Braunschweig. Interview: Gesundheitsministerin Daniela Behrens spricht über die Hitze, die Sommerwelle und ihre Unzufriedenheit mit der Corona-Politik der Ampel.

Mitten in der Corona-Krise ins Amt gekommen, ist Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens mittlerweile eine feste Größe in Niedersachsens Politik. Auf ihrer Sommerreise besuchte die SPD-Politikerin unsere Redaktion. Im ersten Teil unseres Interviews geht es um gesundheitspolitische Fragen angesichts häufigerer Hitzewellen – und den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Teil 2 des Interviews lesen Sie hier.

Letzte Woche hatten wir neue Temperaturrekorde in der Region. Auch diese Woche wird es wieder sehr warm. Wie erleben Sie diese heißen Tage?

Ich bin gerade auf Sommerreise. Statt, wie sonst, am Schreibtisch Akten zu wälzen und Vermerke zu lesen, sehe ich mir gerade überall im Land Projekte an. Die beiden Hitzetage in der vergangenen Woche waren schon hart. Zum einen sah man auf den Fotos, die gemacht wurden, nicht so gut aus (lacht), zum anderen merkt man natürlich, wie alle unter der Hitze ächzen. Zum Glück sind solche Tage immer noch nicht die Regel. Aber natürlich sind wir heute besonders sensibilisiert, weil uns Klimawandel und Energiekrise sehr beschäftigen.

Die Hitze beeinträchtigt auch die Gesundheit. Kommen Sie in den Gesprächen auf Ihrer Sommerreise unweigerlich darauf zu sprechen?

Ja, wenn Wetterlagen so extrem sind, kommt man daran nicht vorbei. Gerade für ältere Menschen, besonders in Alten- und Pflegeeinrichtungen, ist die Hitze eine Herausforderung. Schon unter normalen Bedingungen müssen die Pflegekräfte darauf achten, dass die Bewohnerinnen und Bewohner genug trinken. An heißen Tagen ist das doppelt wichtig. Das gilt natürlich auch in Krankenhäusern. Von daher habe ich dieses Thema immer auf dem Zettel.

Durch den Klimawandel hat die Zahl der Hitzetage in Niedersachsen extrem zugenommen. Im Rekord-Hitzesommer 2018 gab es geschätzt 8700 Hitzetote in Deutschland. Braucht es jetzt nicht besondere Anstrengungen, um Menschen besser zu schützen?

Es stimmt, unser Gesundheitssystem muss sich dem Thema stellen. In Niedersachsen treiben wir gerade mit großer Energie die Modernisierung der Krankenhäuser voran. Dazu gehört auch, dass diese energetisch und klimatechnisch so aufgestellt sind, dass dort eine gewisse Wohlfühltemperatur herrscht – für die Patientinnen und Patienten ebenso wie für das Personal. In der Altenpflege ist es unter den Bedingungen, die Sie geschildert haben, umso wichtiger, dass genügend Personal vorhanden ist, das unter Hitze – wie sonst auch – jederzeit gut auf die Bewohnerinnen und Bewohner eingehen kann. Hier ist unsere Gesundheitspolitik jetzt aber keine andere als in Zeiten, in den es nicht so warm ist. Die Hauptsache ist, dass wir uns jederzeit auf alle Situationen vorbereiten. Insofern ist das ein Thema, das gerade en vogue ist, das wir aber immer mitdenken.

En vogue – das klingt ein bisschen, als sehen Sie die Klimaanpassung als modische Erscheinung.

Natürlich sind Hitzewellen, wie wir sie gerade erleben, besondere Anlässe, bei denen das Thema zu Recht öffentlich diskutiert wird. Aber die Hitze ist ja an sich nichts Neues. Schon jetzt gibt es für Alten- und Pflegeheime sowie Krankenhäuser sehr gute Handreichungen des Landesgesundheitsamtes zum Thema Hitze in der Pflege. Das ist also nichts, was uns jetzt erst auffällt. Im Gesundheitswesen haben wir immer mit vulnerablen Gruppen zu tun – seien es kranke oder ältere Menschen. Wir nehmen das also nicht auf die leichte Schulter.

Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel: Wir diskutieren gerade, auch mit anderen Bundesländern, wie wir die gesundheitlichen Schäden durch die Hitze auch statistisch besser fassen können. Momentan gibt es dazu lediglich Schätzungen. Außerdem haben wir keine verbindliche Definition, welche Sterbefälle überhaupt unter „Hitzetote“ fallen. Bei der Festellung der Todesursache spielt diese Frage bisher keine Rolle. Daher bewegen wir uns hier immer noch oft im Ungefähren, arbeiten mit Schätzungen oder Eindrücken. Um das Thema ernster zu nehmen, brauchen wir verbindliche Festlegungen – Was ist ein Hitzetoter? – und müssen die entsprechenden Fälle auch als solche dokumentieren. Sonst haben wir zwar ein Gefühl, aber keine Daten. Erst auf deren Grundlage kann man vernünftige Schlussfolgerungen ziehen.

Die Klimaanpassung von Kliniken und sozialen Einrichtungen ist oft mit teuren Umbauten verbunden. Sie zu finanzieren, ist bei Krankenhäusern Aufgabe der Länder.

Das ist unstrittig. Für Investitionen sind die Länder zuständig. Und das ist in den letzten Jahren in Niedersachsen – wie in anderen Ländern – nicht immer auf bestem Niveau passiert, weil es an dem nötigen Geld fehlte. Immerhin haben wir es geschafft, die Investitionsmittel jährlich deutlich zu erhöhen. Inzwischen habe ich hierfür im Jahr
150 Millionen Euro zur Verfügung. Und unsere mittelfristige Finanzplanung sieht weitere Erhöhungen vor. Unabhängig von der Zusammensetzung der künftigen Landesregierung brauchen wir noch mehr Mittel für Investitionen in unsere Krankenhäuser. Und das hat nicht nur mit Klimaanpassung und Hitze zu tun, sondern auch damit, dass die Häuser am Fortschritt der Medizin teilhaben sollen. All dies verursacht höhere Kosten.

Dem gegenüber steht die angespannte Lage des Landeshaushalts.

Die Finanzlage ist sehr schwierig und wird angesichts der momentanen Herausforderungen sicher nicht einfacher. Aber es gibt ja innovative Instrumente. Wenn ich mein momentanes Budget dafür nutzen könnte, um ein Investitionsprogramm über den Kreditmarkt zu finanzieren, wäre dies ein Hebel, über den ich relativ kurzfristig sehr viel mehr Geld zur Verfügung hätte. Wir brauchen in den nächsten Jahren 2 bis 3 Milliarden Euro für die Krankenhäuser in Niedersachsen. Und die müssen zur Verfügung gestellt werden.

Glauben Sie, dass eine solche Finanzierung auf Pump mit Finanzminister Hilbers (CDU) zu machen ist?

Egal ob Herr Hilbers im Amt ist oder jemand anders – diese Frage muss beantwortet werden. Die Krankenhäuser sind schlicht darauf angewiesen. Natürlich hat auch die öffentliche Hand das Recht, Investitionen und Modernisierungen über Kredite zu finanzieren. Wir stecken das Geld schließlich nicht in den Konsum. Im Übrigen nutzen wir solche Instrumente bereits. Denken Sie an das Sondervermögen für die Hochschulkliniken, das wir über den Wissenschaftshaushalt finanzieren. So etwas stelle ich mir auch für den Krankenhausbereich vor.

Zur Person

Daniela Behrens ist Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Sie wurde im März 2021 von Ministerpräsident Stephan Weil ernannt, nachdem die Braunschweigerin Carola Reimann krankheitsbedingt zurückgetreten war. Vorher war die SPD-Politikerin Behrens Abteilungsleiterin im Bundesfamilienministerium. Die 54-Jährige, die vor ihrer politischen Laufbahn Journalistin war, ist verheiratet und lebt in Bokel im Landkreis Cuxhaven.

Mitten im Sommer erleben wir gerade, dass sich so viele Menschen mit Corona anstecken wie kaum je zuvor in der Pandemie. Sehen wir gerade so etwas wie eine Durchseuchung der Bevölkerung?

Es ist derzeit hart für alle Bereiche des Lebens. Den Begriff Durchseuchung würde ich trotzdem vermeiden, denn er suggeriert, dass das, was da passiert, mit Absicht geschieht. Das ist nicht dar Fall.

Die Situation ist: Auf der einen Seite haben wir mit der Omikron-Variante BA.5 ein hochinfektiöses Virus, auf der anderen Seite haben wir keine Schutzmaßnahmen mehr. Ich bedauere das und habe es auch von Anfang an kritisiert. Es gibt wieder viele Großveranstaltungen, auf denen kaum noch Mund- Nase-Bedeckung getragen wird. Auch die Abstands- und Hygieneregeln sind bei Vielen etwas in den Hintergrund getreten. Deshalb erleben wir gerade enorm viele Infektionen, die zu Ausfällen und Krankheitsfällen führen. Aber die gute Nachricht ist: Dies schlägt sich, auch dank der guten Impfquote, nicht in einer besonderen Belastung der Intensivstationen nieder. Das ist ein Unterschied gegenüber den Vorjahren.

Trotzdem fühlen Sie sich in Ihrer deutlichen Kritik bestätigt, die Sie im Frühjahr am aktuellen Infektionsschutzgesetz der Ampelkoalition in Berlin geübt haben?

Dass die Intensivstationen in Niedersachsen nicht über Gebühr mit Corona-Patienten belastet sind, führt Gesundheitsministerin Daniela Behrens auch auf die „gute Impfquote“ zurück. Derzeit sind 77,7 Prozent der Niedersachsen grundimmunisiert.
Dass die Intensivstationen in Niedersachsen nicht über Gebühr mit Corona-Patienten belastet sind, führt Gesundheitsministerin Daniela Behrens auch auf die „gute Impfquote“ zurück. Derzeit sind 77,7 Prozent der Niedersachsen grundimmunisiert. © dpa | Robert Michael

Auf jeden Fall. Und viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen das genauso. Wir haben die Mund-Nase-Bedeckung fünf bis sechs Wochen zu früh abgeschafft. Hätten wir die Maskenpflicht, etwa beim Einkaufen oder bei Veranstaltungen, weiter gehabt, hätte es sich möglicherweise anders entwickelt. Das war in Berlin aber nicht gewollt. Wir Länder sind dazu verpflichtet worden, Schutzmechanismen abzubauen. Wir haben durch das Infektionsschutzgesetz nur noch ganz wenige Instrumente zur Verfügung. Diese nutzt Niedersachsen. Aber die jetzige Infektionswelle hat neben der Ausbreitung der
BA.5-Variante natürlich auch mit den fehlenden Schutzmaßnahmen zu tun.

Die verbliebenen Corona-Bestimmungen im Infektionsschutzgesetz des Bundes laufen am 23. September aus. Wie gut können Sie sich unter diesen Bedingungen auf den Herbst vorbereiten?

Was wir in Niedersachsen eigenverantwortlich tun können, das tun wir. Erstens: Beim Thema Impfkampagne sind wir sehr gut aufgestellt. Mit den niedergelassenen Ärzten, den mobilen Impfteams und den Impfstellen der Kommunen haben wir eine wirklich gute Infrastruktur. Wir sind dadurch in der Lage, innerhalb weniger Wochen drei Millionen Menschen zu impfen. Das haben wir im vergangenen Herbst gezeigt. Wenn es notwendig wird, dass im Herbst alle noch einmal geimpft werden oder dass die Über-60-Jährigen womöglich noch ein fünftes Mal geimpft werden, dann sind wir dazu in kürzester Zeit in der Lage. Die Impfung ist und bleibt unser wirksamstes Mittel im Kampf gegen die Pandemie. Zweitens behalten wir die Lage in den Krankenhäusern im Auge. Früher wussten wir: Wenn die Inzidenz nach oben weist, bekommen wir das drei bis vier Wochen später in den Kliniken zu spüren. Dieser Zusammenhang besteht mit Omikron nicht mehr so deutlich. Deswegen sind wir darauf angewiesen, die Lage direkt in den Kliniken zu beobachten. Wir sind eines der wenigen Bundesländer, die die Belastung der Intensivbetten und der Normalstationen mit Covid-Patienten laufend erfassen. Ich bekomme die aktuellen Zahlen von den Krankenhäusern jeden Tag auf den Tisch und kann so relativ schnell feststellen, ob es besorgniserregende Entwicklungen gibt, die Handeln erfordern. Drittens stehen wir in engem Kontakt mit der Wissenschaft. Da wir aber nicht sicher wissen, wie sich dieses Virus in Zukunft noch verändert, müssen wir hier auch ein Stück weit auf Sicht fahren.

Welche Schutzmaßnahmen sollte das Infektionsschutzgesetz enthalten, wenn dieses nach der Sommerpause noch einmal verlängert oder angepasst wird?

Wir brauchen für den Herbst ein neues Infektionsschutzgesetz, das uns im Fall der Fälle die nötigen Instrumente zur Verfügung stellt. Ich möchte nichts beschränken, wo dies nicht notwendig ist. Wenn aber plötzlich eine veränderte Virusvariante unterwegs ist, die wieder schwerere Krankheitsverläufe zur Folge hat, und Veranstaltungen beschränkt werden müssen, dann könnte ich das mit den derzeitigen Regeln nicht tun. Das muss in so einem Fall aber möglich sein. Deshalb muss das neue Gesetz uns, den Ländern, Instrumente in die Hand geben, um angemessen reagieren zu können. Momentan muss ich leider darauf warten, dass die Krankenhäuser voll sind und kann selbst dann nur wenig machen. Das ist nicht klug.

Darauf haben Sie im März auch gedrungen – ohne Erfolg.

Es ist kein Geheimnis, dass Niedersachsen mit dem jetzigen Infektionsschutzgesetz nicht glücklich war und auch bis heute nicht ist – und das nicht, weil wir Lust haben, das Leben der Menschen zu beschränken. Aber wie wissen, dass nicht jeder so gut mit Corona umgehen kann. Es gibt Long Covid, es gibt viele Ältere, die immer noch schwer erkranken können. Daher können wir nicht so tun, als wäre diese Pandemie vorbei.

Teil 2 des Interviews lesen Sie hier. Darin geht es unter anderem um Arbeitsbedingungen in der Pflege und Ärztemangel auf dem Land.

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