Wolfsburg/Coburg. Die ehemalige VW-Tochter bekommt zu spüren, was ein fränkisches Familienunternehmen von Mitbestimmung hält. Der Tarifstreit eskaliert.

Volkswagen und die IG Metall haben sich vergleichsweise flott auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Ungleich schwieriger gestaltet sich der Abschluss beim Join Venture Brose Sitech. Das zu Jahresbeginn an den Start gegangene Partnerunternehmen zwischen Brose aus Coburg und der einstigen VW-Tochter stellt Sitze und Innenraumkomponenten her. Bei den Tarifverhandlungen zeigt sich, dass die Kulturen bei dem Familienunternehmen aus Franken und der mitbestimmungsgeprägten Sitech noch nicht kompatibel sind.„Hier hält sich jemand nicht an die Spiel­regeln. Bestehende Tarifregeln kann man einseitig nicht einfach so zum Verhandlungs­gegenstand machen, ohne sie vorher ge­kündigt zu haben“, kritisiert IG Metall-Verhandlungsführer Thilo Reusch.

Eigentlich wollte man Synergieeffekte erzielen

Unerwartet kommt die starre Haltung der Geschäftsführung nicht. Personalchefin und Verhandlungsführerin Stefanie Wangemann hatte schon im Vorfeld davon gesprochen, dass die VW-Standards angesichts der wirtschaftlichen Ausgangslage nicht in Stein gemeißelt seien. Brose und die Sitech wollten eigentlich Synergieeffekte erzielen und im internationalen Geschäft expandieren. So wollte man sich auch wappnen für die neuen Herausforderungen, die die Transformation hin zur Elektromobilität mit sich bringen. Innenraumkonzepte inklusive der Sitze müssen entsprechend der veränderten Architektur der E-Fahrzeuge neu konzipiert werden. In einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, in dem Hersteller wie VW ihre Produktion heruntergefahren haben, hatte erstmals zu roten Zahlen bei Brose geführt.

Brose will eine Öffnung des Tarifvertrages, sagt die IG Metall

Das Verhalten der Vertreter der Brose Sitech GmbH in der zweiten Verhandlung wird von der IG Metall als Provokation gewertet. „Eine Einmalzahlung von 500 Euro war alles, was der Arbeitgeber als Angebot für die Beschäftigten mitgebracht hatte. Im Gegenzug sollen die Beschäftigten für die kommenden 15 Monate auf jegliche Tabellenerhöhung verzich­ten. Mehr freie Tage für die Mitglie­der der IG Metall: Auch hier Fehlan­zeige. Vielmehr sprachen die Arbeitgeber über weitere Gesprächsverpflichtungen: Sie stellen die 100-prozentige Übernahme der Auszubildenden in Frage und reden über eine Öffnung des Manteltarifvertrages. Darüber hinaus wollen sie über Befristungen und über Neuregelungen in der Zeitarbeit sprechen“, schreibt die Gewerkschaft. „Das ist das deutschlandweit schlechteste Angebot eines Arbeit­gebers in der diesjährigen Tarif­runde. So geht ein verantwortungs­voller Arbeitgeber nicht mit seinen Beschäftigten um“, kritisiert Metaller-Verhandlungsführer Reusch. Die Beschäftigten in Wolfsburg, es sind 1600, und Emden planen jetzt weitere Protestaktionen.

„Der einzige Kunde am Ort wird nicht mehr mit Teilen beliefert“

„Völlig unakzeptabel und auch volkswirtschaftlich unverantwortlich“, nannte die Wolfsburger Gewerkschaftssekretärin Felina Bodner das bisherige Angebot. „Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ist zu mehr als 60 Prozent vom privaten Konsum abhängig. Und als Tarifparteien müssen wir jetzt für eine Stabilisierung der Kaufkraft sorgen. Wir brauchen eine prozentuale Entgelterhöhung um 8 Prozent, damit die Beschäftigten kombiniert mit den Entlastungspaketen der Politik die enormen Kostensteigerungen bezahlen können.“ Bodner begründet die sehr zeitigen Warnstreik-Aktionen und das heftige Auftreten der IG Metall so: „Wir haben unsere Warnstreik-Aktionen kurzfristig organisiert, weil eine Tariferhöhung jetzt bitter nötig ist. So bitter nötig, dass wir sogar schon jetzt demonstrieren, bevor Volkswagen mit den eigenen Warnstreiks beginnt. Das ist unüblich und mutig zugleich und führt dazu, dass der einzige Kunde am Platz nicht mehr mit Teilen beliefert wird. Aber die Arbeitgeberseite nötigt uns förmlich dazu, jetzt auszustehen und zu zeigen, was in uns steckt.“Die IG Metall denkt weiter: Im Rahmen des Tarifabschlusses soll eine soziale Komponente, zum Beispiel durch eine Energiekosten-Pauschale realisiert wer­den. Und eine zentrale Forderung ist auch, die Regelung zu zusätzlichen freien Tagen als Wahloption zur Tariflichen Zusatzver­gütung zu verbessern: Mehr freie Tage für Mitglieder der IG Metall sind das Ziel. „Auf alle unsere Forderungen sind die Arbeitge­bervertreter nicht ernsthaft eingegangen“, so Thilo Reusch. Stattdessen forderte Stefanie Wangemann, die Beschäftigten müssten flexibler arbeiten. Bei einer höheren Flexibilität könne man vielleicht auch ein besseres Angebot machen.

„An Dreistigkeit nicht zu toppen“

Wissam Harb, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Brose Sitech, machte deutlich: „Der Frust und der Zorn über die Lohnblockade von Brose Sitech ist gewaltig. Das, was uns angeboten wurde, ist an Dreistig­keit nicht mehr zu toppen. Die Friedenspflicht ist abgelaufen. Jetzt gilt es für die IG Metall zu handeln. Unsere kampf­erprobte Belegschaft weiß, worum es geht und zeigt jetzt worauf es ankommt. Unsere Warnstreiks sind nur ein erster Vorgeschmack darauf, was die Arbeitgeber erwartet, wenn sie in der nächsten Tarifverhandlung kein deutlich verbessertes substanzielles Angebot vorlegen.“

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