Wolfsburg. „Du bist in Frieden gegangen. Da bin ich mir sicher.“ An ihren verstorbenen „Papi“ Carl Hahn schreibt Tochter Pia emotionale Abschiedsworte.

Lieber Papi, du wolltest immer 100 Jahre alt werden und in meinen Augen bist Du es auch geworden (mathematisch aufgerundet ist das auch total korrekt). Wenn man liest und hört, was Du alles geschaffen hast in Deinem Leben, dann müsste man meinen, du bist 200 geworden.
Kein Thema war Dir zu klein, um nicht dafür zu kämpfen. Am wichtigsten waren Dir am Ende die Kinder alle Kinder! Unsere Zukunft, unser Erbe, Dein Geschenk an die Welt.

Ich rede hier von Deinen mehrsprachigen Kindergärten. Deine Vision einer Erziehung als Lösung vieler Probleme von heute. Deine letzte Bitte, weniger als drei Tage vor Deinem Tod, war: Bitte mach mir noch einen Kindergarten. Das „bitte“ war aber nur zur Höflichkeit da… Als wir klein waren, bist Du viel gereist, aber wenn Du da warst, wurde vorgelesen – abwechselnd aus der Bibel oder Max und Moritz. Ich muss hier nicht sagen, was uns lieber war, vor allem, weil Du es mit so viel Humor vortragen konntest. Natürlich im Namen der Erziehung: deutsches Kulturgut! Damit sind wir aufgewachsen.

Pferde gehörten zu den Leidenschaften von Carl H. Hahn.
Pferde gehörten zu den Leidenschaften von Carl H. Hahn. © Familie Carl Hahn

„In Deinem letzten Sommer mit Deinen 96 Jahren bist Du noch im Meer geschwommen“

Sport war Dein persönliches Manna. Während Du im Vorstand von VW warst, bist Du jeden Morgen geritten. Dafür hast Du Dir immer Zeit genommen. Und am Wochenende sind wir oft zusammen ausgeritten. Da gab es Zeit für tiefe Gespräche. Noch auf dem Sterbebett kamen Dir schöne, intensive Erinnerungen von unseren gemeinsamen Ausritten. Im Sommer sind wir viel zusammen gesegelt auf einem Hobie Cat-Katamaran. Das wurde oft auch schon mal sehr nass und brenzlig. Im Winter bist Du Ski gefahren, vielleicht nicht Dein bester Sport, aber im Skimarathon warst Du toll und hast das noch bis in Deine 90er machen können. Das muss so ein bisschen ein Rekord sein und zeugt von Deiner eisernen Disziplin. Und Du warst joggen, als es weder dieses Wort, noch die richtigen Schuhe dazu gab, aber dann jeden Morgen. In Deinem letzten Sommer mit Deinen 96 Jahren bist Du noch im Meer geschwommen, weit raus und im Kraul. Mens sana in corpore sano. Hier warst Du auch Vorbild!

Regelmäßig ging es für Carl H. Hahn und seine Familie auch rauf aufs Wasser.
Regelmäßig ging es für Carl H. Hahn und seine Familie auch rauf aufs Wasser. © Familie Carl Hahn

Als Mami vor fast zehn Jahren starb, brauchtest Du alle Deine Kräfte und Deinen Glauben. Nach 53 Jahren Ehe hast Du einen so riesigen Verlust erlitten, so wie wir jetzt, hier, heute. Dein schönes Haus im Rothehof hat auch viel Trost spenden können mit den vielen, schönen Erinnerungen von Euren Reisen und der prachtvolle, so gepflegte Park. Am liebsten war Dir der Frühling, wo die Gärtner Dir jedes Jahr hunderte (oder waren es gar tausende?) Tulpen pflanzten, Deine Lieblingsblumen. Keine konnte die schöner auf Ostereier malen als Du. Wir wissen, Du warst ein Weltmann, ein Visionär, ein Wolfsburger und ein Familienmann. Wir mussten Dich mit vielen Menschen teilen, aber das haben wir geliebt. Du warst einfach für alle da. Das hat Dich geprägt und das hat uns geprägt. Du wusstest immer, dass Du in Wolfsburg sterben wolltest, aber natürlich im biblischen Alter. Du warst richtig verliebt in diese Stadt und alles, was sie repräsentiert. Wolfsburg war für Dich vor allem die Menschen, mit denen Du so einzigartig verbunden warst: auf dem Wochenmarkt, in der Kirche, im Museum oder einfach auf der Straße; und Wolfsburg war natürlich auch „Dein“ Volkswagenwerk, wo das Herz dieser Stadt schlägt.

„Am Ende warst Du vor allem dankbar“

Aber am glücklichsten warst Du, wenn wir, Deine Kinder und Deine Enkel, hier bei Dir waren. Stolz hast Du uns jedes Mal Wolfsburg wieder neu vorgestellt. Dabei sind wir ja hier aufgewachsen und dann später alle in die weite Welt geflogen: Das hat man davon, wenn man mit so vielen Sprachen aufwächst und so eine tolle Erziehung bekommt!

Carl H. Hahn auf Skiern.
Carl H. Hahn auf Skiern. © Familie Carl Hahn

Deinen Ehering hast Du nie abgelegt und den nimmst Du jetzt mit ins Grab, zusammen mit all Deinen vielen Orden und einem Rosenkranz, den Mami Dir geschenkt hat. Da vereinen sich Deine Liebe, Deine Disziplin und Dein tiefer Glauben zum letzten Mal. Du bist in Frieden gegangen. Da bin ich mir sicher.

Am Ende warst Du vor allem dankbar. Dein Stolz hatte sich in Dankbarkeit umgewandelt. Du warst dankbar für jeden Besuch, jeden Anruf, vor allem jedes Lächeln. Ein Lächeln ist eine Art Liebeserklärung, die direkt ins Herz geht und Dein Herz war dankbar für jedes Lächeln. Ich wünschte, ich könnte Dir noch ein Lächeln schenken. Vielleicht muss es doch der Kindergarten werden.

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