Braunschweig. Prof. Bernd Engel sieht die deutschen Klimaziele in Gefahr. Er ist einer von 16.000 Wissenschaftlern, die die Politik zum Handeln auffordern.

Am Freitag wollen wieder Tausende Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen, auch in unserer Region. Solidarität erfahren sie von der wissenschaftlichen Intelligenz. Mehr als 16.000 Forscher aus dem deutschsprachigen Raum unterzeichneten bislang eine Erklärung, die das Recht der Jugendlichen auf Protest unterstreichen soll. In der Präambel der Erklärung heißt es: „ Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet.“

Auch Professor Bernd Engel, geschäftsführender Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen (Elenia) an der TU Braunschweig, hat unterzeichnet. Mit dem Elektrotechniker sprach Dirk Breyvogel.

TU-Professor Bernd Engel, geschäftsführender Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen. 
TU-Professor Bernd Engel, geschäftsführender Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen.  © TU Braunschweig | TU Braunschweig

Warum haben Sie unterschrieben?

Ich bin einer der 700 Erstunterzeichner, die die Erklärung unterschrieben haben, denn die Proteste der Schüler sind berechtigt. Auch die Wissenschaft hat immer stärker den Eindruck, dass das Pariser Abkommen und die dort festgelegten CO-Einsparziele national nicht ausreichend umgesetzt werden.

Warum ist es wichtig, dass die Wissenschaft hier Farbe bekennt?

Das geplante nationale Klimaschutzgesetzfällt wahrscheinlich deutlich hinter die Beschlüsse zurück, die einst erzielt wurden. Das Eingeständnis der Politik, die Klimaziele für 2020 nicht zu erreichen, hat nicht ausreichend dazu geführt, dass die Maßnahmen – zum Beispiel den Ausbau der erneuerbaren Energien – mit Blick auf das Jahr 2030 nach oben angepasst werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Politik sind viel zu vorsichtig. Und die Folgen des Klimawandels werden die junge Generation mehr spüren als meine Altersgenossen.

Haben Sie das Gefühl, dass der Protest der Schüler von der Politik nicht ernst genommen wird?

Ja, den Eindruck muss man haben. Wenn man Aussagen von einigen Politikern hört, die sagen, Schüler dürften zwar demonstrieren, hätten aber nicht die Expertise, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Mit der Erklärung haben sich jetzt die „Profis“ bei der Politik gemeldet. Die sagen aber auch, dass Deutschland droht, seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz zu verlieren. Andere – auch Länder wie China – holen auf und investieren massiv in den Ausbau von erneuerbarer Energien und in die Elektromobilität.

Auch bei anderen strittigen Themen wird die Wissenschaft als Kronzeuge genommen, um Interessen der Politik durchzusetzen. Zuletzt sorgte ein deutscher Lungenarzt für Aufsehen, der sich explizit auch gegen seine eigene Zunft stellte, indem er anzweifelte, dass Diesel-Stickoxide zwangsläufig tödlich seien. Wird dieses Modell immer beliebter?

Das Beispiel des Lungenarztes ist ein denkbar schlechtes, weil dieser Mediziner im Ruhestand längst nicht mehr auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand war. In der Bewegung „Scientists for Future“ haben sich nicht nur renommierte Wissenschaftler, sondern sämtliche wissenschaftliche Disziplinen versammelt. Alle, die unterschrieben haben, stehen auf dem Standpunkt, dass es jetzt Zeit ist, die Folgen des Klimawandels politisch in richtige Bahnen zu lenken.

Und dennoch: Macht sich die Forschung nicht angreifbar, wenn sie sich instrumentalisieren lässt?

Die Wissenschaft hat aus meiner Sicht schon die Pflicht, ihre Haltung in der Öffentlichkeit darzustellen. Es ist auch in der Verantwortung der Wissenschaft, ihre Erkenntnisse zu kommunizieren, in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Der Klimawandel stellt doch Fragen, die alle betreffen. Was wir nicht wollen, ist uns parteipolitisch vor einen bestimmten Karren spannen zu lassen. Und es gab auch keine Empfehlung von der Uni-Führung, wie man sich bezüglich der Initiative zu verhalten hat. Das hat jeder Wissenschaftler mit sich selbst ausgemacht.

Was erwarten Sie von der Politik?

Natürlich ist es jetzt an der Zeit, harte Entscheidungen zu fällen. Die Frage, wie lange in Deutschland noch Kohle abgebaut werden soll, ist da exemplarisch. Viele Interessensgruppen werden versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, denn es geht um Existenzen, um Arbeitsplätze. Dennoch ist es wichtig zu zeigen, was breiter wissenschaftlicher Konsens ist.

Erleben Sie eine Arroganz der Politik gegenüber den Erkenntnissen der Wissenschaft? So bezweifelt ja aktuell der wohl mächtigste Politiker der Welt, US-Präsident Donald Trump, dass es einen Klimawandel gibt. Macht Arbeiten unter solchen Vorzeichen überhaupt noch Spaß?

Für mich macht meine Arbeit insofern noch sehr viel Spaß, weil die Energiewende soviel Fragen aufgeworfen hat, die sich vor Jahren noch kein Wissenschaftler gestellt hat. Es bleibt also spannend.