Braunschweig. Die Braunschweiger Professorin Ute Daniel beklagt im Interview, dass manche deutschen Journalisten aus vergangenen Kriegen zu wenig gelernt haben

Ute Daniel ist eine der profiliertesten Medienhistorikerinnen Deutschlands. In ihrem Buch „Beziehungsgeschichten“ hat die Professorin der TU Braunschweig das Verhältnis von Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien im 20. Jahrhundert untersucht. Im Interview zum „Tag der Pressefreiheit“ erklärt die Historikerin, die heute 69 Jahre alt wird, warum sie manche Berichte zum Krieg in der Ukraine als Déjà-vu erlebt und wie Journalisten ihrer Ansicht nach auf „Lügenpresse“-Vorwürfe reagieren sollten.

Liebe Frau Daniel, am „Tag der Pressefreiheit“ wird gern betont: Nur eine freie Presse sichert das Überleben der Demokratie. Können Sie sich dem anschließen?

Das ist relativ einfach zu beantworten. Es kann sein, dass die Pressefreiheit wunderbar wirkt und hilft, Demokratie zu erkämpfen oder aufrecht zu erhalten. Die Presse kann die Demokratie aber auch beschädigen. Das hängt immer von den Umständen ab.

Folglich bedeutet Demokratie umgekehrt auch nicht automatisch, dass Medien und Journalisten eine positive Rolle spielen.

Kein Berufsstand hat eine Garantie auf Qualität und gute Performance. Das wäre jenseits aller Lebenserfahrung. Es gibt tollen, durchschnittlichen und schlechten Journalismus. Das war früher so und wird auch so bleiben. Daraus muss man die Lehre ziehen, den qualitätsvollen Journalismus zu stärken und in seiner Wichtigkeit zu feiern. Damit meine ich nicht nur die meinungsführenden großen Blätter. Qualitätsjournalismus, der solide und engagiert arbeitet, der seine Quellen checkt, die Ereignisse einordnet und deutet, gibt es auf allen Ebenen, bis hinunter in die Provinzzeitungen. Ohne ihn haben wir keine Möglichkeit, uns ein Bild von der Welt zu machen. Das kann man nicht hoch genug hängen. Das gilt auch in Zeiten der Sozialen Medien. Dort prallt zwar wahnsinnig viel Inhalt auf uns ein, aber daraus ergibt sich kein schlüssiges Bild. Man ist vor allem bedröhnt.

Das heißt, allein die Pressefreiheit zu feiern, reicht nicht.

Sie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Manche aktuellen Tendenzen sind hoch besorgniserregend – und zwar nicht nur bei Viktor Orbán. Diesen Bedrohungen muss man entgegentreten. Um die Auswirkungen von Fake News in den Griff zu bekommen, hat Frankreich etwa Gesetze erlassen, die es in Wahlkampfzeiten erlauben, Social Media-Plattformen in kürzester Zeit zu hohen Geldstrafen zu verurteilen, wenn diese verbreiten, was die Regierung für unzutreffend hält.

Was würden Sie sich von den klassischen Medien selbst wünschen?

Ein höheres Maß an kritischer Begleitung der eigenen Arbeit. Mir fehlt es an Journalismus, der auch mal rückblickend fragt: Haben wir hier wirklich gut gearbeitet? Mir fällt etwa auf, dass die Medien bei jedem neuen Krieg überrascht feststellen, dass da gelogen wird. Ich meine: Geht’s noch? Kann man das nicht mal lernen? Am Ende des Krieges folgt dann immer das Bedauern, dass man sich leider für die eine oder andere Seite hat einspannen lassen. Aber auch das wird dann umgehend wieder vergessen. Und beim nächsten Krieg sind alle wieder genauso naiv wie vorher.

Mehr Selbstkritik der Medien wäre übrigens auch wichtig angesichts des „Lügenpresse“-Geschreis von Rechtsaußen. Solche Vorwürfe kann man nicht einfach aussitzen. Man muss zeigen, dass der Journalismus eine reflektierende und selbstkritische Einrichtung ist und sich nicht einmauert.

Im Zuge des Kriegs in der Ukraine reden wir viel über Beeinflussung durch Propaganda – in Russland, aber auch bei uns. Die Kriegsberichterstattung ist eins der historischen Themen, zu denen Sie geforscht haben. Wie nehmen Sie die gegenwärtigen Debatten wahr?

Es ist in der Tat die Wiederkehr des immer Gleichen. Die Medien in den kriegführenden Ländern werden gelenkt, getäuscht und zensiert. Sie müssen hochgradig vorsichtig sein – vor allem in Russland, wo ihre Situation ja schon länger sehr kritisch ist. Das Déjà-vu betrifft aber auch Länder, die wie unseres nicht direkt am Krieg beteiligt sind. Wir erleben, dass auch hier die Öffentlichkeit mit unglaublich viel Bullshit geflutet wird. Bereits im Ersten Weltkrieg, dem Urknall der Kriegspropaganda, ging es darum, die neutralen Staaten zu beeinflussen, um sie zum Kriegseintritt auf der einen oder anderen Seite zu bewegen. In den neutralen Ländern müssen wir also genauso vorsichtig sein, was die Korrektheit und Tendenz der Inhalte betrifft. Erfreulicherweise machen viele Medien mittlerweile in ihrer Berichterstattung transparent, wenn sich ihre Quellen nicht unabhängig überprüfen lassen.

Mit einer Flut zumindest auf die Schnelle nicht überprüfbaren Meldungen, die zudem oft nicht den Tatsachen entsprechen, waren wir schon vor dem Krieg konfrontiert – etwa in der Fluchtkrise oder in der Corona-Pandemie.

Ja, das kennen wir spätestens seit Trump und seinem Berater Steve Bannon. Dieser sagte wörtlich: „Die wahre Opposition sind die Medien. Und eine Möglichkeit, mit denen fertig zu werden, ist, diese Zone mit Scheiße zu fluten.“ Das sei das beste Mittel, sich Leute gefügig zu machen oder mit Angst zu erfüllen, so dass sie sich letztlich jemandem wie Trump zuwenden. Das geschieht mit frei erfundenen Behauptungen, die zu widerlegen aber nicht leicht möglich ist, mit Verschwörungsbehauptungen und sonstigem Mumpitz. Mittlerweile kennen wir das. Diese Methode ist übrigens eine Propagandastrategie, die schon früher in Kriegszeiten verfolgt wurde. Das Neue ist, dass Trump und Bannon sie in die Friedenszeiten getragen haben – leider sehr erfolgreich. Für den Journalismus ist das eine echte, harte Herausforderung.

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Sehen Sie im Ukraine-Krieg auch Erfolge von Kriegspropaganda bei uns?

Sehr bedrohlich finde ich im Moment, wie ein nicht unbedeutender Teil der deutschen Medien in einen Überbietungswettbewerb bei der Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine eingestiegen ist. Natürlich ist nicht zu bestreiten, dass die Ukrainer Waffen brauchen, um sich zu verteidigen. Aber muss man auch fragen, bis zu welchem Punkt ihnen und der Welt mit einer Eskalation gedient ist.

Wie erklären Sie sich solche Überbietungsdynamiken?

Ich glaube, das ist ein Gemeinschaftswerk von Politik und Medien. Natürlich ist es nur recht und billig, dass die Opposition und die ihr nahestehenden Medien die Regierung kritisieren und die Lieferung schwerer Waffen fordern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Medien und Politiker, die sich mitreißen lassen von einem sehr verständlichen, aber völlig unreflektierten Gefühl der Verzweiflung über all das Furchtbare, was in der Ukraine passiert – ich nenne es mal: das Hofreiter-Syndrom. Neben solch naiven Gefühlen gibt es aber auch echte, handfeste Interessen, etwa in den USA, dass die Ukraine einen Stellvertreterkrieg für den Westen gegen Russland führen soll. Ich finde diese Vorstellung ungeheuerlich. Das ist das letzte, was man den Ukrainern wünschen kann – auch, weil sie nicht gewinnen können. Napoleon und Hitler sind schon mit weitaus größeren Möglichkeiten an Russland gescheitert. Bei dieser Schwere-Waffen-Debatte hat sich ein Teil unserer Medien nicht mit Ruhm bekleckert.

Immer wieder wird geargwöhnt, dass Medien und Macht „unter einer Decke stecken“. Sehen Sie das anhand Ihrer Untersuchungen bestätigt?

Die Abhängigkeit ist beiderseitig. Die Politik braucht die Medien, weil sie sonst keine Politik machen kann. Und die Medien brauchen die Politik, weil sie sonst nicht an Informationen kommen, die nicht ohnehin schon frei auf dem Markt sind. Ohne Insiderinformationen kann man keine politische Berichterstattung machen. Das führt zwangsläufig zu einer Vertraulichkeitsbeziehung, in der die Journalisten mehr wissen als sie schreiben. Das ist keine Korruption, sondern es muss so sein, weil sie sonst dumm bleiben. Es führt aber zur Notwendigkeit, permanent auszutarieren, was man zurückhält oder im öffentlichen Interesse preisgeben muss.

1938 lud Hitler die Chefredakteure der großen deutschen Tageszeitungen zu sich und weihte sie in einem Hintergrundgespräch unverblümt in seine Kriegspläne ein. Tatsächlich ist keiner der anwesenden Journalisten damit an die Öffentlichkeit gegangen. Dieses historische Beispiel aus dem Dritten Reich, das Sie in meinem Buch finden, zeigt, wo im journalistischen Umgang mit diesem Vertrauensverhältnis klar Grenzen überschritten werden. Die eingeweihten Journalisten haben sich zu Komplizen von Hitlers Absicht gemacht, einen Angriffskrieg zu führen. Da haben sich die damaligen deutschen Medienvertreter komplett desavouiert.

Auch jenseits solcher Extremfälle müssen sich Journalisten immer fragen, wann es etwa an der Stelle ist, ein Interview auch mal abzubrechen beziehungsweise nicht zu publizieren.

Auch um den Preis des guten Drahtes in die Politik.

Ja, der wäre dann futsch. Das ist eine Achillesferse des gesamten politischen Journalismus. Die guten Journalistinnen und Journalisten wissen und reflektieren das auch. Manche trauen sich sogar, diese vertrauliche, von gegenseitigem Austausch geprägte Sphäre zwischen Politik und Medien auch dem Publikum zu erklären. Ich fände es gut, wenn das öfter geschehen würde. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass der Journalismus sich diese Achillesferse immer wieder selbst klar macht. Denn sie ist letztlich der Grund dafür, dass die rechten Socken unentwegt „Lügenpresse“ schreien können. Sie legen damit den Finger in eine Wunde. Aber diese Wunde ist systemisch. Ohne sie gibt es keinen politischen Journalismus.

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