Braunschweig. Braunschweiger Institut bereitet sich auf ukrainische Studenten vor. Die Forscher wollen zusammen an Radartechnik und elektronischen Chips arbeiten.

Geplant war diese Partnerschaft schon seit mehreren Monaten. Unter welchen Umständen sie nun zustande kommt, war nicht absehbar: Während russische Truppen die ukrainische Hauptstadt belagern und bombardieren, schließt die Technische Universität Braunschweig eine Forschungskooperation mit dem Igor Sikorsky Kyiv Polytechnic Institute (KPI), der Technischen Universität in Kiew. „Unsere Partner haben eine starke Expertise im Bereich der Hochfrequenztechnik“, erklärt Professor Vadim Issakov vom TU-Institut für CMOS Design (bis 2021 Institut für Elektronische Bauelemente und Schaltungstechnik). „Ich bin hochbegeistert von dieser Zusammenarbeit.“

Ob bei einer solchen Partnerschaft in der gegenwärtigen Situation nicht zwangsläufig weniger die gemeinsame wissenschaftliche Arbeit als vielmehr die Geste der Verbundenheit und Solidarität mit den Ukrainern im Vordergrund stehe, fragen wir Issakov. Natürlich habe die Bekanntgabe der lange geplanten Kooperation durch die russische Aggression einen anderen Dreh bekommen, sagt er. Trotzdem bedeute die Partnerschaft mehr als die bloße Hoffnung auf bessere Zeiten. Auch wenn es angesichts der Angriffe unglaublich erscheine, würden die Partner in Kiew auch jetzt, während die Stadt unter Beschuss liege, weiterarbeiten. Diesen Montag sei sogar ein gemeinsames Arbeitstreffen per Videokonferenz geplant, berichtet Issakov: „Ich habe nicht schlecht gestaunt, als unsere Partner am KPI das angeboten haben. Ich muss schon sagen, ich finde das heldenhaft.“

Worum geht es bei der Kooperation?

Bei der Kooperation bringen die ukrainischen Forscher ihren radartechnischen Sachverstand ein, die Braunschweiger ihre Expertise bei der Entwicklung elektronischer Chips für verschiedenste Anwendungen. Zusammen werde daraus „eine Art Technologie-Kreislauf, bei dem das KPI mit Braunschweiger Chips neuartige Simulationen und Algorithmen testet und die Erkenntnisse in den Chipdesign-Prozess zurückspiegelt“, heißt es in einer Mitteilung der TU. Das Ziel sei, mittels Radartechnik das autonome Fahren und Fliegen oder etwa Atemdetektoren in der Medizintechnik weiterzuentwickeln.

Auf der Suche nach klugen Köpfen

Die Partner vom Igor Sikorsky Kyiv Polytechnic Institute: Prof. Oleksandr Sushko, Prof. Ruslan Antipenko und Prof. Dmytro Vasylenko (v.l.). Sie wollen trotz Bombardements weiter gemeinsam forschen.
Die Partner vom Igor Sikorsky Kyiv Polytechnic Institute: Prof. Oleksandr Sushko, Prof. Ruslan Antipenko und Prof. Dmytro Vasylenko (v.l.). Sie wollen trotz Bombardements weiter gemeinsam forschen. © KPI | Irina Sushko

Außerdem geht es den Braunschweigern darum, kluge Köpfe zu gewinnen. „Wir brauchen Nachschub an Absolventen, Doktoranden, jungen Forschern“, bekennt Issakov. Auf der Suche nach ihnen schaut sich der in Russland geborene und in Israel aufgewachsene Forscher, der seit April 2021 Professor in Braunschweig ist, vor allem im postsowjetischen Raum um. In Kiew ist er fündig geworden.

Gespräche mit „Aufpasser“

Auch mit russischen Wissenschaftlerkollegen habe er Möglichkeiten einer Zusammenarbeit ausgelotet, erzählt Issakov. Seine Erfahrung mit den offiziellen Vertretern beschreibt der Halbleiterexperte aber als ernüchternd. „Unsere Gesprächspartner hatten Anweisung, nie allein mit uns zu sprechen“, berichtet er. „Gespräche zu zweit waren unmöglich, weil immer ein Aufpasser dabei war.“ Unter solch „abartigen“ Bedingungen habe er keine Perspektive gesehen und die Zusammenarbeit gestoppt. Dennoch war er nach eigener Aussage entsetzt, als er den Namen seines Gesprächspartners jüngst auf einer Liste von 700 russischen Hochschulrektoren entdeckte, die Putins Krieg in einer gemeinsamen Erklärung rechtfertigen. „Mich erinnert das sehr an die Briefe, die hochgestellte Beamte einst an Stalin schickten. Leider hat es mich darin bestärkt, dass der Abbruch die richtige Entscheidung war.“

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Professor Vadim Issakov und Professorin Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig. Issakov sagt: „Ich bin hochbegeistert von dieser Zusammenarbeit mit dem KPI.“
Professor Vadim Issakov und Professorin Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig. Issakov sagt: „Ich bin hochbegeistert von dieser Zusammenarbeit mit dem KPI.“ © Tu bs | Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Umgekehrt ist das Bild des Braunschweiger Forschers von den ukrainischen Kollegen: „Man merkt, dass sich die Ukraine zu einem offenen, demokratischen Land entwickelt hat.“ Aber wie beurteilt der Braunschweiger die näheren Aussichten für die Kooperation – und eine freie Ukraine? Issakov ist optimistisch. Er zählt darauf, dass die Verhandlungen der Kriegsparteien Früchte tragen und erlauben, die Zusammenarbeit, wie geplant, fortzusetzen. Ein Szenario wie in Belarus – mit einer diktatorischen Regierung von Putins Gnaden – hält er für unrealistisch. Bis der Krieg endet, rechnet er trotzdem damit, dass einzelne Mitglieder des KPI vorläufig ins Ausland flüchten – auch nach Braunschweig. „Ich habe schon eine Anfrage bekommen, vier Studierende aufzunehmen. Aktuell arbeite ich daran, sie zu immatrikulieren, eine Bleibe zu finden und sie in unsere Projekte zu integrieren.“ Er setzt darauf, dass die TU eine unkomplizierte Lösung findet, die ukrainischen Gäste als Wissenschaftliche Hilfskräfte anzustellen.

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