Das Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ist gerade mal zwei Verhandlungstage „alt“, und doch gibt es schon einige ganz wichtige Erkenntnisse. Die wohl wichtigste: Der von einigen Beobachtern immer wieder erhobene Vorwurf, die Braunschweiger Gerichte seien zu VW-freundlich, bestätigt sich nicht.

Das wurde spätestens am Dienstag deutlich, als der Vorsitzende Richter Christian Jäde den Autobauer und dessen ehemaligen Vorstandschef Martin Winterkorn anhaltend kritisierte. Jäde machte deutlich, dass es das Gericht nicht für abwegig hält, dass VW die Aufarbeitung des Betrugs in Deutschland nicht so betrieben hat, wie es erforderlich gewesen wäre. Und er machte deutlich, dass Winterkorn dabei eine zentrale Rolle zukommen könnte, weil er womöglich zu untätig war und früher von den Manipulationen gewusst haben könnte, als bisher dargestellt.

Während der Ausführungen Jädes war die Stimmung in der Braunschweiger Stadthalle, die wegen des großen Andrangs als Verhandlungssaal genutzt wurde, so angespannt, und es war so still, dass das Niedersinken einer Flaumfeder wohl als Donnergrollen wahrgenommen worden wäre. Deutlich war also zu spüren: Die Verhandlung wird für Volkswagen alles andere als ein Selbstgänger. Ein unabhängiges und gründliches Verfahren ist ganz wichtig für das Rechtsempfinden der Gesellschaft, die ohnehin von einer wachsenden Skepsis gegenüber öffentlichen Einrichtungen geprägt ist.

Die zweite Erkenntnis: In Braunschweig wird Rechtsgeschichte geschrieben. Und das nicht nur, weil hinter dem Musterverfahren Milliardenforderungen der Anleger stehen und mit Detailfragen juristisches Neuland betreten wird. Die Verhandlungen werden zugleich zu einem Test. Musterverfahren haben das Ziel, Klagen zu bündeln, Gerichte zu entlasten und Zeit zu sparen. Der Fortgang in Braunschweig wird zeigen, ob dieses Konzept aufgeht.