Braunschweig. In Niedersachsen gibt es fast 3000 freie Stellen in der Altenpflege. Bis 2030 soll die Zahl der Pflegebedürftigen auf 370 000 steigen.

Unser Leser, der sich Kranker Bäh-Troyer Dirk nennt, schreibt auf Facebook:

Manchmal müssen Altenpfleger aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf an den Nagel hängen.

Die Antwort recherchierte Stefan Lienert

Das Pflegesystem und der Umgang mit Pflegebedürftigen in Deutschland hat große Schwächen. Der Meinung sind zwei Drittel der Befragten einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter Personen zwischen 30 und 59 Jahren. Zudem hält die Mehrheit der Interviewten die staatliche Unterstützung für Pflegebedürftige für unzureichend.

Dieser angeprangerte Pflegenotstand macht sich auch in Niedersachsen bemerkbar. Im Oktober dieses Jahres gab es hier der Bundesagentur für Arbeit zufolge mehr als 2900 unbesetzte Arbeitsstellen im Bereich der Altenpflege. Fast 2000 freie Stellen waren für Pflegefachkräfte ausgeschrieben, im Vergleich zum Oktober des Vorjahres ein Anstieg von mehr als 15 Prozent. 3050 Altenpfleger und Altenpflegehelfer waren im Oktober 2017 arbeitslos. Wie unser Leser anmerkt, könnte die gesundheitliche Beeinträchtigung der Pfleger, die eine Eingliederung in den Arbeitsprozess nicht mehr zulässt, ein Grund dafür sein.

Laut Arbeitsagentur arbeiteten im März dieses Jahres in Niedersachsen fast 64 000 Personen in der Altenpflege, davon etwa 85 Prozent Frauen. Gleichzeitig gab es etwa 300 000 Pflegebedürftige. Etwa zwei Drittel davon werden zu Hause, ein Drittel in Pflegeheimen versorgt.

Die Schere in der Pflege ist also bereits geöffnet, wird aber noch weiter auseinandergehen. Denn nach Angaben des Statistischen Landesamtes soll die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 auf fast 370 000 steigen, bei dann Zehntausende fehlenden Fachkräften.

Gründe dafür sieht die pflegepolitische Sprecherin der Linken, Pia Zimmermann, in der gegenwärtigen Lage der Altenheime. „Es ist nicht nur so, dass viele Senioren leiden. Das gilt auch für die Pfleger, denn sie können ihre Arbeit nicht richtig machen. Die Zeit fehlt einfach.“ Zu dieser schweren körperlichen Arbeit komme oft noch hinzu, dass die Entlohnung miserabel sei. „Wo wird denn heute noch nach Tarif bezahlt? In den allermeisten privaten Pflegeeinrichtungen jedenfalls nicht mehr.“

Das sieht Verdi-Gewerkschaftssekretär Axel Reichinger ähnlich. „Für manche Einrichtungen spielt nur die reine Rendite eine Rolle. Mehr als jede zweite Einrichtung wird rein privat betrieben, und nur einige haben maximal einen Haustarif.“

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kommt in einer Studie von 2012 zu dem Ergebnis, dass das Angebot an Pflegepersonal bis 2050 bei einer höheren Attraktivität des Pflegeberufs, etwa durch bessere Bezahlung und verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten, sowie durch Zuwanderung ausländischer Pflegekräfte fast verdoppelt werden könnte.

So versucht die zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit seit 2013, mit ihrem gestarteten Projekt „Triple Win“ dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Sie möchte ausländische Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt gewinnen. Sprecherin Beate Raabe betont, dass nur in Ländern geworben wird, in denen die Situation nicht ganz so akut ist wie in Deutschland. So richten sich die Anfragen vornehmlich an die Pflegekräfte aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und den Philippinen. Mehr als 1000 von ihnen haben laut Raabe im Bereich der Kranken- und Altenpflege die Arbeit aufgenommen. 2018 kommt mit Tunesien noch ein viertes Land hinzu. Doch bei dem Projekt gibt es Hürden: „In Deutschland verläuft die Ausbildung eher schulisch. Viele andere Länder bieten sie nur als Studium an.“ Eine Ausbildung im Bereich Altenpflege gebe es nicht. Dazu sei das Mindestsprachniveau B2 Pflicht.

Eine andere Idee, um den Notstand zu verringern, unterbreitet Professorin Martina Hasseler, die an der Ostfalia in Wolfsburg Pflegewissenschaften doziert. Sie schlägt vor, Roboter einzusetzen. „Das muss bedarfsorientiert geschehen. Für Gespräche sind sie ungeeignet, für Hauswirtschaftliches, etwa Staubsaugen oder Tabletten reichen, schon eher.“

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