Braunschweig. . Das Ziel, alle Geschlechter gleichermaßen anzusprechen, stellt die Verwaltungen vor Herausforderungen.

Die Stadt Hannover hat sich im Februar neue Regeln gegeben, der Landkreis Goslar ist gerade noch mitten in der Entscheidungsfindung: Es geht um verbindliche Vorgaben für geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung – also die Frage, ob amtliche Schreiben an die lieben „Bürger“, „Bürgerinnen und Bürger“, „BürgerInnen“, Bürger/innen“ oder „Bürger*innen“ adressiert werden.

Auch alle Städte und Landkreise unserer Region schreiben sich eine geschlechtergerechte Kommunikation auf die Fahnen: Das Ziel ist, niemanden wegen seines Geschlechts in Broschüren, Formularen oder sonstigen offiziellen Schreiben durch Sprache zu benachteiligen. „Wenn eine nur männliche Sprachform – etwa „Kontoinhaber“ oder „Leser“ – gebraucht wird, fühlen sich viele Frauen nicht mitgemeint. Sie werden sprachlich übersehen“, erklärt Silke Tödter, Gleichstellungsbeauftragte beim Landkreis Peine. „Die korrekte Anrede und Bezeichnung von Frauen hat erhebliche Bedeutung für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der sozialen Wirklichkeit.“ Ähnlich argumentiert der Landkreis Wolfenbüttel. Dessen Gleichstellungsbeauftragte Susanne Löb, die vor rund zehn Jahren den „Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung des Landkreises Wolfenbüttel“ erarbeitet hat, lässt mitteilen: „Anlass war der alltägliche Umgang mit einer überwiegend männlich konnotierten Sprache in der Verwaltung und der Gesellschaft.“

Benachteiligungen abbauen – darüber besteht Einigkeit

Um die Gleichbehandlung der Geschlechter zu verwirklichen, sei es notwendig, auch sprachliche Benachteiligungen abzubauen – darin besteht Einigkeit unter den Kreisen und Städten unserer Region. Das umzusetzen ist nicht leichter geworden, seit das Personenstandsgesetz 2018 auch die Eintragung des sogenannten dritten Geschlechts „divers“ oder das Offenlassen des Geschlechtseintrags erlaubt hat. „Eine Schriftsprache zu wählen, die erkennen lässt, dass tatsächlich alle gemeint sind, ist eine große Herausforderung“, fasst Salzgitters Stadtsprecherin Simone Kessner die Situation zusammen.

Hannover hat im Februar verbindliche Regeln herausgegeben

Auf diese Lage hat die Stadt Hannover reagiert, indem sie im Februar verbindliche „Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ herausgegeben hat. Um der Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung zu tragen, schreibt die Stadt ihren Bediensteten vor, überall da, wo es möglich ist, geschlechtsumfassende oder -neutrale Formulierungen zu verwenden. Wo dies nicht geht, soll das sogenannte Gendersternchen zum Einsatz kommen. So soll etwa die Formulierung „der*die Ingenieur*in“ die ganze Bandbreite der Geschlechter abbilden. Bei den teils scharf kritisierten, teils euphorisch begrüßten neuen Regeln – verabschiedet vom mittlerweile scheidenden Oberbürgermeister Schostok und der „Dezernent*innenkonferenz“ – handelt es sich faktisch um eine Dienstanweisung.

Wie wird das Thema in unserer Region gehandhabt?

Handreichungen für eine geschlechtergerechte Sprache gibt es auch in den Kreisen und Städten unserer Region. Nicht immer wurden diese eigens vor Ort entwickelt. So greift etwa der Landkreis Helmstedt auf die 2002 vom Bundesverwaltungsamt herausgegebene Informationsschrift zur „Sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern“ zurück und stellt diese intern zur Verfügung. In Wolfsburg und Wolfenbüttel steht das Gleichstellungsreferat der Verwaltung bei Formulierungen beratend zur Seite.

Allerdings ist der Charakter solcher Ratschläge bisher nirgends in der Region so verpflichtend wie der der Hannoverschen „Empfehlungen“. So betont etwa die Sprecherin des Landkreises Wolfenbüttel, dessen „Leitfaden“ sei lediglich „eine Hilfestellung für die Mitarbeitenden der Kreisverwaltung und keine Dienstanweisung“.

Städtetag: keine deutschlandweiten regeln in Sicht

Auch Braunschweigs Stadtsprecher Rainer Keunecke betont, die Stadt arbeite nicht an einer Richtlinie, die mit dem Hannoverschen Regelwerk vergleichbar wäre. Mit der Position, „in dieser gesellschaftlichen Angelegenheit“ könne nicht jede Kommune eine eigene Regelung suchen, steht Braunschweig in der Region allerdings allein da. Auch eine Sprecherin des Deutschen Städtetages dämpfte gegenüber unserer Zeitung die Hoffnung auf baldige deutschlandweite Regeln. Für eine Einigung sind die Haltungen der Städte zu verschieden.

Auch in Wolfsburg haben die Sprachregeln nicht die Verbindlichkeit einer Dienstanweisung. Allerdings unterstreicht Stadtsprecherin Monia Meier: „Der Verwaltungsvorstand hält es für essenziell, dass verwaltungsweit Schreiben, Vorlagen, Formulare, sonstige Texte, Broschüren etc. geschlechtergerecht formuliert werden.“ Auf eine hohe Verbindlichkeit läuft es dagegen im Landkreis Goslar hinaus, wo dieser Tage eine neue Richtlinie für die externe Kommunikation der Verwaltung – inklusive Regeln zur Geschlechtergerechtigkeit – verfasst wird. Momentan liegt der Entwurf auf dem Tisch der Gleichstellungsbeauftragten Theresia Menzel-Meer. Verbindlichkeit müsse schon sein, sagt Kreissprecher Maximilian Strache: „Ich gehe davon aus, dass die neuen Regeln in die Allgemeine Geschäftsordnung einfließen und dementsprechend bindend sein werden. Sonst macht es ja keinen Sinn.“

Wie ist es mit dem „dritten Geschlecht“?

Wie aber sehen sie nun aus – die Sprachregeln, mit denen die Städte und Kreise unserer Region Benachteiligungen von Frauen und Angehörigen des „dritten Geschlechts“ zu vermeiden suchen? Bisher geht unsere Region hier nicht so weit wie Hannover. Die explizite Empfehlung, die männliche und die weibliche Form zugunsten neutraler Formulierungen zu vermeiden, findet sich in keinem der Leitfäden, die unsere Zeitung einsehen konnte. Der Landkreis Peine empfiehlt sogar das genaue Gegenteil: „Wir benutzen hier in der Landkreisverwaltung das Schrägstrich-i, also Mitarbeiter/innen, wenn wir nicht beide Geschlechter einzeln benennen“ zitiert Sprecher Fabian Laaß die Gleichstellungsbeauftragte. Statt von „Kindern und Jugendlichen“ gelte es von „Mädchen und Jungen“ oder „jungen Frauen und jungen Männern“ zu sprechen – gerade um die beiden Geschlechter sichtbar zu machen.

Das „generische Maskulinum“

Einig sind sich die Städte und Landkreise darin, dass die ausschließliche Nutzung männlicher Formen, also des sogenannten „generischen Maskulinum“ der Wirklichkeit und den heutigen Erfordernissen nicht gerecht werde. Deswegen setzen sie auf eine Doppelstrategie aus Parallelisierung und Neutralisierung. Etwa gilt in der Verwaltung der Stadt Braunschweig der Grundsatz weibliche und männliche Formen nebeneinander („Beamtinnen und Beamte“) oder alternativ neutrale Bezeichnungen zu verwenden.

Mit Blick auf das „dritte Geschlecht“ haben die hiesigen Kreise und Städte noch keine einheitlichen Regelungen. Wie Goslar, so erklären auch die Landkreise Peine und Wolfenbüttel sowie die Stadt Wolfsburg, dass Sprachregeln für den Einbezug dieser Gruppe in Planung seien. Die Wolfsburger Sprecherin betont jedoch, viele Fachbereiche achteten in ihren Publikationen bereits gezielt auf die Berücksichtigung des „dritten Geschlechts“. Etwa werde in Stellenausschreibungen das „Gendersternchen“ verwendet.

Die Regelwerke entwickeln sich weiter

Die Regelwerke der Städte und Gemeinden, die teilweise zehn Jahre und älter sind, werden also fortwährend weitergeschrieben. Salzgitters Sprecherin Simone Kessner gesteht offen ein, dass man auf manche Frage – etwa die Ansprache des „dritten Geschlechts“ – noch keine abschließende Antwort gefunden habe: „Auch unter Betroffenen wird kontrovers diskutiert, ob das Gender­sternchen oder die Bezeichnung „divers“ tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sind.“

Wie sind die Verwaltungen bisher damit gefahren? „Die Erfahrung zeigt, dass ein Leitfaden nicht ausreicht, sondern dass immer wieder auch im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen für geschlechtergerechte Sprache sensibilisiert werden muss“, schreibt der Kreis Wolfenbüttels selbstkritisch. Salzgitters Sprecherin Simone Kessner berichtet immerhin, obwohl der dortige „Leitfaden“ nicht die Qualität einer formalen Dienstanweisung habe, sei dessen Akzeptanz in den rund zehn Jahren seines Bestehens stetig gestiegen. Einige Sprecher betonen allerdings auch, für diese Akzeptanz bedürfe es eines gegenseitigen Erfahrungsaustauschs innerhalb der Verwaltung. Eher nebulös berichtet der Sprecher des Landkreises Helmstedt: Gelegentliches Feedback sei „hin und wieder mal als Anregung“ an die Gleichstellungsbeauftragte weitergeleitet worden. „Das wurde dann hausintern erörtert und gegebenenfalls umgesetzt.“

Da sich Sprache einem ständigen Wandel unterliege, sei es entscheidend, „die laufende Entwicklung und die gesellschaftspolitische Diskussion achtsam, aber auch mit etwas Gelassenheit abzuwarten und angemessen zu reagieren“, sagt Salzgitters Sprecherin Kessner. Klar sei jedoch: Das weibliche Geschlecht in der Sprache sicht- und hörbar zu machen, sei lange überfällig gewesen. „Ob Bezeichnungen wie „Fußgängerüberweg“ jedoch schon als Diskriminierung empfunden werden, mag jeder (Mensch) für sich entscheiden.“