Braunschweig. Wolf-Rüdiger Umbach sagt im Orakel unserer Zeitung eine Modifizierung des Videobeweises in der Fußball-Bundesliga voraus.

Professor Wolf-Rüdiger Umbach orakelt seit Jahren für unsere Zeitung über das Sportgeschehen und wird gern an seinen Vorhersagen über Eintracht Braunschweig und den VfL Wolfsburg gemessen. Mit Ute Berndt sprach der Präsident des Landessportbunds auch über den Videobeweis, die Sportförderung und die Fußball WM.

Professor Umbach, Sie waren immer ein Verfechter des Videobeweises im Fußball. Doch kaum ist er da, wird schon über seine Abschaffung debattiert. Überlebt er trotzdem?

Ja, ich bin überzeugt, dass er überdauern wird. Aber nicht so, wie er heute praktiziert wird. Ich finde es unerträglich, dass da ein Videoschiedsrichter aus einem Keller in Köln wie eine Art Oberschiedsrichter von sich aus in die Spiele eingreifen kann. Und besonders blöd ist es, wenn er nichts gesehen hat und sagt, der Schiri soll sich die Szene selbst noch mal angucken. Ich finde, die Tatsachenentscheidung muss bleiben, das ist ein Teil des Spiels. Sonst wird die Autorität des Schiedsrichters leiden, wenn er zwei-, dreimal pro Spiel korrigiert wird.

„Wir gehören unter die Top-Vier der Welt, und da werden wir bei der WM auch landen.“
„Wir gehören unter die Top-Vier der Welt, und da werden wir bei der WM auch landen.“ © Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes

Außerdem: Wenn es vier Minuten dauert, bis man im Fernsehen rauskriegt, ob es so oder so war, hätte der Schiedsrichter besser nicht gepfiffen. Und warum zeigt man nicht auf der Videotafel im Stadion allen Leuten die Szene, damit die sich auch ein Urteil bilden können?

Ich meine, dass nur auf Verlangen des Schiedsrichters oder der Mannschaften der Videobeweis zurate gezogen werden soll. Aber auch nicht beliebig oft. Ich könnte mir vorstellen, dass jede Mannschaft einmal pro Halbzeit eine strittige Szene überprüfen lassen kann, und wenn sie richtig liegt, hat sie ein weiteres Mal das Recht. Im Hockey, Eishockey, Tennis sieht man ja, dass das funktioniert. Also: Der Videobeweis wird nach der Saison überprüft und modifiziert. Davon bin ich fest überzeugt.

Bis zu den Olympischen Winterspielen in Südkorea sind es nur noch ein paar Wochen. Werden die Themen Nordkorea und Ausschluss des russischen NOKs das sportliche Geschehen überlagern?

Nein, wenn die Spiele erst mal laufen, interessiert sich keiner mehr dafür, was im Hintergrund passiert. Die Nordkoreaner dürfen immer nur so viel, wie die Chinesen zulassen, hat mein Orakel-Kollege Professor Menzel gesagt. Und die Chinesen sind sehr interessiert an den Olympischen Spielen. Ich glaube also nicht, dass sich Nordkorea traut, dann dort Störfeuer zu entfachen.

Wie finden Sie die IOC-Entscheidung, dass Führung und Fahnen außen vor bleiben müssen, aber russische Sportler starten dürfen?

Das finde ich okay, das hatten wir in Rio ja auch schon. Und eine generelle Vorverurteilung aller russischen Athleten wäre schlecht. Schließlich wird in anderen Ländern auch gedopt. Man kann nur die sperren, denen Doping nachgewiesen ist. Das ist ja leider immer ein Wettlauf mit der Zeit. Dann werden Athleten disqualifiziert, die vor acht Jahren gedopt haben. Das ist schlecht für die betroffenen Sportler, die mit ihrer besseren Platzierung nachträglich nichts anfangen können. Schade, dass das nicht schneller geht, aber die Entwicklung in der Industrie ist immer schneller als das, was von der Analytik aufgedeckt wird.

Mit welchen Gefühlen werden Sie angesichts der sportpolitischen Verwerfungen die Fußball-WM in Russland verfolgen?

Wir hatten auch eine WM in Argentinien, als ein Diktator dort am Werk war. Ich finde, man sollte Sport und Politik auseinanderhalten. Sonst könnten ja nur noch in ganz wenigen Ländern Großveranstaltungen ausgetragen werden.

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft beim Versuch der Titelverteidigung dort zu?

Deutschland hat bei der Auslosung mal wieder Glück gehabt. Eine viel einfachere Gruppe als mit Schweden, Mexiko und Südkorea konnte man nicht losen. Wie weit es am Ende geht, hängt von der Konstellation in den K.o.-Runden ab. Gegen Brasilien, Frankreich, Argentinien kann man auch verlieren, und verteidigen können inzwischen eigentlich fast alle Teams. Aber aufgrund der Superergebnisse in den letzten Jahren gehören wir unter die Top-Vier, und da werden wir auch landen.

Wer werden die neuen Stars im deutschen Team sein?

Toni Kroos ist im besten Alter und enorm gereift. Er hat schon alles gewonnen, spielt wunderbare Pässe, hat einen guten Schuss und kann das Spiel lenken. Ich glaube, er wird in Russland ganz groß rauskommen. Und ich hoffe, auch mal wieder auf einen Stürmer. Timo Werner könnte mit seiner Schnelligkeit viel erreichen, wenn er ordentlich mit Zuspielen gefüttert wird.

Hat sich Bibiana Steinhaus mit ihren Schiedsrichterleistungen in der Bundesliga auch für 2018 und die Folgejahre ihren Platz erkämpft?

Sie ist ja quasi von der Presse in die Bundesliga geschrieben worden. Doch sie hat es verdient und hätte es vielleicht schon eher verdient gehabt. Sie macht bislang eine tadellose Figur, kriegt auch gute Spiele und leitet sie souverän. Zudem hat sie zu Hause einen guten Berater in Howard Webb, der selbst zweifacher Weltschiedsrichter ist. Ich denke, sie wird sich den erkämpften Platz sichern. Und sie ist der Eisbrecher und wird Türen öffnen für andere Schiedsrichterinnen – wie Riem Husseien aus Bad Harzburg.

Wie sehen Sie die Perspektive des VfL Wolfsburg? Geht es 2018 wieder ganz nach oben oder ist dieser Zug abgefahren?

In der Saison 2017/18 wird es nicht mehr für die internationalen Startplätze reichen. Dazu hängt der VfL zu tief unten in der Tabelle, auch weil er in manchem guten Spiel trotzdem nur unentschieden gespielt hat. Wie es 2018/19 aussieht, hängt davon ab, wie die Mannschaft verstärkt wird.

Was ist mit der Eintracht? Muss sie richtig ums Überleben in der zweiten Liga kämpfen? Und kann dann Trainer Torsten Lieberknecht seinen Vertrag bis 2020 erfüllen?

Sie müssen dringend Abstand nach unten gewinnen. Am Beispiel Kaiserslautern sieht man, was passiert, wenn man die Weichen nicht schnell genug richtig stellt. Doch wenn bei Eintracht wieder alle gesund sind, werden schnell die befreienden Siege gelingen. Ich denke, die Mannschaft läuft am Ende zwischen Platz sechs und zehn ein. Zum Trainer: Klar muss die Mannschaft erfolgreicher spielen. Aber Torsten Lieberknecht hatte neun, zehn gute Jahre, warum sollte man seine Arbeit jetzt in Zweifel ziehen? Schließlich hatte das Team sehr viel Verletzungspech.

Werden die Ablösesummen im Fußball im nächsten Jahr in weitere irre Höhen steigen?

Sie steigen weiter. Das Ende ist noch nicht erreicht. Viele ganz reiche Leute beherrschen die englischen Klubs und können das Geld raushauen, wie sie wollen. Wenn man für ein Bild 450 Millionen zahlt, warum sollte man das dann nicht auch für einen überragenden Fußballer ausgeben? Dass das dem Fußball gut tut, wage ich allerdings zu bezweifeln. Auch die Gehälter steigen ja in geradezu aberwitzige Höhen. Pep Guardiola soll ja 27 Millionen angeboten bekommen haben für die nächste Saison. Was soll dann der Chef von Volkswagen verdienen, der nicht für 25, sondern für 600 000 Leute zuständig ist? Das ist völlig irrational, aber eben der Markt.

Glauben Sie, dass der deutsche Fußball die Dauer-Fehde mit den Ultra-Fans im nächsten Jahr befrieden kann?

Ich glaube es nicht. Es wird immer Leute geben, die Krawall wollen und gegen das Establishment angehen und die Spiele nutzen, um eine Plattform dafür zu haben. Jeder weiß, dass der Verein, den er unterstützt, viel Geld zahlen muss, wenn Pyrotechnik abgebrannt wird. Und sie machen es trotzdem.

Werden demnächst Privatleute die Mehrheit bei den Bundesliga-Klubs übernehmen können oder werden sie irgendwann alle zu Aktiengesellschaften wie Dortmund?

Weder noch. Die 50+1-Regel besteht ja noch. Demnach muss ein Privatmensch den Verein mehr als 20 Jahre lang überragend unterstützt haben. Martin Kind ist da bei Hannover 96 für mich eine absolute Ausnahme. Ich denke, der deutsche Fußball möchte die 50+1-Regel behalten. Wenn man allerdings guckt, wie schlecht unsere Vereine in Europa abschneiden, werden vielleicht einige nach einer anderen Lösung suchen. Aktiengesellschaften sind aber nicht so populär bei uns. Ich weiß nicht, ob die BVB-Aktionäre so glücklich sind.

Vergangenes Jahr haben Sie gesagt, die 2016 beschlossene Reform der Spitzensportförderung in Deutschland werde große Auswirkungen auf den Sport haben. Wird davon 2018 schon etwas zu sehen sein?

Ja, die Auswirkungen hat sie. Konkret für Niedersachsen: Wir verlieren im Trampolin und Hockey unsere Bundesstützpunkte. Dafür bekommen wir Rugby dazu, weil Hannover eine Hochburg ist. Den Rest konnten wir bewahren, für Turnen und Judo werden die Anlagen ausgebaut.

Leider sind bei der Spitzensportförderung immer noch viele Dinge unklar. Zum einen fehlt die Gesamtübersicht, welche Bundesstützpunkte bleiben. Im Wintersport soll das erst nach den Olympischen Spielen entschieden werden. Und offen ist, wo das Geld herkommt. Denn die Stützpunkte werden zwar um 20 Prozent auf deutlich unter 200 zusammengestrichen. Aber wir brauchen trotzdem mehr Personal, um die nach der Umschichtung größere Zahl an Athleten an diesen Standorten zu betreuen. Auch für die Athleten ist es teilweise schwierig. Wer bislang in Salzgitter Trampolin trainiert und in Hannover studiert hat und jetzt nach Koblenz umziehen muss, braucht auch einen neuen Studienplatz. So ein Athlet muss auch das Gefühl haben, dass er am neuen Stützpunkt besser aufgehoben ist als am alten.

Wenn wir 2018 nicht mehr Geld bekommen, läuft die Reform ins Leere. Außerdem müssen wir unsere Top-Trainer besser bezahlen, sonst wandern sie ins Ausland ab.

Niedersachsen ist zum G13 zurückgekehrt, der Schulstress wird wieder etwas abgebaut. Hilft das dem Sport? Werden wieder mehr Jugendliche dafür Zeit haben?

Die Länge der Schulzeit ist egal. Unser Problem ist die Ganztagsschule. Wenn ein Schüler erst um 17.30 Uhr nach Hause kommt, ist es fraglich, ob er noch zum Sport geht. Die andere Frage ist, wie wir die Talente finden. Das geht fast nur noch über die Schule, und dazu müssen wir dort erst mal reinkommen. Wir haben gerade einen entsprechenden Vertrag mit dem Kultusministerium geschlossen, doch wir brauchen auch Leute, die das können. Es gibt kein Fach, das in Niedersachsen so artfremd unterrichtet wird wie Sport. Wenn wir die Talentförderung in der Schule organisiert kriegen, sehe ich positiv in die Zukunft.

Ein weiteres Großereignis 2018 ist die Leichtathletik-EM in Berlin. Wird sich Braunschweig mit der blauen Laufbahn auch mal wieder erfolgreich um eine große Meisterschaft bemühen können – vielleicht mit Unterstützung des LSB?

Wenn der Leichtathletikverband die haben will, muss er sich Sponsoren suchen, vom LSB gibt es nichts. Die Sportförderung in Baden-Württemberg ist dreimal so hoch wie unsere. Wir haben kein Geld für Großveranstaltungen. Wenn es die geben soll, muss die Politik das entscheiden. Unabhängig davon fordert der LSB von der Landesregierung 7 Millionen Euro mehr und einen Sondertopf für Leistungszentren. Im Wahlkampf hatten alle Parteien gesagt, dass das okay ist.

Steigt NBA-Star Dennis Schröder 2018 als Sponsor bei Braunschweigs Basketballern ein?

Die Frage kann ich nicht beantworten, da ich Dennis Schröder nicht kenne. Aber um den Braunschweiger Basketball weiter nach vorne zu bringen, ist sicher deutlich mehr Geld nötig.

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