Zum Tode von Carl Hahn

Verstorbener Ex-VW-Chef Carl Hahn: Ein Welten-Denker

| Lesedauer: 6 Minuten
Carl Hahn 2019 mit der damaligen Redaktionschefin der Wolfsburger Nachrichten und heutigen Chefredakteurin Kerstin Loehr.

Carl Hahn 2019 mit der damaligen Redaktionschefin der Wolfsburger Nachrichten und heutigen Chefredakteurin Kerstin Loehr.

Foto: LARS LANDMANN / Regios24

Wolfsburg.  Chefredakteurin Kerstin Loehr erinnert sich an persönliche Begegnungen mit Professor Carl Hahn, dem langjährigen VW-Chef.

Die zahlreichen Nachrufe zu dem verstorbenen VW-Vorstandsvorsitzenden und Wolfsburger Ehrenbürger Carl H. Hahn ähneln sich in einem Punkt auf beeindruckende Weise: Egal, ob sie von Jung oder Alt kommen, aus dem Konzern oder aus Politik, Kultur oder Gesellschaft: Er gilt bis heute als ein großes Vorbild.

Es fallen Begriffe, die in unserem Sprachgebrauch selten geworden sind: kultiviert, gebildet, vornehm, elegant, integer, höflich, privilegiert, konservativ. VW-Personalchef Gunnar Kilian wählte in seiner Reaktion auf den Tod von Prof. Dr. Carl Horst Hahn die auf einem antiquierten Ritual beruhende, aber mächtige Formulierung: „Die Mannschaft verneigt sich dankbar vor seinem Lebenswerk für uns.“

Carl Hahn – ein „Herr“ eben, wie ihn unser Autor Eckhard Schimpf in seinem großen Rückblick auf das Leben des VW-Managers nannte – nicht ohne das „Abgedriftet-Sein dieses Begriffs ins Inhaltsleere“ zu betonen. Genau diese Empfindung, dass der Mann, der Volkswagen zum Weltkonzern formte, der Kunstliebhaber, Bildungspionier und immer wieder auch Gesellschaftskritiker, in unserer heutigen Welt eine Ausnahme-Persönlichkeit war, regt zum Nachdenken an.

Chefredakteurin erinnert sich an ersten Interviewtermin mit Carl Hahn im Kunstmuseum Wolfsburg

Szenenwechsel ins Jahr 2014: Mein erster großer Interview-Termin mit Carl Hahn in seinem Büro im Kunstmuseum Wolfsburg. Der Grund: kein Geburtstag, sondern ein Jubiläum – 60 Jahre in Wolfsburg. Es war der 6. Dezember 1954, als der promovierte Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Hahn nach einem Jahr als Diplomat in Paris nach Wolfsburg zu Volkswagen wechselte.

Auch wenn man gemeinhin Journalisten, was Kleidung angeht, gern eine Egal-Haltung unterstellt: Bei dem früheren VW-Vorstandsvorsitzenden galt – ungesagt – eine gewisse Etikette. Und so empfing Carl Hahn uns, den Fotografen und mich, selbstverständlich im traditionellen Business-Stil gekleidet, Anzug mit Krawatte. Und wie immer in dieser unvergesslich aufrechten Haltung, die einen sofort selbst erfasste. Der Konferenztisch, stilvoll für uns gedeckt. Blickfang war der Schreibtisch – kein kühles Designmöbel, sondern ein Stück Leben voller Details, die Hahns Liebe zu technischer Raffinesse, zu Kunst und Kultur offenbarten. Dahinter eine Bilderwand – zwei große Familien, eine berufliche, eine private.

Alles hatte Klasse.

Die Atmosphäre war und blieb besonders. Nein, locker oder lässig war sie nicht, aber persönlich, wertschätzend, sehr einnehmend. Da wurde nicht gequatscht, da wurden die Worte gesetzt, druckreif. Das steckte an – und forderte.

Zunächst sprachen wir über VW. Hahn sagte alles in einem schnittigen Statement: „Ich bin seit vielen Jahren nicht mehr ,Insider‘. Mir fehlen deshalb die Voraussetzungen für ein Urteil. Aber ich kenne die Menschen bei VW, darunter auch meine Freunde aus der Produktion, und weiß, dass sie alle Erfordernisse und den so wichtigen Zusammenhalt besitzen, um die immer anspruchsvolleren, immer schnelleren Veränderungen zu meistern.“

Hahn war gewohnt zu reden. Und gewohnt, dass die Menschen ihm zuhörten. Seine Themen an diesem Tag – und auch bei weiteren Interviews und inspirierenden Treffen in Wolfsburg – waren die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die heute aktueller sind denn je: Globalisierung, Erziehung, Bildung, Exzellenz. Themen, denen er auch weite Teile seiner Biografie „Meine Jahre mit Volkswagen“ widmete.

Marisa und Carl Hahn-Stiftung lebt weiter

Hahn erläuterte unmissverständlich: „Die heutige Zeit zu verstehen, erfordert eine entsprechende Ausbildung. Wir bereiten unsere Mitmenschen jedoch nicht genug auf die Realitäten in Europa und der Welt vor. Mangelndes Verständnis führt dann schnell zu Unsicherheit und Angst, die der schlechteste aller Ratgeber und damit ein großes Problem für unsere Demokratie ist.“ Wie wahr. Ein Visionär.

Berührt hat mich damals, mit welch inniger Empathie Carl Hahn mir seine Fotowand erklärte – wie dieser so weit gereiste Mensch gleichzeitig so viel Familiensinn und so viel Wolfsburg-Liebe vermitteln konnte. Wie er kurz innehielt, bevor er liebevoll über seine verstorbene Frau Marisa sprach, die in einem seiner vielen Projekte weiterlebte: der Marisa und Carl Hahn-Stiftung.

Es war nur eine von Dutzenden Aktivitäten, die sein Leben in den vergangenen Jahrzehnten bestimmten. Work-Life-Balance? Da hielt es der frühere VW-Chef mit Konfuzius: „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du wirst nie wieder arbeiten müssen.“ Und dann war da noch die Liebe zur Kultur in Wolfsburg, die Carl Hahn schon zu Zeiten seines großen Lehrmeisters, Generaldirektor Heinrich Nordhoff, begeistert und ihn letztlich dazu angeregt hatte, das Kunstmuseum zu initiieren.

Gerade in den letzten Jahren aber wurden die Kleinen unter uns zu seiner großen Herzensangelegenheit: Seine Kinder und Enkelkinder. Aber mehr noch, alle Kinder. In mehreren Kindergärten in Wolfsburg förderte Hahn die Zweisprachigkeit, denn sein Credo lautete: „Die angeborene Intelligenz wird mit jeder Sprache erhöht. Das macht aus unseren Kindern bessere Kinder, weil sie klüger sind.“ So hatte seine Frau Marisa, die Amerikanerin, konsequent mit den gemeinsamen Kindern zu Hause englisch gesprochen.

Geradezu kämpferisch wurde Hahn, wenn es um das deutsche Bildungssystem ging: „Unsere Schulen haben die Pflicht, unsere Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten. Mit einem Bildungssystem von gestern wird das jedoch nicht gelingen. Ich kann unseren Kultusministern daher nur raten, sich endlich einmal einen chinesischen Kindergarten und Eliteschulen anzusehen. Fortschritt wird schließlich von Eliten erzeugt.“ Dieses Wort Eliten, lange verpönt, aus dem Mund eines Privilegierten, wie Hahn sich selbst nannte, klingt ganz selbstverständlich – kühl und allein der Sache verpflichtet. Wie so vieles, was bleibt von Carl H. Hahn.

Lesen Sie hier alle Texte zum Tode von Carl H. Hahn:

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