Braunschweig. Bisher verfügen nur genesene Corona-Patienten über Antikörper. Bald könnten akut Erkrankte einen neuen Antikörper-Wirkstoff als Spritze erhalten.

In sämtlichen Medien lese, höre und sehe ich nur, wie sich Corona ausbreitet, wie viele Neuinfizierte es gibt und wie viele Tote. Gibt es denn überhaupt irgendwelche Erfolge beim Kampf mit so viel Aufwand?

Dies schreibt unser Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel.

Über die Arbeit an einem Medikament gegen Covid-19 berichtet Andreas Eberhard.

Antikörper gegen das neuartige Coronavirus? Die hat bisher nur, wer eine Infektion mit dem Erreger erfolgreich durchgestanden hat. Da es bisher keinen sicheren Impfschutz gegen die Lungenkrankheit gibt – auch wenn auf Hochtouren daran geforscht wird – sind die Genesenen bisher die einzigen, die gegen den Erreger immun sind.

Forscher der Technischen Universität Braunschweig (TU) um den Biotechnologie-Professor Michael Hust arbeiten nun daran, aus menschlichen Antikörpern ein Medikament zu entwickeln, mit dem an Covid-19 Erkrankte behandelt werden können. „Worauf wir hinauswollen, ist kein Impfstoff, sondern eine akute Therapie“, erklärt der Forschungsgruppenleiter. Der internationale Verbund, zu dem auch sein Team gehört, wird von der EU-Kommission nun zwei Jahre lang mit rund drei Millionen Euro gefördert, wie die TU am Mittwoch mitteilte.

Eine Spritze mit menschlichen Antikörpern für Corona-Patienten

Am Ende soll ein Präparat stehen, das Patienten intravenös verabreicht bekommen. Bisher werden vergleichbare Antikörper-Arzneien vor allem eingesetzt, um Patienten zu behandeln, die an Krebs oder Autoimmun-Erkrankungen leiden. „Auch die Coronapatienten könnten dann eine Spritze mit natürlichen menschlichen Antikörpern erhalten“, so Hust. Seine Kollegin Dr. Maren Schubert ergänzt: „Das sind exakt dieselben Antikörper, die man nach einer Impfung selbst im eigenen Körper produzieren würde.“ Hust und sein Kollege Prof. Stefan Dübel, einer der Entwickler dieser Methode, haben bereits gegen andere Viren – Ebola, das Marburg-Virus oder HIV – Erfahrung dabei gesammelt, solch „neutralisierende Antikörper“ zu entwickeln.

Professor Michael Hust (grüne Jacke) mit seinem Team von der Abteilung Biotechnologie des TU-Instituts für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik: (von links nach rechts) Nora Langreder, Dr. Maren Schubert, Federico Bertoglio, Doris Meier, Marlies Becker und Stephan Steinke
Professor Michael Hust (grüne Jacke) mit seinem Team von der Abteilung Biotechnologie des TU-Instituts für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik: (von links nach rechts) Nora Langreder, Dr. Maren Schubert, Federico Bertoglio, Doris Meier, Marlies Becker und Stephan Steinke © TU Braunschweig

Was sind und wie funktionieren Antikörper eigentlich?

Antikörper, erklärt Hust, sind Proteine, Eiweißverbindungen, die unsere Immunzellen, etwa weiße Blutkörperchen, produzieren. Die Form dieser Antikörper ähnele dem Buchstaben Y. „Stellen sie sich vor, Sie sind so ein Y-förmiger Antikörper“, veranschaulicht er: „Mit Ihren Füßen stehen Sie auf der körpereigenen Immunzelle. Mit Ihren ausgestreckten Armen wehren Sie die Viren ab.“ Das Coronavirus versuche, mit seinen „Spikes“, den Protein-Stacheln auf seiner Oberfläche, in die menschlichen Körperzellen einzudringen. Die Antikörper mit ihren Armen verhinderten genau dies. Jetzt, so Hust, gehe es darum, den menschlichen Antikörper ausfindig zu machen, der hierfür am besten geeignet sei.

Um dies zu erreichen, beschreiten die Braunschweiger Forscher mehrere Wege parallel: Sie nutzen eine „universelle Antikörper-Bibliothek“, eine Art immerwährenden Baukasten, um mit Hilfe eines aufwendigen Verfahrens, der sogenannten Antikörperphagendisplay-Technologie, selbst geeignete Antikörper herzustellen. Außerdem greifen sie auf die Antikörper von geheilten Covid-19-Patienten zurück. „Die Proben von unseren italienischen Projektpartnern treffen hoffentlich kommende Woche bei uns ein“, berichtet Hust. Drittens bemühen sich die Forscher auch noch um Original-Antikörper von ehemaligen Corona-Patienten aus Braunschweig und Hannover. „Wir verfolgen sozusagen gleichzeitig Plan A, Plan B und Plan C.“

Tests müssen in gesicherten Laboren stattfinden

Haben die Forscher einen Antikörper isoliert, von dem sie glauben, dass er der richtige ist, muss „in vitro“, im Reagenzglas, getestet werden, ob es funktioniert. Diese Probe aufs Exempel, müssen dann Andere machen, denn Husts Labor an der TU fehlt die nötige Sicherheitsstufe, um mit dem hochinfektiösen Virus „SARS-CoV-2“ zu experimentieren. In Braunschweig, so Hust, kann dies nur das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, einer seiner Partner.

Gefragt, wie weit die Forschung bei der Entwicklung von Therapien gegen das Coronavirus schon gekommen ist, antwortet er: „Wir stehen noch ganz am Anfang.“ Die Entwicklung eines wirksamen Antikörper-Medikaments gegen Covid-19 werde voraussichtlich mehrere Monate bis zu einem Jahr dauern. Husts Ziel ist, am Ende dieses Zeitraums „das Molekül, den Wirkstoff in der Hand zu halten“. In Vergleich zur üblichen Entwicklungsdauer von Therapeutika, sei das sehr schnell, betont er. Bis zur Zulassung für den Markt – dazwischen stehen diverse weitere Testverfahren – werde es aber noch länger dauern.

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