Peine. Stefan Studt, Chef der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), spricht im Interview über den Atommüll im Schacht Konrad und der Asse.

Mit dem neuen Chef der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Stefan Studt, sprach Redakteur Andre Dolle.

Herr Studt, Sie sind seit gut drei Monaten Chef der BGE. Haben Sie in der Zeit schon einmal gedacht: Der Amtsantritt war ein Fehler?

Nein, das sind die spannendsten drei Monate, die ich beruflich erlebt habe. Es war richtig, dem Ruf von Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu folgen und den Job hier anzutreten.

Das ist sicher kein leichtes Amt. Umweltverbände kritisieren, Anwohner der Asse und von Schacht Konrad in Salzgitter stellen Forderungen. Der Politik geht es bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll nicht schnell genug. Worin besteht die größte Herausforderung?

Klar, Bürger und Umweltverbände drängen. Vielen kann zum Beispiel die Bergung des Asse-Mülls nicht schnell genug gehen. Jedes der genannten Projekte ist eine Mammutaufgabe für sich. Es ist aber auch nicht ganz einfach, aus drei Firmen eine zu machen. Das ist unsere interne zusätzliche Aufgabe. Wir machen aus der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, dem Bundesamt für Strahlenschutz und der Asse GmbH ein Unternehmen. Wir müssen schnellstens Strukturen schaffen, damit wir uns mit voller Kraft unseren Aufgaben widmen können.

Ihre Vorgängerin, Ursula Heinen-Esser, ist nach noch nicht einmal zwei Jahren an der Spitze der neuen BGE als Umweltministerin nach NRW gewechselt. Sorgen Sie nun für die nötige Konstanz?

Das ist mein Ziel. Ich habe den Vorteil, dass ich die politische Laufbahn hinter mir habe. Ich war in Schleswig-Holstein zuletzt Minister für Inneres, Integration, Wohnungsbau und Sport. Ich habe Politik erlebt. Ich habe mit der SPD in Schleswig-Holstein dann eine Wahlniederlage erfahren müssen. Ich komme aus der Verwaltung, bin Steuerjurist, habe den Weg in die Berufspolitik gefunden. Ich bin jetzt 57. Wenn die Gesundheit mitspielt, bin ich zehn Jahre an der Spitze der BGE. Ich möchte nicht noch mal in ein anderes Bundesland springen. Die noch junge BGE mit ihren knapp 2000 Mitarbeitern hat es verdient, dass Kontinuität herrscht.

Pendeln Sie wie Ihre Vorgängerin häufig zwischen Wohnort und Arbeitsort Peine?

Mein Lebensmittelpunkt ist Schleswig-Holstein und bleibt es auch. Wir haben vier Kinder. Ich bin mindestens von Montag bis Freitag vor Ort in Peine. Die Pendelei kann ich verkraften und kann sie leisten.

Hand aufs Herz: Hätten Sie sich vor 6 Monaten vorstellen können, Chef der wichtigsten Endlagerbehörde in Deutschland zu sein?

Vor sechs Monaten nicht, vor fünf Monaten ja. Nach der verlorenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2017 habe ich mir die Rechtsanwaltszulassung beschafft und eine Beratungsfirma in Potsdam gegründet. Als Ex-Minister ist man immer im Gespräch. Als ich mitbekommen habe, dass Frau Heinen-Esser nach NRW wechseln möchte, kam es im Frühsommer zu Gesprächen im Bundesumweltministerium. Es hatte sich dann schnell gezeigt, dass es passen könnte.

Als Ex-Chef der Staatskanzlei, Innenminister und Steuerexperte in Schleswig-Holstein drängte sich diese Lösung nicht unbedingt auf.

Es gab im Vorfeld schon einen engen Draht zum Bundesumweltministerium. Als Chef der Staatskanzlei habe ich die SPD-geführten Länder bei der Ausgestaltung der Standortauswahlkommission koordiniert. Bei der Endlagerung geht es um lange Linien, Transparenz und Informationen. Ich war Minister zu einer Zeit, als wir die großen Flüchtlingszahlen hatten. Ich kenne den Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen. In der Zeit der Endlagersuchkommission habe ich mich mit dem zuständigen Umweltminister in Schleswig-Holstein ausgetauscht. Das war Robert Habeck von den Grünen.

Ist das nun ein Fehler, dass Sie kein Atom-Experte sind, oder braucht es einfach nur einen guten Manager an der Spitze der BGE? Das sagte Ihre Parteifreundin von der SPD, Ministerin Schulze.

Ich bin kein Geologe und kein Physiker, das stimmt. Aber ich hatte viele Berührungspunkte zu den Themen Endlagerung und Kernenergie. Ich war Mitte der 90er einige Jahre im politischen Leitungsbereich eines Ministeriums tätig, das für Finanzen und Energie zuständig war. Dabei ging es um die Kernkraftwerke Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel. Ich kenne politische Entscheidungsprozesse auf Landes- und Bundesebene, war im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, habe ein umfassendes und parteiübergreifendes Netzwerk auf Länderebene. Steffen Kanitz hat als weiterer BGE-Geschäftsführer und Ex-Bundestagsabgeordneter ein gutes Netzwerk im Bund.

Frau Heinen-Esser aber war immerhin Staatssekretärin im Bundesumweltministerium und Mitglied der Endlagerkommission, bevor sie die BGE übernahm.

Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht. Sie werden kaum den Atomphysiker finden, der gleichzeitig politische Prozesse versteht, erlebt hat und erklären kann. Sie müssen bereit sein, zu lernen. Ich sitze nicht nur in diesem schönen Büro, sondern fahre raus – zur Asse, zu Schacht Konrad zum Beispiel. Wir haben mit meinem Stellvertreter Steffen Kanitz, dem technischen Geschäftsführer Thomas Lautsch und ab dem 1. Januar auch mit Beate Kallenbach-Herbert, die vom Öko-Institut in Darmstadt zu uns wechselt, ein gutes Team. Wir sind breit aufgestellt – auch parteipolitisch. Ich bin ein Roter, Kanitz CDU-Mitglied, Frau Kallenbach-Herbert steht den Grünen nahe.

Schacht Konrad wird 600 Millionen Euro teurer als veranschlagt, alleine die Baukosten sollen nun 4,2 Milliarden Euro betragen. Der Atommüll soll ab 2027 statt 2022 eingelagert werden. Das war zwar vor Ihrem Amtsantritt, aber können Sie, nun da das TüV-Gutachten vorliegt, weitere böse Überraschungen ausschließen?

Ausschließen kann ich an der Stelle gar nichts.

Wir müssen sehen, dass wir langsam in die Umsetzung kommen. Wir werden Anfang der 20er Jahre mit den grundlegenden vorbereitenden Arbeiten fertig sein. Das Problem ist, dass wir auch über Tage noch einige Bauten zu genehmigen und dann auch zu errichten haben: die Umladehalle, die Pufferhalle und das Lüftergebäude. Es gibt keine 100-prozentige Garantie, dass der Fahrplan am Ende passen wird. Wir setzen alles daran, dass wir unsere Ziele erreichen.

Konrad-Gegner sehen sich durch Planungsfehler bestätigt. Wie wollen Sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen?

Wir könnten einen Zaun hochziehen, eine Wachmannschaft davorstellen und dann bauen. Wir machen aber alles transparent. Wir beschönigen nichts. Vertrauen wollen wir gewinnen, indem wir reden. Das Planfeststellungsverfahren stammt aus dem Jahr 2002. Wir haben den Stand von Wissenschaft und Technik im Blick. Im Januar machen wir eine Veranstaltung dazu in Braunschweig.

Zudem bieten wir Veranstaltungen für Bürger direkt vor Ort an. Am Ende haben wir einen Auftrag, den wir realisieren müssen – unter bestmöglicher Mitnahme der Betroffenen und Interessierten.

Für Verwunderung sorgte in unserer Region, dass im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD im Bund plötzlich von einem Bereitstellungslager die Rede war. Ein Schriftverkehr der Behörden, der unserer Zeitung vorliegt, legt nahe, dass dieses Bereitstellungslager nicht bei Schacht Konrad entstehen soll. Wird das Bereitstellungslager definitiv nicht im Umkreis von Schacht Konrad gebaut?

Wir können den Müll nicht in der zufälligen Reihenfolge der Anlieferung einlagern. Der schwach- und mittelradioaktive Müll muss sortiert und zugeordnet werden. Rein logistisch wäre es praktisch, den Müll direkt an der Anlage zu konfektionieren. Ein Bereitstellungslager wäre den Bürgern vor Ort aber nicht auch noch zuzumuten. Durch einen Radius von bis zu 200 Kilometern ergibt es sich, dass bis zu neun Bundesländer potenziell für ein Bereitstellungslager infrage kommen.

Was ist dran an Ilsenburg im Ostharz? Dort besteht zum Beispiel die gewünschte Gleisanbindung.

Ich kann das weder ausschließen noch bestätigen. Wir sind in einem offenen Verfahren, ganz am Anfang. Sachsen-Anhalt kommt in Betracht, aber auch Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Thüringen zum Beispiel. Aber das ist letztlich die Aufgabe unserer Schwesterbehörde, der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung.

Bei der maroden Asse soll der Müll geborgen werden. Wasser tritt jeden Tag ein, das Bergwerk verschiebt sich, wird immer instabiler. Selbst das Bundesumweltministerium mahnt nun zur Eile. Können Sie versprechen, dass der Müll tatsächlich geborgen wird?

Auch das kann ich nicht versprechen. Es ist unser Ziel. Das ist mit der Lex Asse festgelegt. Wir haben den Auftrag, das zu realisieren. Wir befinden uns in einem Wettlauf, den Müll zu bergen, bevor uns mit der Asse etwas passiert. Wir stabilisieren die Asse, arbeiten gleichzeitig an einem Notfallplan bei der Rückholung. Schutz der Mitarbeiter, der Menschen in der Umgebung und Natur stehen dabei ganz oben an.

Bisher gibt es nur ein vages Datum, wann mit der Bergung der 126.000 Fässer begonnen werden soll: 2033. Einen konkreten Zeitplan, was bis dahin passieren muss, gibt es allerdings nicht. Das wirkt so, als hätte die BGE die Lage nicht wirklich im Griff.

Wir haben alles im Griff. Die Stabilisierung des Bergwerks, die Bergung des Mülls und die Notfallplanung haben wir genau im Blick. Auch ich hätte gerne Meilenstein für Meilenstein, den wir monatlich abhaken können.

Das haben wir in der Tat so noch nicht. Dass, was wir da machen, ist weltweit einzigartig. Bis Ende 2019 wollen wir einen Gesamtplan für Schachtbau, Rückholung und Zwischenlagerung mit Varianten erstellen.

Das Endlager für hoch radioaktiven Müll will schon gar keiner haben. Knapp 130 Landkreise sind im Rennen. Schließen Sie aus, dass es erneut unsere Region trifft?

Wir haben eine weiße Landkarte. Die Karten, die andere vor sich hertragen, sind unser Ansatz nicht. Deshalb kann ich auch die Zahl der Landkreise nicht bestätigen oder dementieren.

Die Zahl der Landkreise ergibt sich durch die benötigten Salzstöcke, durch Vorkommen an Granit oder Ton, in denen der Müll eingelagert werden soll.

In der Tat gibt es viele Regionen, die noch in Betracht kommen. Wir werden den Standort vorschlagen, der am besten geeignet ist. Am Ende entscheidet der Bundestag.

Dass es erneut auf Niedersachsen hinausläuft, ist so unwahrscheinlich nicht. Hier gibt es 30 von bundesweit 50 Salzstöcken, hier gibt es auch Tongestein.

An den geologischen Gegebenheiten in den Bundesländern kann ich nichts ändern. Es handelt sich um einen offenen Prozess. Wir suchen den bestmöglich geeigneten und auch den sichersten Standort, den es in Deutschland gibt.

Es gibt Regionalkonferenzen und ein nationales Begleitgremium mit ganz normalen Bürgern. Aber geht es de facto nicht nur darum, die Bürger anzuhören, nicht sie zu erhören? Echten Einfluss haben sie nicht, obwohl dieser Eindruck von den Behörden erweckt wird.

Die Bürger haben zugegebenermaßen keine Veto-Möglichkeit bei der Frage des Standorts. In einer Demokratie wird solch eine schwerwiegende Entscheidung am Ende im Parlament getroffen. Auf dem Weg dahin hören wir so viele Bürger wie möglich. Es gibt keinen anderen politischen Prozess mit ähnlicher Wichtigkeit, der so breit angelegt ist wie die Endlagersuche.

Die Bayern erklären bereits, dass sie wohl nicht infrage kommen.

Ich habe mit Überraschung festgestellt, dass der neue Koalitionsvertrag in Bayern zum Inhalt hat, dass man aus bayerischer Sicht nicht glaubt, dass es einen geeigneten Standort im Freistaat gibt. Das kann man in einen Koalitionsvertrag schreiben. Für uns ist die Landkarte aber weiterhin weiß. Sie bleibt auch weiß, wenn Bundesländer uns keine geologischen Daten zuliefern. Wegducken hilft nichts.