Braunschweig. Braunschweiger Virologe Luka Cicin-Sain warnt davor, auf harmlosere Varianten zu vertrauen. Er sieht Verbesserungsbedarf bei globaler Impfstrategie.

Leidet die Bekämpfung der Corona-Pandemie bei uns darunter, dass weltweit zu wenig gegen das Entstehen neuer Virus-Mutanten getan wird? Keiner ist sicher, solange nicht alle sicher sind – heißt es in Appellen, auch die Bevölkerung ärmerer Länder – insbesondere auf der Südhalbkugel – verstärkt zu impfen.

Jüngste Berichte über die neue, in Frankreich entdeckte Variante B.1.640.2, die offenbar aus dem westafrikanischen Land Kamerun stammt, wirft die Frage nach der weltweiten Impfstrategie erneut auf. Darüber und über die fortwährende Weiterentwicklung des Virus sprachen wir mit Luka Cicin-Sain. Der kroatische Forscher leitet die Abteilung Virale Immunologie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig.

Dass die neue Variante aus einem afrikanischen Land stammen könnte, überrascht Cicin-Sain nicht. Schließlich könnten Mutationen verstärkt dort auftreten, wo die Verbreitung des Virus nicht durch eine stärkere Immunisierung der Bevölkerung gebremst ist. „Virusmutanten können nur bei der Virusvermehrung entstehen, wenn das Virus sein Erbgut dupliziert und eine Kopie erstellt“, erklärt er. Kommt es bei diesem Kopiervorgang zu Fehlern, entstehen Mutationen. Oft seien die so entstandenen Mutanten unbedenklich oder sogar schädlich für den Virus, sagt er. Es gebe allerdings auch Mutationen, die Vorteile für die Vermehrung mit sich brächten – „und die setzen sich dann durch“. Folglich sei dort, wo sich viele Menschen ansteckten, die Wahrscheinlichkeit neuer problematischer Varianten erhöht.

Impfrate in Kamerun bei 2,5 Prozent

Während in Deutschland und anderen Industrienationen immer größere Teile der Bevölkerung bereits zum dritten Mal geimpft werden, sind viele Menschen in anderen Teilen der Welt nicht einmal erstgeimpft. Laut der Johns Hopkins University liegt die Corona-Impfquote in Kamerun gerade einmal bei 2,5 Prozent. Was also tun, damit eine globale Impfstrategie besser funktioniert als bisher?

„Ich habe nicht den Eindruck, dass Impfstoff-Patente alleine den Engpass für eine globale Impfstrategie darstellen“, sagt Prof. Luka Cicin-Sain, Leiter der Abteilung „Virale Immunologie“ am HZI.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass Impfstoff-Patente alleine den Engpass für eine globale Impfstrategie darstellen“, sagt Prof. Luka Cicin-Sain, Leiter der Abteilung „Virale Immunologie“ am HZI. © Andreas Eberhard | Andreas Eberhard

Viele Schwellen- und Entwicklungsländer sprechen sich für eine Aufhebung des Patentschutzes von Impfstoffen aus. Sie sehen darin einen Weg, die Impfstoffe im Süden der Welt schnell und bezahlbar zur Verfügung zu stellen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dagegen hat sich in unserer Zeitung kürzlich gegen die Freigabe von Impfstoff-Patenten ausgesprochen. Cicin-Sain stimmt ihr zu: „Ich habe nicht den Eindruck, dass Impfstoff-Patente alleine den Engpass für eine globale Impfstrategie darstellen.“ Wo es Hindernisse durch Patente gebe, könne man diese etwa durch die UNICEF-Impfkampagne Covax umgehen und ausgleichen. Schwieriger sei es, die logistischen Probleme zu lösen. So stellten die notwendigen Kühlketten vielerorts in Schwellenländern kaum lösbare Schwierigkeiten dar – etwa wenn es gelte, den Biontech-Impfstoff, der bei minus 70 Grad gelagert werden müsse, in entlegene Dörfer zu transportieren. Ein mindestens ebenso wichtiges Problem ist Cicin-Sain zufolge die mangelnde Impfbereitschaft: „Eine bessere und wissenschaftlich fundierte Kommunikation, ist sowohl in den klassischen als auch in den sozialen Medien notwendig“, sagt er. Dies gelte im Übrigen auch in Europa.

„Erreger wird nicht zwangsläufig harmloser“

Während die neuen Virusvarianten und infolgedessen der sinkende Impfschutz Anlass zur Sorge geben, gibt es auch Hoffnungen, dass die Gefährlichkeit des Erregers nachlassen könnte. So hatte Ende Dezember HZI-Chef Dirk Heinz unserer Zeitung gesagt: „Das Potenzial dieses Virus, immer gefährlichere Varianten zu erzeugen, wird irgendwann erschöpft sein. Dann ist SARS-CoV-2 ausgepowert, könnte man sagen.“ Cicin-Sain dagegen hält es nicht für ausgemacht, dass der Erreger von selbst harmloser wird. Jedenfalls, betont der Virologe, dürfe man nicht den Fehler machen, diese Hoffnung zu einer strategischen Säule der Pandemiebekämpfung zu machen. „Für das Virus zählt hauptsächlich, ob es sich besser oder schlechter vermehren kann“, erklärt er. „Dabei ist es unerheblich für das Virus, ob ein Anteil der Menschen dadurch stirbt.“

Erfahrungen von 2021 dämpfen Erwartungen

Aber schaden Viren, die ihren Wirt töten, nicht letztlich sich selbst? Und muss das Virus, um langfristig erfolgreich zu sein, sich nicht fast zwangsläufig in Richtung „infektiös aber harmlos“ entwickeln? Cicin-Sain dämpft entsprechende Erwartungen, die auch von Forschern bisweilen geäußert wurden. „2019 hätte ich dem noch zugestimmt“, sagt er. „2021 hat aber gezeigt, warum das ein Denkfehler war.“ Angesichts einer Covid-Sterberate von einem Prozent oder weniger sei es unwesentlich für den Virus, ob der Wirt überlebt oder stirbt. „Schließlich bleiben noch ganz viele Wirte übrig. Daher kann mir nicht vorstellen, wie das zu einer Selektion führen soll.“

Entscheidender als die Anpassung des Erregers sei daher die Impfung für den weiteren Pandemieverlauf. Natürlich könne auch der Wirt – also der Mensch – auf die „darwinistische Anpassung“ setzen. In diesem Fall, so Cicin-Sain, würden die Menschen mit einem schwachen Immunsystem der Infektion unterliegen. „Nur die Menschen, die es überleben, weil ihre Genetik einen Vorteil bringt, würden dann weiter leben und sich vermehren.“ Das allerdings, ist der Forscher überzeugt, könne im 21. Jahrhundert niemand für erstrebenswert halten.

Drei Virus-Kategorien

Bei potenziell gefährlichen Varianten des Coronavirus unterscheidet die Weltgesundheitsorganisation WHO drei Kategorien: erstens „besorgniserregende Varianten“, zweitens „Varianten von Interesse“ und drittens „Varianten unter Beobachtung“. Während die in Deutschland am weitesten verbreiteten Varianten „Delta“ und „Omikron“ aufgrund ihrer hohen Übertragbarkeit oder ihrer Schädlichkeit als „besorgniserregend“ gelten, ist die Viruslinie B.1.640 vorerst nur „unter Beobachtung“. Insgesamt 17 SARS-CoV-2-Varianten, die die WHO seit Pandemiebeginn beobachtet, haben sich als so kurzlebig oder wenig bedrohlich erwiesen, dass sie nicht mehr unter Beobachtung stehen.

Wichtige Corona-Regeln und Infos für die Region

Alle wichtigen Fragen und Antworten zu Corona in Niedersachsen gibt's hier . Welche Regeln zurzeit in Braunschweig gelten, erfahren Sie hier.

Die Corona-Lage in der Region

Unsere Redaktionen sammeln alle wichtigen lokalen Infos zum Coronavirus auf FAQ-Seiten, die stets aktualisiert werden. Online sind die Überblicke aus Braunschweig, aus Wolfsburg, aus Wolfenbüttel, aus Gifhorn, aus Salzgitter, aus Peine und Helmstedt sowie aus Osterode.

Hier finden Sie eine Übersicht über die Corona-Lage im gesamten Bundesland Niedersachsen.