Braunschweig. Offener Brief von 37 Wissenschaftlern kritisiert Kooperationsverbot mit Russland. VW-Stiftungschef: „Soft power“ zerschellt an Putins Krieg.

In einem offenen Brief der Ethnologin und Politikwissenschaftlerin Barbara Christophe vom Braunschweiger Georg-Eckert-Institut (GEI), dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien, haben 37 Forscherinnen und Forscher, vorwiegend aus Geistes- und Sozialwissenschaften, ihre Sorge gegenüber dem faktischen Kooperationsverbot mit Partnern aus Russland ausgedrückt. Das Dokument, dessen Inhalt Christophe zufolge „intensiv am GEI diskutiert“ wurde, ist auf der Website Change.org unter dem Titel „Gegen das Verbot der Kooperation mit russischen Wissenschaftler*innen“ veröffentlicht. Die Unterzeichner kritisieren, die Sanktionen stellten russische Wissenschaftler unter Generalverdacht. „Sie reproduzieren ein Denken in Kategorien von Freund und Feind, auf das sich auch die Putin-Propaganda stützt“, heißt es. „Gute Wissenschaft entsteht im Dialog.“ Gerade jetzt sei es wichtig, dass der Dialog nicht abreiße.

Kritik an Teilen der Wissenschafts-Community

Gegenüber unserer Zeitung erklärte die Initiatorin, den Unterzeichnern gehe es keineswegs darum, die Sanktionen zu unterlaufen, sondern um einen Gegenakzent. Das Auf-Eis-Legen der Wissenschaftsbeziehungen sei „verstörend schnell“ erfolgt, ohne tiefergehende Debatte in der Wissenschafts-Community, kritisiert sie. „Außerdem fand ich es erschreckend, wie manche Kolleginnen und Kollegen jetzt lautstark ihre Loyalität zu den Sanktionen bekunden, obwohl sie sich in den vergangenen acht Jahren kaum für die alarmierenden Meldungen aus Russland interessiert haben.“ Die breite Zustimmung zu den Maßnahmen erklärt sie sich so: „Man demonstriert hier unbedingte Entschlossenheit, die andernorts fehlt.“ Statt nun „in vorderster Front“ die Sanktionen zu rechtfertigen, sollte sich die Wissenschaft lieber fragen: „Warum haben auch wir die russische Politik lange falsch eingeschätzt?“

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Die bisher relativ bescheidene Resonanz des offenen Briefes erklärt sich Christophe auch damit, dass sie „zwischen zwei Stühlen“ sitze: Weder unterstütze sie ein Kooperationsverbot, noch sei sie „Putin-Versteherin“. Neben Osteuropa-Expertin Christophe haben aus unserer Region zudem die Soziologin Simona Szakács-Behling (GEI) und die Orientalistin Christiane Reck (Akademie der Wissenschaften, Göttingen) unterschrieben.

Chef der VW-Stiftung: „Realpolitik“

Lehren aus dem vorläufigen Abbruch der Wissenschaftsbeziehungen zu Russland hatte auch Georg Schütte, Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung gefordert. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte sich der Chef der bedeutenden Wissenschafts-Fördereinrichtung kürzlich für „Realpolitik“ in der internationalen Zusammenarbeit von Forschern ausgesprochen. Die „soft power“ der Wissenschaftsdiplomatie sei „zerschellt an der harten Macht des Militärs im Angriffskrieg auf die Ukraine und am putinschen Unterdrückungsapparat in Russland“, so Schütte. Es sei absehbar, dass internationale wissenschaftliche Zusammen sich künftig wieder in der Konkurrenz von teils verfeindeten Machtblöcken abspielen werde. „Versucht Russland aktuell, die Attraktivität von Demokratien mit militärischer Macht und innenpolitischer Willkür zu unterdrücken, so versucht dies China mit seiner Marktmacht.“

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