Braunschweig. Mit dem Klimawandel nimmt die Häufigkeit von Hitzewellen in der Region Braunschweig zu. Bei den Vorbereitungen sind vor allem die Kommunen gefragt.

Nur allzu gern würde man dieser Tage in der „Bahnstadt“ leben. Das Viertel ist rundum klimafreundlich. Kaltluftleitbahnen sorgen für die Kühlung und Belüftung von Wohnung und Arbeitsplatz. Entsiegelte Grünflächen laden nicht nur mit schattigen Plätzchen zum Verweilen ein, sondern speichern Wasser wie ein Schwamm und sorgen für Verdunstung. Sie üben „einen möglichst großen Kühlungs- und Frischlufteffekt auf den umgebenden Stadtkontext aus, um den dort lebenden Bewohnern Raum für Erholung sowie Naturerfahrung im unmittelbaren Umfeld zu bieten“. So soll sie sich anfühlen, die klimaangepasste Stadt. Der einzige Haken: Auch wenn der Rahmenplan der Braunschweiger Stadtverwaltung steht, noch ist die „Bahnstadt“, das neue Viertel, das südlich des Hauptbahnhofs gebaut werden soll, Zukunftsmusik.

Anpassung an unvermeidbare Folgen des Klimawandels

Die Klimaanpassung, also unser Umgang mit den unvermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels, ist eine der größten Herausforderungen dieser Zeit. Diese Hitzetage erinnern uns daran. Und die heißen Tage werden immer häufiger in unseren Breiten, wie Daten des Deutschen Wetterdienstes DWD zeigen: Im Schnitt der 30 Jahre von 1961 bis 1990 gab es in Niedersachsen jährlich 3,1 Tage mit Temperaturen von über 30 Grad. Der gleiche Wert für die darauf folgenden drei Jahrzehnte ist mehr als doppelt so hoch: Zwischen 1991 und 2021 waren es im Schnitt 7,1 Hitzetage. Und das ist nur der Mittelwert. Im Rekordjahr 2018 herrschten an sage und schreibe 19 Tagen mindestens 30 Grad. Laut Niedersachsens Umweltministerium werden solche Verhältnisse in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts zur Regel, wenn nicht endlich massive Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden.

Doch der Klimaschutz ist eben nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, sich an den Klimawandel anzupassen, der sich längst vollzieht – mit gravierenden Folgen. Laut Schätzung von Experten des DWD und des Robert-Koch-Instituts führen die Tage mit extrem hohen Temperaturen zu einer statistisch auffälligen Zahl hitzebedingter Sterbefälle: rund 8700 im Jahr 2018, 6900 im Jahr 2019 und 3700 im Jahr 2020. In Deutschland.

Die Kommunen sind die Schlüsselakteure

Wie das Beispiel der „Bahnstadt“ zeigt, sind die Städte, Gemeinden und Landkreise Schlüsselakteure beim Thema Klimaanpassung. Landesumweltminister Olaf Lies appellierte deshalb schon Mitte Juni an die Kommunen, „Hitzeaktionspläne“ aufzulegen und umzusetzen. „Die Kühlung unserer Städte ist insbesondere im Hinblick auf den Schutz der besonders vulnerablen Gruppen extrem wichtig“, so Lies. Doch so unmissverständlich die Forderung auf den ersten Blick scheint – „Hitzeaktionspläne sind kein geschützter Begriff“, wie ein Sprecher des Ministers erläutert. Tatsächlich gibt es keine rechtliche Verpflichtung, entsprechende Pläne aufzustellen. Für die Kommunen ist Klimaanpassung freiwillig. Bei den Hitzeaktionsplänen, so der Sprecher, handele es sich dementsprechend nur um einen „unverbindlichen Appell“ des Ministers.

Was es aber gibt, sind „Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen“, nachzulesen auf der Webseite des Bundesumweltministeriums. Zu diesen Empfehlungen, die eine Bund-Länder-Gruppe bereits 2017 als „Blaupause“ für die kommunalen Behörden erarbeitet hat, zählen etwa das Nutzen von Frühwarnsystemen und das rechtzeitige Aufklären der Öffentlichkeit. „Besonders berücksichtigt werden müssen hier auch betroffene Einrichtungen, wie zum Beispiel Altenheime/Pflegeheime, Krankenhäuser und Kindertageseinrichtungen, um die vulnerablen Personengruppen zu erreichen“, heißt es.

In der prallen Nachmittagssonne auf dem Braunschweiger Nußberg war die Gluthitze dieser Tage kaum auszuhalten. Wie die Daten des Deutschen Wetterdienstes zeigen, ist die Zahl der heißen Tage mit 30 Grad und mehr seit 1951 im Mittel um 7,2 angestiegen. Die hohen Temperaturen führen auch in Deutschland zu zahlreichen Hitzetoten.
In der prallen Nachmittagssonne auf dem Braunschweiger Nußberg war die Gluthitze dieser Tage kaum auszuhalten. Wie die Daten des Deutschen Wetterdienstes zeigen, ist die Zahl der heißen Tage mit 30 Grad und mehr seit 1951 im Mittel um 7,2 angestiegen. Die hohen Temperaturen führen auch in Deutschland zu zahlreichen Hitzetoten. © Peter Sierigk | Jürgen Runo

Dennoch ergeben Anfragen unserer Zeitung an die drei kreisfreien Städte Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter sowie an die Landkreise Gifhorn und Wolfenbüttel, dass dort bisher keine Hitzeaktionspläne erstellt wurden. Aus dem Landkreis Wolfenbüttel heißt es lapidar, die Verwaltung werde sich mit dem Thema beschäftigen. Doch: „Bisher liegt eine solche interdisziplinäre Planung nicht vor.“

Auch im Landkreis Gifhorn gibt es noch keinen Hitzeaktionsplan. Die Pressestelle verweist darauf, dass „Einrichtungen, in denen vulnerable Gruppen leben, individuelle Konzepte haben, in denen erläutert wird, welche Maßnahmen im Falle eines Hitzeereignisses durchzuführen sind“. Wolfsburg lässt die Frage nach einem Hitzeaktionsplan gleich ganz unbeantwortet, erklärt aber, Klimaschutz und Klimaanpassung werde in der Verwaltung „als Querschnittsaufgabe betrachtet und schon längere Zeit verfolgt“.

Stadt Braunschweig will notfalls kühle „Ersatzräume“ ausweisen

Auch Braunschweig ist bisher „ohne konkreten Hitzeaktionsplan“. Allerdings betont auch hier die Stadt, dass im Fall einer gefährlichen Hitzewelle „für die gesamte Stadt die notwendigen Maßnahmen klar und schnell veranlasst werden“. So habe das Gesundheitsamt alle Pflegeheime aufgefordert, sich beim DWD zu registrieren, um jederzeit über absehbare Hitzetage und die Gesundheitsgefahren auf dem Laufenden zu sein. Man werde zudem noch einmal „aktuell alle Pflegeheime mit Handlungsanweisungen diesbezüglich erinnern“.

Von großer Bedeutung ist auch, dass die Kommunikationskanäle funktionieren. Braunschweig will dies sicherstellen, indem es die Bevölkerung „über Pressemitteilungen und soziale Medien über richtiges Verhalten“ informiert. Gleiches geschehe auch bei Veranstaltungen, wenn durch große Hitze Gefährdungen zu erwarten sind. Sollten die Vorkehrungen dennoch nicht ausreichen, werde „eine verwaltungsübergreifende Gefahrenabwehrleitung für die Stadt Braunschweig einberufen, die kurzfristig alle nötigen Maßnahmen veranlasst“. Zudem werde die Stadt für den Fall, dass Teilen der Bevölkerung keine ausreichend kühlen Räume zur Verfügung stehen, entsprechende „Ersatzräume“ benennen und zur Verfügung stellen.

Neben den kurzfristigen Vorbereitungen auf akute Hitzetage bedeutet Klimaanpassung aber auch mittel- und langfristiges Handeln. Wie müssen Städte oder Gemeinden geplant oder umgebaut werden, damit sie besser mit einem sich rasant wandelnden Klima zurechtkommen? Wie müssen sich Verwaltungen aufstellen, um besser gewappnet zu sein? Für Projekte, die solche Fragen aufgreifen, gibt es mittlerweile zahlreiche Förderungen, vor allem vom Bund, für die sich Kommunen bewerben können. Erst am Dienstag hatte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ein 176 Millionen Euro schweres
Programm zur Anpassung städtischer Räume an den Klimawandel für die Jahre 2022 bis 2025 vorgestellt.

„Klimaanpassungsmanager“ sollen das Thema voranbringen

Eine andere, 2021 geschaffene Bundesförderung betrifft die Einstellung sogenannter Klimaanpassungsmanager, die sich das Thema in den kommunalen Verwaltungen umfassend vornehmen sollen. Doch von den befragten Städten und Landkreisen unserer Region hat nur Wolfsburg erklärt, die Förderung eines Klimaanpassungsmanagers beantragt zu haben. Dieser soll nach dem Willen der Verwaltung in einem neuen für Klima zuständigen Bereich des städtischen Umweltamtes sitzen, der gerade aufgebaut werde. Im Niedersächsischen Kompetenzzentrum Klimawandel (NIKO), das seit 2021 Kommunen bei Klimathemen vernetzt und berät, sieht man in den Managern eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Kommunalverwaltungen sich dem Thema intensiver stellen. Denn, so erläutert NIKO-Leiterin Lena Hübsch im Gespräch mit unserer Zeitung: „Klimaanpassung ist ein Thema, das man nicht mal eben nebenbei mit erledigt.“

In unserer Region – gerade in den Städten – gibt es bereits eine beachtliche Zahl geförderter Projekte. So hat etwa Salzgitter mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums ein umfassendes „Konzept zur Anpassung an den Klimawandel“ erarbeitet, das derzeit in den Ortsräten und Ausschüssen beraten wird und im November vom Rat der Stadt beschlossen werden soll. Ähnlich in Braunschweig, das ebenfalls Fördermittel eingeworben hat, um künftig „in einem Netzwerk von Stakeholdern, Vereinen/Initiativen sowie Bürgerinnen und Bürgern“ eine Klimaanpassungsstrategie zu entwickeln.

Hoher Aufwand beim Stellen von Förderanträgen

„Viele Städte und Gemeinden würden gerne noch mehr tun. Hierfür müssen Land und Bund aber die nötigen Mittel bereitstellen“, sagt Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. (Archivfoto)
„Viele Städte und Gemeinden würden gerne noch mehr tun. Hierfür müssen Land und Bund aber die nötigen Mittel bereitstellen“, sagt Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. (Archivfoto) © Lohmann, Stefan

Trotzdem werden, wie aus dem NIKO zu erfahren ist, in vielen Fällen verfügbare Förderungen gar nicht von den Kommunen beantragt – sei es, weil manche Programme vor Ort gar nicht bekannt sind, oder weil die Hürden viele Gemeinden überfordern. Als Beispiel verweist Lena Hübsch auf den sehr hohen Aufwand, den es bedeutet, die Finanzierung eines Klimaanpassungsmanagers zu beantragen.

Bei allem Stolz auf das Erreichte erkennen die niedersächsischen Städte und Gemeinden diese Probleme. Marco Trips, der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, erklärt auf Anfrage: „Auch wenn viele unserer Mitgliedskommunen bereits erste Schritte eingeleitet haben, reicht die finanzielle und daraus folgend personelle Grundausstattung zur Erledigung dieser freiwilligen Aufgabe oftmals nicht für umfangreiche Maßnahmen aus.“ Viele Städte und Gemeinden würden ihm zufolge gerne mehr tun, damit Problembereiche wie etwa das Wassermanagement angegangen und die Bevölkerung und Wirtschaft für die notwendigen Anpassungen sensibilisiert werden könnten. „Hierfür müssen Land und Bund aber die nötigen Mittel bereitstellen. Kleinteilige Förderprogramme und die Auslobung von Wettbewerben reichen nicht aus“, so Trips.