, einem Zusammenschluss von Bürgerinitiativen.

Die BGE machte bereits am Montag klar, dass aus der Forderung der Initiativen nichts wird. Sie nannte aber erstmals ein konkretes Datum für den Baubeginn des neuen Schachts 5. „Mit dem Bau von Schacht 5 kann in drei bis vier Jahren begonnen werden“, sagte BGE-Sprecherin Monika Hotopp. Was das für die Bergung bedeutet, wollte beziehungsweise konnte Hotopp noch nicht sagen. Die BGE will Ende 2019 einen Gesamtplan für den nötigen Schachtbau, die Rückholung und die Zwischenlagerung vorlegen.

Mit dem vermehrten Regen hat der Wasserzufluss in der Asse nichts zu tun, sagte Hotopp. „Historisch hat es schon immer Schwankungen gegeben. Im Süden der Asse-Salzstruktur gibt es durch die Bewegung der Südflanke in die Hohlräume des Bergwerkes hinein Bruchverformungen. Die Entwicklung der Bruchverformungen, die dadurch entstehenden Fließwege und somit die Wasserzuflüsse können nicht genau vorhergesagt werden.“

Die Asse stellt die Experten und Ingenieure der BGE immer wieder vor Herausforderungen.Vor allem die Südflanke des Bergwerks ist unberechenbar. Mit Blick auf die Frage unserer Leserin sagte Hotopp: „Die Südflanke der Asse ist eine große und komplexe Struktur, die nicht zugänglich ist und daher nach aktuellem Wissensstand nicht abgedichtet werden kann.“

Die BGE pumpt das einfließende salzhaltige Wasser ab. „Die Lauge wird derzeit an ein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen abgegeben“, sagte Hotopp. Die BGE hält geheim, um welches Unternehmen es sich handelt. Sie hat dem Entsorger vertraglich Vertraulichkeit zugesichert. Es handelt sich um ein Produktionsunternehmen, dass aus der Asse-Lauge Salz für die Industrie herstellt. Bekannt ist hingegen die Backup-Lösung: Es handelt sich dabei um das Bergwerk Hugo des Unternehmens Kali und Salz AG in Sehnde bei Hannover.

Nimmt der Wasserzufluss in die Asse weiter zu, könnte das für die Sicherheit des Bergwerks und somit auch für die Bergung des Atommülls Folgen haben. Hotopp sagte: „Ab einem gewissen Punkt würde die Rückholung nicht mehr möglich sein und die von uns geplanten Vorsorgemaßnahmen für den Notfall müssten getroffen werden.“

Wann dieser Punkt erreicht werde, sei unter anderem abhängig von der Menge und der chemischen Zusammensetzung des zufließenden Wassers sowie von den Orten, an denen es zutritt. „Zurzeit sind wir weit entfernt von einer solchen Situation“, sagte Hotopp. Die BGE sei technisch in der Lage, auch größere Wasserzutritte zu beherrschen.

Neben dem Wasserzufluss bereitet auch die fehlende Standsicherheit Sorge. Das Bergwerk ist – wenn auch nur minimal – in Bewegung. Hohlräume in der Asse werden seit 1995 verfüllt. So sollte das Bergwerk standfester werden. Wirklich erfolgreich war das offenbar nicht. Seit 1996 überwacht das Institut für Gebirgsmechanik (IfG) in Leipzig die Entwicklung. Laut IfG sind lokale Stützmaßnahmen zum Erhalt der Bergbausicherheit dringend erforderlich. „Den großräumigen Schädigungsprozess“ kann aber auch das nicht dauerhaft und nachhaltig abbremsen.

Und für die Rückholung des Atommülls wird mehr als nur der neue Schacht 5 benötigt. Dieser ist nur ein Element von vielen, die für die Rückholung benötigt werden. „Wichtig ist unter anderem auch, die Bergetechnik zu entwickeln und den tiefen geologischen Untergrund besser zu beschreiben. So plant die BGE ab Oktober dieses Jahres eine geophysikalische Erkundung des tiefen Untergrundes durchzuführen“, sagte Hotopp.

„Ein Schacht ohne Verbindung zum Grubengebäude hilft uns auch nicht weiter. Wir müssen sorgfältig die mit der Errichtung des Rückholbergwerkes verbundenen Risiken bewerten und alle erforderlichen Gegenmaßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass uns ein neuer Schacht absäuft“, sagte die BGE-Sprecherin erstaunlich offen. Hotopp: „Immerhin ist dies mit den Schächten Asse I und Asse III passiert.“ Zuletzt muss die Aufbereitung, Verpackung und Zwischenlagerung der Abfälle geklärt sein, bevor sie geborgen werden können. Bisher läuft alles auf ein Zwischenlager in unmittelbarer Nähe zur Asse hinaus. Die BGE will den Atommüll nicht auch noch quer durch die Republik fahren müssen.