Braunschweig. Ex-TU-Präsident Hesselbach sagt außerdem voraus: Mit Göttingen bekommt Niedersachsen wieder eine Exzellenz-Universität.

Das Amt des Präsidenten der TU Braunschweig hat Professor Jürgen Hesselbach im April 2017 abgetreten. Als Orakel unserer Zeitung wirft er für uns weiterhin einen Blick in die Zukunft. Im Interview mit Johannes Kaufmann spricht Hesselbach unter anderem über die Zukunft der Elektromobilität, die Wissenschaftsmacht China und seine Prognose, dass die Fraunhofer-Gesellschaft in unserer Region präsenter wird.

Unser Leser Gert Thiele fragt: Hat Wasserstoff als Treibstoff für Autos eine Zukunft?

Wasserstoff zu verbrennen, ist ideal. Denn als Abgas entsteht nur Wasserdampf. Das Problem ist die Infrastruktur. Nicht erst seit der Hindenburg-Katastrophe sind die Risiken bekannt. Wie kann man eine sichere Infrastruktur garantieren? Interessant finde ich auf jeden Fall die Brennstoffzelle. Zurzeit wird viel Forschungsgeld in Batterie-Entwicklung und Lade-Infrastruktur gesteckt. Aber wenn sich dieser Weg als falsch herausstellen sollte, ist es wichtig, Alternativen nicht vernachlässigt zu haben. Denn es gibt noch immer eine Reihe ungelöster Probleme bei der E-Mobilität: von der Lade-Infrastruktur, über die Rohstoffe: Graphit, Mangan, Kobalt, Lithium usw., nach denen die Nachfrage sprunghaft steigt, bis zur ganzheitlichen Ökobilanz. Bisher ist die erst bei vielen gefahrenen Kilometern positiv. Wir haben immer wieder diese Hypes. Da heißt es dann: Das ist die Lösung aller Probleme. Bis irgendwann die Ernüchterung folgt. Deswegen sollte man kritisch und offen für Alternativen bleiben.

„China wird allein schon aus quantitativen Gründen eine Wissenschaftsmacht werden.“
„China wird allein schon aus quantitativen Gründen eine Wissenschaftsmacht werden.“ © Jürgen Hesselbach, ehemaliger Präsident der TU Braunschweig

Wird sich denn 2018 der Hype bei der E-Mobilität fortsetzen, oder rücken Probleme in den Vordergrund?

Nein, die Ernüchterung wird noch nicht kommen. Im Gegenteil: Ich glaube, die Begeisterung wird sich erst einmal verstärken. Es gibt ja auch vernünftige Ansätze. Die Post hat ihren E-Transporter entwickelt. In Städten wird das ein Thema werden. Auch das E-Bike wird ein Renner werden. Aber bei Langstrecken ist das noch anders. Die spannende Frage wird außerdem sein, wie sich das Nutzerverhalten ändert. Langfristig wird das individuelle Fahrzeug nicht mehr im Trend liegen. Aber das ist noch kein Thema für 2018.

Blinde Flecke gibt es auch bei der Energiewende. Für die Permanentmagnete in deutschen Windrädern werden Seltene Erden benötigt, bei deren Abbau in China radioaktiver Müll anfällt. Gibt es da womöglich eine gewisse Ernüchterung 2018?

Auch das glaube ich nicht. Im Moment sehe ich eher den Konflikt um die Kohle: Die Grünen fordern, die Kraftwerke möglichst schnell abzuschalten. Dagegen wehren sich die Länder, in denen Braunkohle abgebaut wird. Ich verstehe nicht, warum man sich nicht einfach auf Gaskraftwerke als umweltfreundlichere Übergangstechnologie einigt.

Zurück zur Mobilität: Kommt ein Verbot des Verbrennungsmotors 2018 wieder auf die Agenda?

Selbst grüne Ministerpräsidenten sind davon ja nicht zu überzeugen. Der Diesel wird sicher auf Dauer verschwinden. Es ist nur die Frage, wann – und ob es dazu Verbote braucht. Aber dass zumindest in einzelnen Städten wie Stuttgart Fahrverbote kommen, kann ich mir gut vorstellen. In solchen hochverdichteten Räumen gibt es schlicht zu viele Autos.

Welche Auswirkungen hat die Debatte über Stickoxide, Fahrverbote und das Aus des Diesels auf die Forschung? Immerhin gibt es Institute für Verbrennungskraftmaschinen – auch an der TU.

Wir haben auch kein Dampfmaschineninstitut mehr. Beim Verbrennungsmotor ist bestimmt noch etwas rauszuholen. Aber beim nächsten Generationenwechsel in diesem Gebiet wird man sich die Frage stellen müssen, ob man sich damit in der Forschung noch beschäftigen sollte.

Wird dieses Potenzial mit dem Ende vor Augen denn überhaupt noch ausgeschöpft werden?

Das ist eine spannende Frage. In dem Moment, wo eine solche Technologie abgeschrieben wird, wird auch nicht mehr in die Entwicklung investiert. Ich kann mir also gut vorstellen, dass der Fokus des bisherigen Instituts für Verbrennungsmotoren schon bald verändert wird. Ich würde es heute schon umbenennen in ein Institut für Fahrzeugantriebstechnik. Unter diesem Dach könnte man auch E-Motoren und Brennstoffzellen erforschen.

Das wäre eine Umstrukturierung der TU, denn E-Motoren sind bisher an eigenen Instituten angesiedelt.

Ja, wir haben ein Institut für elektrische Antriebstechnik. An der Überwindung dieser historisch gewachsenen Abgrenzung zwischen Elektrotechnik und Maschinenbau bin ich immer gescheitert. Dabei ist sie nicht mehr sinnvoll, und sie wird verschwinden. Das sieht man deutlich beim Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF), an dem an das Fahrzeug interdisziplinär herangegangen wird.

Welche Entwicklung sehen Sie denn für das NFF voraus?

Das NFF ist eine interdisziplinäre Einrichtung, an der viele Professoren aus verschiedenen Fakultäten und sogar Universitäten und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Das ist eine heterogene Gemengelage, die einer anderen Managementstruktur bedarf als bei den anderen etwas weniger komplexen Zentren der TU. Deswegen haben wir uns um die Unterstützung des Ministeriums für diese Struktur bemüht.

„Im Auto vor mir fährt kein junges Mädchen“. Sehen wir bald selbstfahrende Autos auf der Straße?

Wahrscheinlich werden in China bereits 2018 die ersten automatisierten Fahrzeuge fahren. Warum China? Weil dort die rechtlichen Regelungen weniger eng sind als bei uns. Hier wird man noch viele Bedenken ausräumen müssen. Dabei geht es gar nicht um die technischen, sondern um rechtliche und ethische Fragen.

Werden die Erfahrungen aus China auch die Entwicklung in Deutschland vorantreiben?

Das geschieht schon. Unsere Auto-Hersteller produzieren nur zum Teil für den heimischen Markt. Wenn in China automatisiertes Fahren eingeführt wird, und unsere Firmen sind nicht dabei, dann verlieren sie Marktanteile. Eine ähnliche Diskussion gab es bei der E-Mobilität. Warum ist VW da doch noch rechtzeitig aufgesprungen? Weil China auf E-Mobilität setzt. Der chinesische Markt wird technologische Entwicklungen beschleunigen. Und wenn eine Technologie sich weltweit durchsetzt, wird man sich hier nicht abschotten können.

Und wird unsere Region dabei zumindest in Deutschland vorne mitfahren?

Ja, das wird sie. Das DLR engagiert sich wie auch die TU auf diesem Gebiet stark. Hinzu kommt Volkswagen als Unternehmen, welches das unterstützt. Leider fehlt uns aber noch ein bisschen das politische Lobbying. Niedersachsen ist schließlich das Mobilitätswirtschaftsland. Stärker noch als Baden-Württemberg, aber das wird nicht so wahrgenommen.

Glauben Sie, dass der neue Wissenschaftsminister diese Rolle übernehmen wird?

Björn Thümler ist auf jeden Fall eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit. Die Frage ist, wie schnell er das neue Geschäft lernt. Er ist ja von Haus aus kein Wissenschaftspolitiker. Aber das kann man lernen. Und wenn er das rasch lernt, wird Niedersachsen hier stärker auftreten. Auch innerhalb des Kabinetts bekommt die Wissenschaft ein stärkeres Gewicht. Thümler war für den Fall eines CDU-Wahlsiegs als zweiter Minister hinter Althusmann gesetzt. Das zeigt, welchen politischen Stellenwert er hat.

Noch einmal zurück zu China. Wirtschaftlich ist das Land längst eine Weltmacht. Wird es das auch in der Wissenschaft werden?

Ich war erstmals 1996 in China an der Pekinger Universität für Luft und Raumfahrt. Damals sah es dort aus wie in der Tiefgarage der TU Braunschweig. Als ich 2010 zuletzt dort war, hatten die Verhältnisse sich umgedreht. China hat ein Milliardenprogramm zur Förderung von Universitäten

aufgelegt. Außerdem gehen

massenhaft chinesische Studenten an Hochschulen im Ausland. Beim Master Kraftfahrzeugtechnik unserer TU sind das 50 Prozent der Studenten. China wird allein schon aus quantitativen Gründen eine Wissenschaftsmacht werden. Und man kann nicht verhindern, dass aus extremer Quantität auch irgendwann Qualität entspringt.

Das führt uns zur Exzellenz. Welche Entwicklung sehen Sie da für die niedersächsischen Hochschulen?

Eine sehr positive. Und dafür muss das ehemalige Wissenschaftsministerium unter Gabriele Heinen-Kljajic ausdrücklich gelobt werden. Das hat systematisch Spitzenforschung in Niedersachsen gefördert. Das war die Lehre aus der Pleite in der vergangenen Runde der Exzellenzinitiative, die für Niedersachsen fürchterlich war. Aber wenn man sich die aktuelle Vorrunde anschaut: Zehn Anträge sind durchgekommen. Das ist fantastisch!

Bekommt Niedersachsen also wieder eine Exzellenzuniversität, womöglich in Braunschweig?

Das nicht. Wir haben einen eigenen und einen gemeinsamen Antrag mit der Universität Hannover in die zweite Runde bekommen. Das ist toll, reicht aber nicht. Die spannendere Frage ist, ob die Leibniz-Universität Hannover es schafft. Meine persönliche Einschätzung ist, dass Göttingen die größere Chance auf den Titel hat.

Zwei schaffen es nicht?

Nein. Wir wollen auch nicht gleich maßlos werden. Eine Exzellenz-Uni in Niedersachsen ist schon gut. Um konkret zu orakeln: Göttingen wird Exzellenzuniversität, und die TU Braunschweig bekommt zwei Cluster genehmigt.

Im Oktober trafen sich 500 Wissenschaftskommunikatoren in Braunschweig. Ein Thema: „Fake News“. Wird die Stimme der Wissenschaft leiser in der Debatte über wissenschaftsbasierte Themen?

Ja. Das ist der Fluch der neuen Medien. Jeder kann diesen ganzen Blödsinn wie etwa um „Chemtrails“ und dergleichen in die Welt setzten, und es ist schwer zu unterscheiden, ob es sich um eine seriöse, wissenschaftlich fundierte Meldung handelt oder um Fake News. Und wenn dieser Zweifel entsteht, werden immer mehr wissenschaftliche Aussagen in Frage gestellt. Wie kann es beispielsweise sein, dass Kreationisten auf dem Vormarsch sind?

Ich habe aber den Eindruck, dass sich viele Wissenschaftler gerade bei öffentlich umstrittenen Themen wie Glyphosat, Gentechnik oder Tierversuchen zurückziehen.

Ja. Es war auch ein Fehler, dass wir beim Dieselskandal nicht fachlich Position bezogen haben. Wissenschaft muss deutlich machen, dass sie neutral und nicht interessengeleitet ist, keine abhängige Auftragsforschung betreibt. Wenn dieser Verdacht entsteht, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Dass Wissenschaftler und Forschungsinstitutionen sich aus emotional aufgeheizten Debatten zurückziehen, ist gefährlich. Glyphosat ist ein Beispiel. Natürlich gibt es jede Menge über Sinn und Unsinn unserer Landwirtschaft zu diskutieren, aber es gibt keinen seriösen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Glyphosat krebserregend ist. Da wird mit Emotionalisierung und Fake News gearbeitet. Und das sind gefährliche Entwicklungen. Wissenschaftler dürfen sich nicht zurückziehen! Sie müssen begründen, warum sie tun, was sie tun. Man kann und muss zum Beispiel Tierversuche begründen. Dazu muss man stehen, auch wenn man angefeindet wird.

Welche Wissenschaftsthemen werden 2018 Schlagzeilen machen?

Spektakuläre Nachrichten kommen oft aus dem Gesundheitsbereich. Dazu könnte die Heilung von HIV oder anderer Infektionskrankheiten zählen. Auch einen Durchbruch bei der Batterietechnik halte ich für denkbar. Und da sind wir thematisch dann bei unserer Region: Ich erwarte die Ansiedlung einer weiteren außeruniversitären Forschungseinrichtung. Die Aktivitäten der Fraunhofer-Gesellschaft in unserer Region werden zunehmen.

Ihr Tipp für den Nobelpreis?

Da habe ich keine Idee. Vielleicht ist das der endgültige Hinweis, dass ich mit dem Orakeln langsam aufhören sollte.