Braunschweig. Der Direktor des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts, Eckhardt Fuchs, plädiert dafür, wissenschaftlich weiter „mit Augenmaß“ zusammenzuarbeiten.

Seit dem Einmarsch in die Ukraine liegen die Beziehungen zu Russland auf Eis – auch in der Wissenschaft. Vergangene Woche hat die Europäische Union ihre Sanktionen gegen russische Forschungseinrichtungen noch ausgeweitet und alle russischen Partner aus gemeinsamen Projekten ausgeschlossen. Das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut (GEI), Leibniz-Institut für Bildungsmedien, hat eine lange Geschichte als Vermittler zwischen Ost und West. Mit seinem Direktor, dem Historiker Prof. Eckhardt Fuchs, sprachen wir über die Sanktionen, die schwierige Zusammenarbeit mit autoritären Staaten und die Chancen für den Dialog.

Prof. Fuchs, am Georg-Eckert-Institut wird kritisch über das Kooperationsverbot mit russischen Forschern und Hochschulen diskutiert. Worum geht es genau?

Das Wort Kooperationsverbot hat sich als Bezeichnung so eingeschlichen. Dabei gibt es faktisch ja überhaupt kein solches Verbot in Deutschland. Direkt nach dem Kriegsbeginn hat die Allianz der Wissenschaftsorganisationen den russischen Angriff verurteilt und sich mit der Ukraine solidarisch erklärt. Darüber hinaus wurde empfohlen – aber nicht dazu verpflichtet –, alle Kontakte und Projekte mit russischen Partnereinrichtungen einzufrieren oder abzubrechen.

Für Forschungseinrichtungen stellt sich die Frage, wie man damit umgeht. Obwohl Schweden zu den EU-Ländern gehört, die diese Sanktionen mitbeschlossen haben, hat der schwedische Forschungsrat etwa entschieden, dass die von ihm finanzierten laufenden Projekte mit russischer Beteiligung fortgesetzt werden können. Das deutsche Pendant, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), hat dagegen alle Projekte eingefroren.

Als Institut sind wir momentan in der relativ komfortablen Lage, dass wir keine gemeinsamen Projekte mit Russland haben. Bis vor wenigen Jahren hatten wir sie aber noch. Auch deshalb haben wir klar Position bezogen: Wenn Kolleginnen oder Kollegen aus Russland auf uns zukommen, prüfen wir in jedem Einzelfall, ob wir – etwa durch Stipendien – helfen können. Darüber hinaus haben unsere Mitarbeiter diskutiert, einen Diskurs anzustoßen, der das Kooperationsverbot hinterfragt. Diese Debatte reicht aber weit über das GEI hinaus.

Das GEI ist während des Kalten Krieges im Zuge von Willy Brandts Ostpolitik entstanden. Es steht für eine Verständigung zwischen Ex-Kriegsgegnern und verfeindeten Blöcken. Ist Verständigung in der gegenwärtigen Situation denkbar – und sinnvoll?

Sinn macht der Austausch auf jeden Fall, das haben wir aus der Geschichte gelernt – auch aus der unseres Instituts. Wenn es auf politischem Parkett nicht funktioniert, verspricht es Erfolg, auf der Ebene der auswärtigen Kulturpolitik anzusetzen. Und in diesem Rahmen bewegt sich das GEI mit seiner Art der Versöhnungspolitik. Wenn die Kommunikation der Regierungen ins Stocken gerät, kann der zivilgesellschaftliche Austausch helfen, politische Verkrampfungen zu lösen. Ein Paradebeispiel hierfür ist die deutsch-polnische Schulbuchkommission, in der sich die ehemaligen Kriegsgegner, die bis 1990 unterschiedlichen Blöcken angehörten, über die Inhalte ihrer Geschichtsschulbücher austauschten und die so zur Versöhnung der Länder beigetragen hat. Die jahrelangen Verhandlungen waren nicht frei von Friktionen. Gerade in schwierigen Situationen ist es aber wichtig, die Gesprächskanäle offen zu halten und die Zusammenarbeit, wo möglich, sogar zu intensivieren.

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Was bedeutet das übertragen auf die jetzige Situation – mit einem autoritär regierten Russland, das als Aggressor auftritt?

Im Moment bin ich sehr skeptisch, dass man in naher Zukunft die früheren Beziehungen mit Russland fortsetzen kann. Erstens sind viele Kanäle abgeschnitten, so dass keine gemeinsamen Konferenzen oder Projekte durchgeführt werden können. Hinzu kommt, dass diejenigen in Russland, die sich aktiv für eine Zusammenarbeit mit dem Westen einsetzen, in echter Gefahr sind. Solange der Krieg fortdauert, habe ich tatsächlich keinerlei Hoffnung, auch weil sich eine Kooperation vor dem Hintergrund des Angriffs auf die Ukraine schlicht verbietet. Aber wenn der Krieg beendet worden ist – und wir können nur hoffen, dass das möglichst bald und unter stabilen Bedingungen der Fall ist – in diesem Moment müssen wir diese Netzwerke sofort reaktivieren. Die Vorstellung russische und ukrainische Wissenschaftler wieder an einen Tisch zu bringen, mag gerade unvorstellbar erscheinen. Trotzdem ist es unser Anliegen, solche Austauschmöglichkeiten wieder zu schaffen. Das wird zunächst wahrscheinlich nur an einem neutralen Ort möglich sein – etwa in Braunschweig. Hier könnte man wieder ins Gespräch kommen und den Prozess der Versöhnung, der als zentrale Aufgabe ja in der Satzung unseres Instituts steht, anschieben. Das ist absolut notwendig.

Gibt es zu einer solchen Konferenz konkrete Überlegungen?

Nein, im Moment noch nicht. Aber wir haben vor wenigen Jahren eine große Schulbuch-Konferenz in der Ukraine durchgeführt, an der auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus den Anrainerstaaten, auch Russland, teilgenommen haben. Ich kann mir vorstellen, dass wir unsere damaligen Partner wieder kurzfristig zusammenbringen könnten. Eine andere Möglichkeit wäre, die Russen zu multilateralen europäischen Gesprächsforen einzuladen, die wir organisieren. Aber natürlich darf man sich keinen Illusionen hingeben. Das in Jahrzehnten aufgebaute Vertrauen wieder herzustellen, das binnen weniger Wochen zerstört wurde, wird Jahre brauchen.

Die Zusammenarbeit mit Diktaturen ist immer heikel – auch in der Wissenschaft. Ein TU-Professor hat unserer Zeitung berichtet, er habe Gespräche mit Vertretern einer russischen Hochschule abgebrochen, weil man nie zu zweit habe sprechen können. Die russischen Gesprächspartner hätten einander permanent gegenseitig überwacht. Aus der Zusammenarbeit mit China wiederum kennen wir Beispiele, in denen Peking als Geldgeber Einfluss auf Lehrinhalte genommen hat. Welche Grenzen müssen deutsche Wissenschaftler ziehen, wenn Sie mit solchen Ländern kooperieren?

„Wenn der Krieg beendet ist, müssen wir unsere Netzwerke mit russischen Forschern sofort reaktivieren“, fordert Prof. Eckhardt Fuchs, Direktor des Georg-Eckert-Instituts, Leibniz-Institut für Bildungsmedien.
„Wenn der Krieg beendet ist, müssen wir unsere Netzwerke mit russischen Forschern sofort reaktivieren“, fordert Prof. Eckhardt Fuchs, Direktor des Georg-Eckert-Instituts, Leibniz-Institut für Bildungsmedien. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Diese Frage lässt sich schwerlich allgemein beantworten. Hier muss jeder Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlerin eine Balance für sich finden – und entsprechend rote Linien ziehen. Als das GEI in den siebziger Jahren über den eisernen Vorhang hinweg die Arbeit der deutsch-polnischen Schulbuchkommission aufnahm, war auch allen Beteiligten klar, dass bei den Konferenzen immer Menschen am Tisch saßen, die an die dortigen Geheimdienste berichten würden. Trotzdem haben diese Gespräche viel bewegt.

Da Sie das Beispiel China erwähnen: Ich habe in den letzten Jahren eine Reihe chinesischer Doktorandinnen betreut. Nach der Promotion gehen die alle nach China zurück und setzen ihr hierzulande erworbenes Wissen vielleicht auch für politische Zwecke ein, die aus unserer Sicht nicht dem Sinn der Ausbildung entsprechen. Trotzdem habe ich für mich entschieden, weiter Doktoranden aus China aufzunehmen – auch weil ich meine Forschungsinhalte nicht für so sensibel halte, dass dies nicht zu verantworten wäre.

Etwas anders liegen die Dinge bei einem großen Projekt, das wir in China durchführen. Da geht es um Bildungssysteme und die Digitalisierung der Schulen. Hierbei müssen wir mit Schulleitern und staatlichen Vertretern kooperieren, und natürlich wissen wir sehr genau, dass unsere Studien hier nicht in einem freien wissenschaftlichen Diskussionsraum stattfinden, wie wir das in Deutschland gewohnt sind. Die Menschen dort können und dürfen dort nicht alles sagen, was sie vielleicht wollen. Es gibt Überwachung. und wir sind uns dessen sehr bewusst.

Von einem wissenschaftlichen Boykott halten Sie trotzdem wenig?

Ja. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg hat Deutschland selbst einen solchen Boykott erlebt. Am Ende hat die Geschichte aber gezeigt, dass die Wissenschaft international ist. Man kann nicht auf Dauer ganze Länder und Gesellschaften ausschließen. Ich bin überzeugt, dass sich das letztlich auch mit Blick auf Russland erweisen wird.

Sie betonen die Verantwortung des einzelnen Forschers, Grenzen zu ziehen. Aber was, wenn Geldgeber aus autoritär regierten Ländern Bedingungen an hiesigen Instituten diktieren? Das führt in Abhängigkeiten, die sich letztlich aber auch auf Dritte – etwa Studierende – auswirken.

Ja, dieser Balanceakt ist wirklich schwierig. Wissenschaft ist nicht per se objektiv oder neutral. Sie kann sich nicht außerhalb politischer Rahmenbedingungen positionieren. Es gab ja im 18. Jahrhundert die Idee der sogenannten Gelehrtenrepublik: Die Wissenschaft sei kosmopolitisch, unabhängig von den politischen Verhältnissen und stehe über nationalen Interessen. Spätestens die Weltkriege, der Zweite mit der Entwicklung der Atombombe, haben diese Vorstellung aber zunichte gemacht.

Nach dem russischen Angriff hat unsere Politik – etwa Niedersachsens Forschungsminister Björn Thümler – die Forschungseinrichtungen aufgerufen, jetzt auf sogenannte Science Diplomacy mit Russland zu verzichten. Darunter versteht man die Strategie, durch internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit gemeinsame Probleme anzugehen und hierbei auch mit schwierigen Partnern zusammenzuarbeiten. Wie bewerten Sie diese Absage?

Science Diplomacy ist zentral wichtig und muss dies auch bleiben. Aus meiner Sicht ist es verheerend, wenn man aufgrund der politischen Situation alle – auch zukünftige – wissenschaftlichen Verbindungen mit Russland kappt. Wir müssen russische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in Deutschland arbeiten, weiter unterstützen – natürlich nur dort, wo es nicht irgendwie fragwürdig ist. Aber mit einer vernünftigen Einzelfallprüfung lässt sich das erreichen.

Im Übrigen bedeutet Science Diplomacy ja nicht einfach nur, Forschungsgelder von einem Land ins andere zu transferieren, sondern da geht es um internationale Partnerschaften für einen gemeinsam zu erreichenden wissenschaftlichen Fortschritt – etwa bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Klimakrise. Eine solche Zusammenarbeit dauerhaft einzustellen, weil ein autokratischer russischer Präsident offenbar jeglichen Bezug zur Realität verloren hat, finde ich genauso unakzeptabel wie es wäre, Puschkin aus den Bibliotheken oder Schostakowitsch aus den Konzertsälen zu verbannen. Deswegen ein klares Ja zur Science Diplomacy nach Augenmaß – ohne dass wir deswegen blauäugig sein müssen.