Braunschweig. Landesministerin Reimann schätzt den Coronavirus als weniger schwerwiegend ein, mahnt aber. Fußballspiele und Konzerte stehen auf der Kippe.

Ich fühle mich auch ganz krank, wenn ich das alles lese…

Dies schreibt ein Leser, der sich Smid Strup nennt, auf unseren Internetseiten.

Zu den aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus recherchierten Andre Dolle, Daniel Mau, Daniel Hotop und unsere Lokalredaktionen.

Die Corona-Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat voll ins Schwarze getroffen. Seitdem er am Wochenende empfahl, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern wegen der schnellen Ausbreitung des neuen Coronavirus offensiver abzusagen, steht nun alles auf dem Prüfstand.

Aus niedersächsischer Sicht klingt das übertrieben – deshalb reagiert auch wohl unser Leser so. Die Zahl der bestätigten Fälle stieg landesweit bis Montagnachmittag auf 38. In Nordrhein-Westfalen sind es hingegen Hunderte von Fällen. Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) sagte unserer Zeitung: „Bei uns zirkuliert das Virus ja nicht. Das ist etwas anderes als in Norditalien zum Beispiel.“

So ist die Lage in Niedersachsen

Bei uns in Niedersachsen hätten die lokalen Behörden „bisher sehr umsichtig“ entschieden, sagte Reimann. So sei die Hannover Messe wegen der großen internationalen Beteiligung abgesagt worden. Die weltgrößte Industrieschau wurde von April auf Juli verschoben. Richtig war laut Reimann auch die kurzfristige Absage eines Schützenballs in Uetze bei Hannover, weil ein Aktiver sich infiziert hatte. Spahns Vorstoß ist aus der Sicht Reimanns aber „zu pauschal“.

Und doch hat die Landesregierung als Vorsichtsmaßnahme konkrete Schritte zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus beschlossen. So müssen alle Schüler, die von Reisen in Risikogebieten zurückkehren, vorsorglich für zwei Wochen in Quarantäne gehen. Dies gilt auch für die Schulfahrten begleitenden Lehrer. Ziel sei es, den Schulbetrieb nicht zu gefährden und eine weitere Ausbreitung des Virus in Niedersachsen zu verhindern, sagte die Gesundheitsministerin.

Reimann erklärte: „Ich appelliere an alle, die aus Risikogebieten zurückkommen, zu Hause zu bleiben. Sie sollten sich 14 Tage in Quarantäne begeben und nicht die Schule besuchen. Wir werden die Gesundheitsämter anweisen, Schülerinnen und Schüler, die in Risikogebieten waren, entsprechend unter Quarantäne zu stellen.“ Dazu zähle zum Beispiel Norditalien.

Reimann erhöhte zusätzlich den Druck auf die Kommunen und die dortigen Gesundheitsämter, wie sie sagte. So habe sie die klare Anweisung gegeben, Veranstaltungen noch mehr auf den Prüfstand zu stellen. Mit Blick auf den Fußball hat die Gesundheitsministerin eine besonders klare Meinung. Sämtliche Profi-Spiele sollten ohne Zuschauer stattfinden.

So planen Eintracht und der VfL

Ganz so weit ist es in unserer Region noch nicht. Die Spiele des VfL Wolfsburg gegen Donezk am Donnerstag in der Europa League und auch die Drittliga-Partie Eintracht Braunschweig gegen Viktoria Köln am Samstag sollen angepfiffen werden – und zwar mit Zuschauern. Braunschweigs Stadtsprecher Adrian Foitzik erklärte aber: „Das ist ein Thema von großer Tragweite, da herrscht gerade viel Dynamik.“ Die Gesundheitsämter in Braunschweig und Wolfsburg entscheiden, ob die Spiele stattfinden werden. Ähnlich zurückhaltend äußerte sich auch Wolfsburgs Stadtsprecherin Elke Wichmann. „Die Stadt ist hierzu aktuell in der Abstimmung und wird kurzfristig öffentlich informieren“, sagte sie.

Zwei Verdachtsfälle haben sich am Montag in Braunschweig als negativ erwiesen; es bleibt also bei einem bestätigten Fall in Braunschweig. Es sind noch weitere Fälle in der Prüfung. In Wolfsburg gibt es aktuell keine an Corona erkrankte Person. Jedoch eine einstellige Zahl von Wolfsburgern, die mit Blick auf die bestehenden Symptome auf eine Infektion mit dem Corona-Virus getestet werden.

Die Fußballclubs reagierten entsprechend abwartend. VfL-Geschäftsführer Tim Schumacher erklärte mit Blick auf das Spiel gegen Donezk am Donnerstag: „Wir sind nach wie vor in engem Austausch mit der Stadt Wolfsburg, es erfolgt anhaltend eine Bewertung der Situation. Sollte sich an der derzeitigen Lage etwas ändern, werden wir umgehend informieren.“

Bei Fußball-Drittligist Eintracht Braunschweig verfolgt man das „hochsensible Thema“ ebenfalls aufmerksam und mit einer gewissen Sorge. Klar ist nämlich, dass ein oder gar mehrere Heimspiele ohne Zuschauer erhebliche finanzielle Einbußen für die Blau-Gelben bedeuten würden. Nach Informationen unserer Zeitung könnten sich die Einnahmeausfälle der Eintracht pro Partie ohne Zuschauer auf einen Betrag im unteren sechsstelligen Bereich belaufen. Angesichts des Millionen-Verlustes, den der Klub in der vergangenen Saison verkraften musste, wäre das eine zusätzliche Belastung, die nur sehr schwer zu schultern wäre. Vielleicht auch deshalb halten sich die Verantwortlichen mit öffentlichen Statements zum Thema Coronavirus noch zurück – in der Hoffnung, dass dieser Kelch noch irgendwie an ihnen vorbeigehen wird.

So steht es um Veranstaltungen

Viele weitere Großveranstaltungen sollen wie geplant stattfinden. So wurde der Vorverkauf zum Beispiel für das Konzert von Soulsänger Gregory Porter am Donnerstag in der Braunschweiger Stadthalle, die BBC-Doku-Show „Unser blauer Planet“ am Freitag in der VW-Halle in Braunschweig und auch das Konzert von Schlagersängerin Andrea Berg in der VW-Halle am Sonntag nicht gestoppt. Bis zu 4000 Zuschauer werden jeweils erwartet. Der Konzertveranstalter Undercover, der Porter und die BBC-Show organisiert, hält also an seinen Plänen fest. Undercover-Sprecherin Antonia Fuchs erklärte, dass sich ihre Firma regelmäßig mit dem Braunschweiger Gesundheitsamt austausche. „Momentan ist der Stand, dass wir nichts absagen“, erklärte sie. „Wir hätten Verständnis, wenn es anders kommen würde“, sagte Fuchs, „auch wenn uns das finanziell treffen würde“.

Auch Stephan Lemke, Geschäftsführer der VW-Halle, der Stadthalle Braunschweig und des Eintracht-Stadions, erklärte, dass er immer wieder im Austausch mit der Stadt und dem Gesundheitsamt stehe. Werden doch noch Großveranstaltungen abgesagt, bekommen die Besucher das Geld für bereits verkaufte Tickets zurückerstattet. „Künstler, Veranstalter und Vermieter gehen dann wohl erstmal leer aus“, sagte Lemke. Doch es würde dann auch Diskussionen geben, so der Geschäftsführer. Das Infektionsschutzgesetz sieht in der Tat eine finanzielle Entschädigung vor, wenn durch eine behördliche Maßnahme „Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird“. Doch ob tatsächlich der Staat mit Zahlungen einspringen muss und wie hoch diese dann ausfallen, ist unter Experten umstritten.

Diese Veranstaltungen fallen aus

Die Privatbrauerei Wittinger hat das für den 4. April geplante Bockbierfest abgesagt. Es ist mit rund 3500 Gästen eine der größten Veranstaltungen im Gifhorner Nordkreis. Die Kreismusikschule in Gifhorn verzichtet auf den am nächsten Samstag geplanten Tag der offenen Tür. Der DRK-Kreisverband hat seine Betriebsversammlung und den Tag der neuen Mitarbeiter gestrichen. Auch der Zukunftstag am 26. März wurde gestrichen.

Die Werbegemeinschaft Velpke hat die alle zwei Jahre stattfindende „Velpker Messe“ im Helmstedter Nordkreis abgesagt . „Aufgrund der aktuellen Lage können wir unseren Ausstellern keine Planungssicherheit geben“, sagte Roland Hage vom Organisationsteam der Werbegemeinschaft. Regulär hätte die lokale Messe mit üblicherweise bis zu 12.000 Besuchern am 25. und 26. April stattfinden sollen. Auf einen Ersatztermin wird verzichtet. Die Absage sei keine Panikreaktion, betonte Hage. Neben dem Schutz der Besucher und Aussteller vor einer Infektion müsse man die wirtschaftlichen Aspekte berücksichtigen.

So steht es um Schulen und Kitas

Zum Thema Kitas und Schulen hat Niedersachsens Gesundheitsministerin Reimann eine klare Meinung: „Ich halte von pauschalen Schließungen nichts“, sagte sie. Die von ihr vorgeschlagene zweiwöchige Quarantäne von Schülern, die nach Klassenfahrten aus Risikogebieten zurückkehren, hält ihr Kabinettskollege, Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD), für goldrichtig. Diese Entscheidung stärke die Schulleitungen in ihrer Handlungssicherheit, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Zuvor hatte sich bereits der Philologenverband Niedersachsen kritisch geäußert. So wachse an den Schulen die Sorge um den Umgang mit dem Corona-Virus. „Die Durchführung vieler langfristig geplanter Schulfahrten steht bei zahlreichen Schulen in Frage, unabhängig davon, ob das Ziel der Reise in einem bisher ausgewiesenen Covid-19 Ausbreitungsgebiet liegt oder nicht“, erklärte der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsen, Horst Audritz, in einer Pressemitteilung. Die Regelungen für die niedersächsischen Schulen seien hier noch nicht ausreichend. „Das Kultusministerium sollte hier nun umgehend handeln und sicherstellen, dass Schulen bei Absagen für eine Fahrt abgesichert sind“, sagte Audritz.

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) richtet sich in ihren Kitas und auch in ihren Altenheimen bereits auf mögliche Corona-Fälle ein. So erklärte Bezirkschef Rifat Fersahoglu-Weber, dass die Awo jeden Morgen eine aktuelle Lagebesprechung zum Coronavirus mache. Die Awo unterhält zwischen Harz und Heide mehr als 30 Kitas und elf Altenheime. „Es gibt kein Händeschütteln mehr, wir halten verstärkt Telefonkonferenzen ab“, sagte er.

Die Awo habe Notfallpläne für Eltern ausgearbeitet, wenn Kitas schließen müssten. Wenige Kitas sollten dann weiter betrieben werden. „Das ist aber ein absolutes Worst-Case-Szenario“, sagte Fersahoglu-Weber. „Wir wären vorbereitet.“ Das gelte auch für Altenheime, in denen das Personal im Fall der Fälle reduziert werden müsste. Eine einzige Maßnahme muss die Awo aber schon jetzt ergreifen, sagte Fersahoglu-Weber. Manche Vorräte würden knapp: „Wir stehen kurz davor, Desinfektionsmittel zu rationalisieren.“

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