Braunschweig. Die Landesregierung hofft, dass die Zulassung proteinbasierter Vakzine noch ungeimpfte Menschen überzeugt. Kassenärzte: Nur vereinzelt Nachfragen.

Es gibt Leser, die reagieren allergisch auf den Vorwurf, sie würden Impfgegner sein. Mehrere haben sich an unsere Zeitung gewendet, speziell auch an den Autoren dieses Artikels. Ihr Vorwurf: Man würde die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, wenn man undifferenziert berichte. Sie seien zwar ungeimpft, gegen Impfungen hätten sie nichts, sie würden sich beispielsweise jedes Jahr gegen Grippe impfen lassen. Ihre Skepsis richte sich gegen die neu entwickelten mRNA-Impfstoffe der Biotechnologie-Unternehmen Biontech/Pfizer sowie Moderna und den zugelassenen Vektor-Impfstoff von Astrazeneca und Johnson & Johnson.

„Angst vor Nebenwirkungen bei mRNA-Impfstoffen“

Ein Leser aus Braunschweig, dessen Name dieser Redaktion bekannt ist, schreibt unter Hinweis auf Vorerkrankungen wie Diabetes Typ-1: „Niemand weiß, wie mein Immunsystem auf diese völlig neuartigen Impfstoffe reagiert. Ein Covid-19-Impfstoff, der wie alle anderen seit Jahrzehnten benutzten Impfstoffe funktioniert, ist der der Firma Novavax.“ Den würde er „bedenkenlos akzeptieren“.

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Bei dem Vakzin, das der Leser erwähnt, handelt es sich um einen Proteinimpfstoff, den die Europäische Arzneimittelbehörde EMA bereits zugelassen hat. Auch ein sogenannter „Totimpfstoff“ der Firma Valneva soll noch auf den Markt kommen. Dieser befindet sich aber noch in der Zulassungsphase. Landesgesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) hatte auf einer Pressekonferenz am 21. Dezember erklärt, sie hoffe, mit der Zulassung protein- bzw. totimpfstoffbasierter Vakzine die bestehende Impflücke in Niedersachsen noch etwas schließen zu können. Rückmeldungen aus der Ärzteschaft legten laut Behrens den Schluss nahe, zumindest bei einigen Menschen die kritische Haltung gegenüber der Impfkampagne auflösen zu können. „Bei den Querdenkern und harten Corona-Leugnern werden wir aber hier sicher nichts erreichen“, sagte sie im selben Zusammenhang.

In einer Forsa-Umfrage hatten zuletzt 74 Prozent der noch nicht geimpften Deutschen Zweifel geäußert, dass die verfügbaren mRNA-Impfstoffe ausreichend erprobt seien. Hinzukommen aber immer wieder Ansätze einer Verschwörungserzählung, die auch erwähnter Leser andeutet. „Aber die Pharmakonzerne standen ja schon in den Startlöchern, ihre neuen Erfindungen auf den Markt zu werfen. Da kam Corona gerade recht. Jetzt, wo der Rubel gerollt ist, darf ein klassischer Impfstoff quasi als Nischen-Produkt kommen“, schreibt er.

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Wie funktionieren sogenannte Protein- bzw. Totimpfstoffe?

Der Impfstoff Nuvaxovid (auch: NVX-CoV2373) der Firma Novavax ist ein sogenannter Proteinimpfstoff. Er enthält Coronavirus-ähnliche Partikel mit dem Corona-Eiweiß Spike-Protein“. Durch die Impfung wird das Immunsystem angeregt, Abwehrstoffe (Antikörper und T-Zellen) gegen SARS-CoV-2 zu bilden. Wenn die geimpfte Person später in Kontakt mit diesem Coronavirus kommt, wird es schnell durch das Immunsystem erkannt und gezielt bekämpft. Das Verfahren wird seit Jahrzehnten bei Vakzinen gegen Hepatitis B und Keuchhusten eingesetzt. Proteinbasierte Vakzine enthalten keine genetische Information des Proteins, sondern im Fall des Corona-Impfstoffes das Spike-Protein an sich – als synthetische Nachbildung.

Auch der Totimpfstoff von Valneva besteht aus Coronaviren, die in einer Zellkultur vermehrt und anschließend abgetötet und zu Impfstoff verarbeitet wurden. Damit das Immunsystem darauf reagiert, wird ein Wirkverstärker (Adjuvans) hinzugefügt, meist ein Aluminiumsalz. Das Gemisch wird in einen Muskel gespritzt, und das Immunsystem bildet eine Antwort auf das gesamte Virus, nicht nur gegen das Spike-Protein.

Bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna wird der Bauplan für die Spike-Proteine in Form von mRNA mit Fett umhüllt und in einen Muskel gespritzt. Die Muskelzellen nehmen die mRNA auf und produzieren das Spike-Protein des Coronavirus, den eigentlichen Impfstoff. Das Immunsystem erkennt das Spike-Protein als fremd und produziert Antikörper. So lernt der Körper, die Spike-Proteine der Viren zu erkennen und so die Infektion abzuwehren.

KVN-Sprecher Kleinschmidt: Nur vereinzelte Nachfragen

Der Braunschweiger Hausarzt Dr. Thorsten Kleinschmidt rät dazu, mit dem Begriff „Totimpfstoff“ vorsichtig umzugehen. Dieser suggeriere, dass bei den mRNA-Verfahren „etwas Lebendiges“ gespritzt würde. Das sei mitnichten der Fall. Beide Verfahren verfolgten dasselbe Ziel, eine schützende Immunantwort des Körpers auf die Coronavirus-Erkrankung zu geben. Kleinschmidt, der der Kassenärztlichen Vereinigung im Bezirk Braunschweig vorsteht, sagt: „Es gibt vereinzelt Patienten, die in den Praxen nach den Impfstoffen fragen, die auf ein erprobtes Verfahren setzen.“ Von einer überwältigenden Nachfrage könne laut dem Allgemeinmediziner aber keine Rede sein.

Wie schätzt die Landesregierung die Impfsituation in Niedersachsen ein?

Mit Stand 27. Dezember waren in Niedersachsen 75,6 Prozent der Menschen mindestens einmal und 72,5 Prozent vollständig geimpft; bei den Über-18-jährigen sind
86 Prozent mindestens einmal geimpft; 38,9 Prozent der Gesamtbevölkerung erhielten bisher eine Auffrischungsimpfung, den sogenannten Booster. Gegenüber der dpa nannte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eine Impfquote bei den Erwachsenen von 90 Prozent, „um perspektivisch mit der Pandemie klarzukommen“. Nach Angaben des Landesgesundheitsministeriums sind noch knapp 1,1 Millionen Bürger über 12 Jahren in Niedersachsen ungeimpft.

KVN: Bund hat zunächst vier Millionen Dosen Novavax bestellt

Generell sei zu hoffen, dass der Protein-Impfstoff von Novavax noch einmal für mehr Bewegung bei den Erstimpfungen sorge, insbesondere bei denjenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – skeptisch gegenüber den mRNA-Impfstoffen seien, teilte das Landesgesundheitsministerium unserer Zeitung schriftlich mit. Es ließe sich allerdings nicht in Prozent beziffern, wie viele Menschen sich zusätzlich mit diesem Wirkstoff impfen lassen würden. Auch der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Niedersachsen (KVN), Uwe Köster, nannte Zahlen zum jetzigen Zeitpunkt „reine Spekulation“.

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, äußerte am Dienstag die Hoffnung, dass sich „die Ungeimpften über 60 jetzt mit dem proteinbasierten Impfstoff besser anfreunden können“. Laut KVN-Sprecher Köster habe der Bund in einer ersten Charge vier Millionen Novavax-Dosen bestellt. Diese werde aber frühestens Ende Januar in den Arztpraxen verteilt werden können. Niedersachsen kann, bei Einhaltung des Impfstoff-Verteilungsschlüssels innerhalb der Bundesländer, also auf rund 400.000 Dosen hoffen.

Thomas Spieker, Sprecher der niedersächsischen Ärztekammer, will sich nicht an Spekulationen beteiligen, wer die Impfskeptiker in Niedersachsen sind. Vermutlich sei aber nur der kleinere Teil der noch Ungeimpften vom Gegenteil zu überzeugen. Dennoch sei es die Anstrengung wert, denn „jeder Prozentpunkt hilft in dieser Phase der Impfkampagne“, so Spieker.

Wie wirksam sind die neuen „alten“ Impfstoffe?

Der Immunologe Carsten Watzl erklärte gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“: „Alles, was bislang bekannt ist, deutet darauf hin, dass Novavax wahrscheinlich ein sehr guter Impfstoff ist.“ Bei den Booster-Impfungen könne man das aber nur mit Einschränkungen behaupten. Das belegten erste Studien aus Großbritannien. Insbesondere das Produkt der Firma Valneva biete nicht den Schutz wie die mRNA-basierten Produkte. „Bei Booster-Impfungen sah man, dass mRNA-Impfstoffe den Antikörperschutz zwanzig- bis dreißigfach verbesserten, Valneva aber nur zweifach“, sagte Watzl. Es fehle auch noch die Anpassung an die Omikron-Variante.

Darin sieht auch die Landesregierung in Hannover ein großes Problem und verweist mit Blick auf einen hohen Impfschutz für die Bevölkerung auf zeitliche Verzögerungen. Ein an die neue Variante angepasster Impfstoff von Biontech/Pfizer und Moderna sei dagegen für März oder April zu erwarten, erklärte das Behrens-Ministerium gegenüber unserer Zeitung.

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