„Neben dem Wort Digitalisierung ist das Wort Strategie einer der prägenden Begriffe unserer Zeit.“

Planungssicherheit ist eines dieser Wörter, die wohl die meisten mögen. Wer hätte nicht gern Planungssicherheit, also eine Art Garantie dafür, dass sich das, was er für die Zukunft plant, erfüllt? Zur Planungssicherheit gehören die äußeren Rahmenbedingungen, zum Beispiel Gesetze, aber auch eine Strategie, für die jeder selbst verantwortlich ist.

Neben dem Wort Digitalisierung ist das Wort Strategie einer der prägenden Begriffe unserer Zeit. Und das kommt nicht von ungefähr. Die Digitalisierung beschert uns einen tiefgreifenden technischen und gesellschaftlichen Wandel, Strategien sollen daher mehr denn je dafür sorgen, dass die bisher geltenden Wohlstandsgaranten unserer Wirtschaft und daraus abgeleitet unserer Gesellschaft erhalten bleiben: Know-how, Innovationsfähigkeit, Marktmacht.

Schauen wir auf das prominenteste und wichtigste Unternehmen in unserer Region: VW. Unter anderem wegen der zunehmenden Internationalisierung spielen in Wolfsburg Strategien schon lange eine besondere Rolle. Aber noch nie wurde so viel über Strategien gesprochen wie derzeit. Es gibt eine Strategie für China, die Digitalisierung, die Personalentwicklung, die E-Mobilität, das wachsende Segment der SUV, den Umbau der Komponenten-Fertigung, die Aufarbeitung des Abgas-Betrugs und und und. Es gibt also für wohl jede Herausforderung eine Strategie.

Eingebettet sind diese Einzelstrategien in eine Gesamtstrategie, die den aktuellen Erfolg des Autobauers, von dem unsere Region ganz besonders, aber auch Niedersachsen und ganz Deutschland profitieren, in das Zeitalter der vollvernetzten und selbst fahrenden E-Autos überführen soll.

Jürgen Rittersberger, neuer Leiter der VW-Konzernstrategie, stellte diesen Fahrplan in einer gut aufbereiteten Präsentation vor der Industrie- und Handelskammer Braunschweig vor. Weil unsere Zeitung über die einzelnen Punkte schon ausführlich berichtet hat, sollen die wichtigsten hier nur kurz genannt werden: Transformation zu neuen Antrieben und vernetzten Fahrzeugen, Optimierung der Verbrenner in der Übergangszeit, Erschließen neuer Mobilitätsgeschäftsfelder, zum Beispiel Car-Sharing oder Mitfahr-Dienste, mehr Software- und Batterie-Kompetenz, mehr Partnerschaften mit anderen Unternehmen, mehr Tempo und – eine neue Kultur.

Der letztgenannte Punkt ist der wichtigste, auch wenn er zunächst abstrakt klingt. Gemeint ist in diesem Fall nur indirekt die Veränderung des internen Umgangs bei VW als eine Konsequenz aus der Aufarbeitung des Abgas-Betrugs. Vielmehr braucht es eine Kultur ganz neuen kreativen Denkens.

Das klingt zwar irgendwie cool, ist aber eine enorme Herausforderung, die allergrößte Konzentration und Ernsthaftigkeit erfordert. Und das gilt längst nicht nur für VW, sondern für die meisten gestandenen Branchen. VW ist quasi nur die in unserer Region besonders sichtbare Spitze eines riesigen Eisbergs. In vielen vielen Betrieben, in vielen vielen Branchen zerbrechen sich Entscheidungsträger die Köpfe über Strategien für den Umgang mit dem Wandel. Darüber sollten wir froh sein, schließlich wollen wohl wir alle weiterhin im Wohlstand leben.

Allerdings haben Strategien stets eine natürliche Schwachstelle: Sie leiten ihre Ziele und die Wege, die zum Ziel führen sollen, stets aus dem Bekannten ab. Ein Beispiel: Entwürfe für Autos der Zukunft sehen zwar immer frisch, aber im Kern nicht dramatisch anders aus als aktuelle Autos. Das ist logisch, das Unbekannte kennen wir eben nicht, die Zukunft bleibt immer im Ungefähren.

Das war bisher kein Problem. Die Entwicklungszyklen folgten einem Tempo, das es erlaubte, Versäumnisse mit entsprechenden Anstrengungen aufzuholen. Das ganz Neue, das Überraschende war also beherrschbar. Aus diesem Wettlauf entwickelte sich in erfolgreichen Unternehmen ein Know-how für den Umgang mit dieser Mechanik.

Doch diese Mechanik verändert sich in unserer Zeit. Auch wenn es ein verallgemeinernder Oberbegriff ist, soll an dieser Stelle die Ursache Digitalisierung genannt werden. Sie ermöglicht nicht nur die Entwicklung neuer Technik für alle Lebensbereiche, sondern auch neue Kommunikationsformen, die die Welt zusammenrücken lassen. Wenn wir unseren Globus als ein Gehirn sehen, dann entstehen darin durch die Digitalisierung fortlaufend neue Synapsen, also Verknüpfungspunkte, die die Leistungsfähigkeit des Gehirns sprunghaft erhöhen. Es entsteht ein neues kreatives Potenzial, das in immer kürzerer Zeit zu neuen Entwicklungen führt. Um es kurz zu sagen: Die Wahrscheinlichkeit des Überraschenden nimmt deutlich zu.

Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen: neue Produkte von neuen Wettbewerbern, die es bisher nicht gab. Dabei haben es etablierte Branchen wie die Autobauer besonders schwer. Bei ihnen gibt es eine Tradition, das Neue stets aus dem Bestehenden abzuleiten, das ja bisher den Erfolg beschert hat. Dieses Modell allein wird in Zukunft aber kein Erfolgsgarant mehr sein.

VW hat daher Denkzentren eingerichtet, um sich auf diese Entwicklung einzustellen. Um erfolgreich zu sein, benötigen diese Zentren ein Höchstmaß an Freiheit, um das Unerwartete erspüren zu können oder selbst zu entwickeln ­– um kreativ sein zu können. Auch das zu gewährleisten ist für einen Megakonzern, der ja irgendwie geführt werden muss, ein Kraftakt – ein Kulturwandel.

An ihm führt aber kein Weg vorbei. Denn mehr denn je gilt: Erstens kommt es anders und zweitens als du denkst.