Braunschweig. Spektakuläre Einfahrt nach Braunschweig. Und ein Rezept, wie Opfer im Straßenverkehr verhindert werden können. Aber geht es auch auf?

Schon von weitem sind sie auf der A 36 zu sehen und zu hören – mehrere 100 Biker mit ihren Maschinen in der Anfahrt auf Braunschweig.

In Salzgitter sind sie an diesem Samstag-Nachmittag gestartet. Auf der Autobahnbrücke in Höhe Stöckheim und Mascherode stehen schon die Menschen und winken. Jetzt kommt der Lindwurm. Hupen und Winken auch von den Maschinen nach oben. Das Tempo ist gemächlich. Alles ist sicher, Polizei vorn und hinten, rechts und links. Es ist ein Ereignis für die Stadt am Samstag.

Grüße nach oben: Der Lindwurm der Biker passiert am Samstagnachmittag die Autobahnbrücke über die A 36 in Höhe von Stöckheim und Mascherode in Braunschweig.
Grüße nach oben: Der Lindwurm der Biker passiert am Samstagnachmittag die Autobahnbrücke über die A 36 in Höhe von Stöckheim und Mascherode in Braunschweig. © Henning Noske

Aber es ist – trotz der kraftvollen Lärmkulisse auf der Straße – auch ein besinnliches Ereignis, eines, das nachdenklich macht und machen soll: traditionelles Gedenken der Arbeitsgemeinschaft christlicher Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer Braunschweiger Land (ACM) an Biker, die bei Unfällen ums Leben gekommen sind.

14 Opfer, jedes ist eines zuviel. Die Holzkreuze mahnen zu Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Rücksichtnahme

Diesmal sind es 14 im Bereich der Polizeidirektion Braunschweig. Eher ein mittlerer Wert, es waren auch schon 26. Aber jeder und jede sind einer zuviel.

Das weiß Pfarrerin Marlen Below aus Salzgitter-Bad, seit 2019 die Beauftragte für die Seelsorge an Motorradfahrern der Landeskirche Braunschweig, die wir beim anschließenden Gedenkgottesdienst in St. Martini treffen.

Gedenkgottesdienst in Braunschweig mit den Pfarrerinnen Marlen Below (rechts) und Andrea Below, beide Salzgitter-Bad.
Gedenkgottesdienst in Braunschweig mit den Pfarrerinnen Marlen Below (rechts) und Andrea Below, beide Salzgitter-Bad. © Henning Noske

14 Holzkreuze werden dort von ihr, ihrer Frau Andrea Below, Pfarrerin am Gymnasium Salzgitter-Bad, und weiteren Aktiven hineingetragen. Darauf stehen die Vornamen: Martin, Volker Thorsten, Jamel, Jens, Jan, Frank, Volker Lothar, Lars, Andreas, Uwe, Izat, Marc, Martin, Markus … Alles Männer diesmal, sie waren zwischen 20 und 62 Jahren alt.

„In jedem Jahr bitten wir um Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Rücksichtnahme im Straßenverkehr – wir bitten alle Beteiligten darum“, sagt Marlen Below. Das besondere Motto in diesem Jahr: Sehen – Handeln – und Gesehen werden! Das kann Leben retten. Und die Motorrad-Pfarrerin macht klar, was das Entscheidende ist: „Ohne Sehen und Gesehenwerden wird’s lebensgefährlich. Aber das ist nicht alles. Auf Wahrnehmung im doppelten Sinn kommt es an.“

Wahrnehmung! Das ist Aufmerksamkeit im besten Sinne, um die es hier geht – und der andere im Straßenverkehr, er oder sie ist dann eben nicht lästig oder ein Feind, sondern ein Partner.

Die Selbstverpflichtung der Biker: „Ich will nicht teilnehmen an diesem gegenseitigen Zerfleischen der Wölfe“

Besser ist es. Aufmerksamkeit! Damit nicht nach schönen Tagen, wenn die Sonne wieder hervorkommt und die Maschinen herausgeholt werden, am nächsten Morgen wieder schreckliche Schlagzeilen von Unfallopfern in der Zeitung stehen. „Motorradfahrer werden oft mit einem schlechten Image in eine Schublade gesteckt. Mit Aktionen wie diesen möchten wir auch etwas dagegen tun“, sagt Marlen Below. „Wir setzen uns ein und kümmern uns.“

Die Kirchenband „Heavens Gate“ ihrer Kirchengemeinde Heilige Dreifaltigkeit in Salzgitter-Bad spielt jetzt „Verliebt in das Leben“ und „Bring den Frieden auf die Straße“.

Vorn am Altar die 14 Holzkreuze. Und wieder wird die Selbstverpflichtung der Biker gesprochen, und es wird gelobt: „Angesichts dieser Kreuze hier hinter mir und einer Welt, in der die Kraft des Stärkeren im Straßenverkehr wie im allgemeinen Umgang miteinander meist über die Umsicht des Einsichtigen siegt, erkläre ich: Ich will nicht teilnehmen an diesem gegenseitigen Zerfleischen der Wölfe.“

Gedenken: 14 Holzkreuze mit Vornamen und Alter von 14 Unfallopfern am Altar von St. Martini in Braunschweig.
Gedenken: 14 Holzkreuze mit Vornamen und Alter von 14 Unfallopfern am Altar von St. Martini in Braunschweig. © Henning Noske

Und etwas später der Schwur: „Ich will nicht auf Kosten anderer leben, und das soll auch in meinem Verhalten im Sraßenverkehr deutlich werden.“

Auch Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel, hier im Interview mit dem NDR, war wieder dabei.
Auch Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel, hier im Interview mit dem NDR, war wieder dabei. © Henning Noske

Auch Oberbürgermeister Frank Klingebiel und Landesbischof Christoph Meyns tragen Holzkreuze vor den Altar

Das kann man unterschreiben, das darf man auch mal versprechen. Auch Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel ist wieder mitgefahren. Neben Landesbischof Christoph Meyns ist er einer derjenigen, die eines der Holzkreuze in die Kirche tragen.

Ein friedlicher, nachdenklicher Tag. Aufbruch vom Altstadtmarkt.

Angefangen hatte alles mit dem Verkehrssicherheitstag ab 10 Uhr in Salzgitter-Lebenstedt. Dann startete die Demo-Fahrt im großen Motorrad-Konvoi nach Braunschweig. Die Holzkreuze wurden übrigens von Schülern der Berufsbildenden Schulen Salzgitter-Fredenberg gefertigt.

Die Strecke der Gedenkfahrt führte von der A 36 kommend über die A 39 zur A-391-Abfahrt Gartenstadt – und dann über die Theodor-Heuss-Straße zum Europaplatz und weiter über Güldenstraße und Sonnenstraße zum Altstadtmarkt. Die Otto-von-Guericke-Straße wurde während der Durchfahrt gesperrt. Insgesamt gab es keine Zwischenfälle.

Ankunft mit schweren Maschinen vor dem Braunschweiger Altstadtrathaus.
Ankunft mit schweren Maschinen vor dem Braunschweiger Altstadtrathaus. © Henning Noske

Unterstützt wird die Gedenkfahrt von der Polizei, der Braunschweigischen Sparkassenstiftung, der Verkehrswacht und der Motorradfahrer-Seelsorge der Braunschweigischen Landeskirche.

Organisator ist neben der ACM auch der Fachdienst Kultur der Stadt Salzgitter. Rund 100 Ehrenamtliche von ACM und befreundeten Motorradfahrergruppen, Johanniter-Unfallhilfe, Technischem Hilfswerk, Freiwilligen Feuerwehren sowie weiteren Gruppen sind beteiligt.

Die Motorrad-Gedenkfahrt wird seit vielen Jahren durchgeführt, um auf die Gefahren im Straßenverkehr hinzuweisen und alle Verkehrsteilnehmer anzuregen, aufeinander Rücksicht zu nehmen.

1986 hatte es mit einem Drive-In-Gottesdienst in Wolfenbüttel begonnen – inzwischen sind Jahr für Jahr einige Tausend Teilnehmer und Zuschauer dabei.

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