Braunschweig. Der Minister Schmidt beruft sich bei seiner Entscheidung für das Herbizid auf die gründliche wissenschaftliche Risikobewertung.

Unser Leser Dirk Volkmann aus Königslutter fragt:

Die Internationale Krebsforschungsagentur stufte Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Die EU-Kommission verlängerte jetzt die Zulassung. Warum stimmte Deutschland für die Verlängerung?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

„So isser, der Schmidt“, lautet die Antwort, die Christian Schmidt (CSU) unserem Leser in gewisser Weise schon gegeben hat. Diesen Satz äußerte der Bundeslandwirtschaftsminister am Montagabend in der Tagesschau. Tatsächlich geht die Zustimmung Deutschlands für die Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat wohl allein auf seine Entscheidung zurück.

„Das ist eine politische Frage und keine wissenschaftliche. In der Wissenschaft ist die Sache abschließend geklärt.“
„Das ist eine politische Frage und keine wissenschaftliche. In der Wissenschaft ist die Sache abschließend geklärt.“ © Prof. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, im „Tagesspiegel“ zum Thema Glyphosat

Das ist bemerkenswert, denn innerhalb der Regierung herrscht Uneinigkeit über die Einschätzung von Glyphosat: Das Agrarministerium befürwortet eine Verlängerung der Zulassung, das von Barbara Hendricks (SPD) geführte Umweltministerium lehnt sie ab, seit es einen zuvor zwischen den beiden Ressorts erarbeiteten Kompromiss im Mai 2016 relativ abrupt aufkündigte. Daher hatte sich Deutschland bei bisherigen Abstimmungen enthalten, was dazu beitrug, dass eine Entscheidung immer wieder aufgeschoben wurde.

Nun also das überraschende deutsche Ja. Die düpierte Umweltministerin zeigte sich am Dienstag entsprechend konsterniert. „Es müssen auf jeden Fall vertrauensbildende Maßnahmen vonseiten der Union kommen“, sagte sie dem Deutschlandfunk. Denkbar sei etwa eine Entlassung Schmidts. Kanzlerin Angela Merkel bestätigte bereits, dass der CSU-Politiker gegen die Geschäftsordnung der Regierung verstoßen hat. „Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet war“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin und fügte eine Rüge für den Minister hinzu: „Das ist etwas, was sich nicht wiederholen darf.“

Warum also „isser“ so, der Schmidt? Er entscheide „an der Sache und an nichts anderem“, sagte Schmidt im erwähnten Gespräch mit der Tagesschau. Sein Ministerium erklärt in einer Pressemitteilung: „Die lange Diskussion über die Zulassungsverlängerung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat wurde heute auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse fachlich entschieden.“ Schmidts Position sei schon immer gewesen: „Wenn eine wissenschaftliche Grundlage vorhanden ist, gibt es einen Anspruch auf die weitere Nutzung von Glyphosat.“

Eine solche Grundlage gibt es in der Tat. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) war von der EU-Kommission mit einer Bewertung von Glyphosat beauftragt worden. Es kam in seinem 4500 Seiten umfassenden Bericht, in dem rund 1500 wissenschaftliche Publikationen sowie unveröffentlichte Rohdaten ausgewertet wurden, zu dem Schluss, dass keine besondere Gesundheitsgefährdung von dem Pflanzenschutzmittel ausgehe. Auch ein Krebsrisiko bestehe nicht.

Zur selben Einschätzung kamen unter anderem die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA, die Europäische Chemikalienagentur ECHA, die US-Umweltbehörde EPA, die Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO für Pestizid-Rückstände JMPR, die kanadische Behörde für Schädlingsbekämpfung PMRA, die australische Behörde für Pestizide und Tiermedizin APVMA und die neuseeländische Umweltbehörde EPA.

Vermeintliche Krebsgefahr als politisches Kampfmittel

In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ wurde BfR-Präsident Professor Andreas Hensel am Montag in dieser Sache noch einmal sehr deutlich: „Das ist eine politische Frage und keine wissenschaftliche. In der Wissenschaft ist die Sache abschließend geklärt.“ Hensel kritisiert, dass die Wissenschaft als „Kampfmittel“ missbraucht werde.

Tatsächlich wird das BfR für seine Glyphosat-Bewertung seit Jahren teils heftig kritisiert. Sogar Morddrohungen haben Mitarbeiter bereits erhalten. Kritiker verweisen häufig auf die der WHO angegliederte Internationale Krebsforschungsagentur IARC. Die stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.

Allerdings bewertet die IARC nicht das Risiko, das vom Umgang mit Glyphosat und der Aufnahme von Spuren des Mittels über die Nahrung ausgeht, sondern dessen grundsätzliche Fähigkeit, Krebs hervorzurufen. Deswegen berücksichtigt sie auch Studien, bei denen extrem hohe Dosen eingesetzt wurden und diese teils in einer Weise, die in der Realität unmöglich verkommt. In einer Studie etwa wurde Glyphosat direkt in Hühnereier hineingespritzt.

Den Unterschied zwischen Gefahr und Risiko verdeutlicht die Tatsache, dass die IARC Wurst, Alkohol und Plutonium in dieselbe Kategorie einordnet (krebserregend), obwohl das tatsächliche Risiko, das von diesen Substanzen ausgeht – und davon abgeleitete Empfehlungen für den Umgang – extrem unterschiedlich sind.

Darüber hinaus ist aber selbst die reine Gefahrenbewertung von Glyphosat durch das IARC ausgesprochen zweifelhaft. Der ursprüngliche Bericht der Agentur ist offenbar kurz vor der Veröffentlichung umgeschrieben worden: Hinweise auf Tierstudien, die keinen Zusammenhang mit Krebs belegen konnten, wurden entfernt oder teilweise durch gegenteilige Aussagen ersetzt. Herausgefunden hat dies die Reuters-Journalistin Kate Kelland, die für ihre Recherchen zum Thema kürzlich mit dem Preis „Wissenschaftsgeschichte des Jahres“ der „Foreign Press Association“ in London ausgezeichnet wurde.

Kelland berichtet weiter, dass der Leiter der Glyphosat-Untersuchung der IARC, Aaron Blair, bereits vor der Veröffentlichung des Berichts der Agentur die Ergebnisse der „Agricultural Health Study“ (AHS) kannte. Diese begleitet seit 1993 knapp 90 000 Berufstätige in der Landwirtschaft in den USA. Nun kam diese weltweit größte Untersuchung an Arbeitern in der Landwirtschaft zu dem Ergebnis, dass es keine Hinweise auf eine krebsauslösende Wirkung von Glyphosat gibt. Blair erklärte vor einem Gericht in Kalifornien, dass die IARC ihre Einstufung von Glyphosat wahrscheinlich hätte ändern müssen, hätte man die Ergebnisse der AHS-Studie berücksichtigt.

In der Kritik steht auch Christopher Portier. Der Statistiker und Umweltaktivist kämpft seit Jahren gegen den Einsatz von Pestiziden. Und er war der einzige externe Berater der IARC bei ihrer Glyphosat-Bewertung – ein offensichtlicher Interessenkonflikt, den die Agentur ignorierte. Vor einigen Wochen wurde nun bekannt, dass Portier 160 000 Dollar von US-Anwaltskanzleien erhalten hat. Portier beriet diese Kanzleien bei Schadensersatzklagen – gegen die Hersteller von Glyphosat. Eine solche Klage von 184 Krebspatienten gegen die Firma Monsanto wird derzeit in Kalifornien verhandelt.

Diesen eindeutigen Interessenkonflikt hielt Portier, der offenbar maßgeblich am IARC-Bericht zu Glyphosat mitgeschrieben hat, geheim. Mehr noch, er leugnete ihn sogar, als er gegenüber Journalisten im Oktober 2016 behauptete: „Niemand hat mir auch nur einen Cent für meine Arbeit mit Glyphosat bezahlt. Ich habe keinerlei Interessenkonflikt.“

Weder in seinem offenen Brief an den Kommissionspräsident der Europäischen Union, Jean-Claude Juncker, im Mai, noch bei seinem Auftritt im Bundestag vor zwei Jahren erwähnte Portier, dass er für Kanzleien arbeitet, die von einer Einschätzung von Glyphosat als krebserregend finanziell profitieren.

Unterdessen kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bereits an, Glyphosat in spätestens drei Jahren verbieten zu wollen. Für die Grünen ist das Herbizid außerdem ein Kampagnenthema im Kampf gegen Gentechnik und konventionelle Landwirtschaft. Trotz verlängerter Zulassung geht der Streit um Glyphosat also weiter.

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