Braunschweig. Unsere Region bekam bei der Verteilung von Zuschüssen in mehreren Fördertöpfen vergleichsweise wenig ab. Wer ist schuld?

Hat die CDU/FDP-Landesregierung die Region Braunschweig beim Verteilen von Fördermitteln schwer benachteiligt?

„Bei der Förderung für ländliche Räume oder beim europäischen Sozialfonds greift das Emsland viermal so viel EU-Zuschüsse ab wie der Kreis Helmstedt“, hatte unsere Zeitung berichtet. Ein Problem: Schwache Kommunen, also eigentlich besonders förderungsbedürftige, können sogenannte Kofinanzierungsmittel teilweise gar nicht aufbringen. Darauf hatte Helmstedts Landrat Matthias Wunderling-Weilbier (SPD) hingewiesen.

Der frühere Landeswirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) weist den Vorwurf zurück, das Land habe unsere Region bei der Vergabe von EU-Fördermitteln vernachlässigt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass mal jemand gekommen ist und gesagt hat, wir haben ein tolles Projekt, aber kein Geld zur Ko-Finanzierung.“ Politiker aus dem Kreis Helmstedt behaupten aber, dass dieser aus Mangel an Eigenmitteln keine Förderung mehr erhalten habe – stattdessen seien wirtschaftlich starke Landkreise in Weser-Ems gepäppelt worden.

Gundolf Algermissen, Ex-Bezirksvorsitzender des DGB, kritisiert ein Versagen der Politiker in unserer Region: Seit 20 Jahren forderten Gewerkschaften, dass ein Büro gegründet wird, das den Mittelstand bei Förderanträgen unterstützt – „nichts ist passiert“.

Für Jörg Bode (FDP), bis Februar Landes-Wirtschaftsminister, ist die Kritik aus der Region nicht haltbar. „Die EU-Förderung geht von inhaltlichen Ansätzen aus, nicht von Pro-Kopf-Werten“, sagte Bode unserer Zeitung. So sei der Schwerpunkt in der Landwirtschaft nun einmal im Nordwesten des Landes, also gehe auch der Großteil der Agrarförderung dorthin. In die Region Braunschweig seien demgegenüber hohe Beträge in die Forschungsförderung geflossen.

Unser Leser Harald Menges aus Braunschweig fragt:

Wir viele Eigenmittel sind für die Einwerbung von EU-Fördergeldern seitens der Landkreise und kreisfreien Städte erforderlich? Und warum haben die Gebietskörperschaften diese nicht aufgebracht?

Es dürfe nicht nur von einer ungerechten Verteilung der Fördermittel seitens des Landes gesprochen werden, erläutert unser Leser Harald Menges aus Timmerlah. Schließlich könne ja ein Kreistag oder Stadtrat selbst entscheiden, ob eine Stadt oder ein Landkreis EU-Fördermittel in Anspruch nehmen. Kommunen würden sich teils gegen die Förderung entscheiden, weil diese durch Eigenmittel ergänzt werden müsse. Menges: „Wer ein Haus bauen will, kann dieses ja auch nur mit Eigenkapital tun, welches durch Fremdkapital ergänzt wird.“

Anlass für die Leserfrage ist die Berichterstattung über die Fördergeld-Verteilung in Niedersachsen: Landkreise im Westen wie das Emsland erhielten umgerechnet auf die Einwohnerzahl eine deutlich höhere EU-Förderung als die Landkreise Helmstedt, Wolfenbüttel, Peine und die Stadt Salzgitter in unserer Region. Dieses gilt sowohl für die Förderung ländlicher Räume, den Sozialfonds und die Strukturfonds.

Somit wurden in der aktuellen, seit 2007 laufenden Förderperiode in erster Linie wirtschaftlich starke Kommunen gefördert. Auf der anderen Seite musste der überschuldete Kreis Helmstedt auf Fördermittel – etwa für die Schaffung von Arbeitsplätzen – verzichten, weil er nicht mehr die erforderlichen Eigenmittel aufbringen kann.

Natascha Manski, Sprecherin des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, erläuterte, wie hoch der Eigenanteil – die „Co-Finanzierung“ – der Landkreise bei EU-geförderten Projekten ist. In einem Satz ist diese Frage nicht zu beantworten:

So müsse als Erstes geklärt werden, „wie viel der Ausgaben bei der jeweiligen Maßnahme maximal förderfähig sind.“ Denn es gibt eine „Obergrenze für zuwendungsfähige Ausgaben“. Nähere Informationen zu diesen Obergrenzen finden sich in den jeweiligen Förderrichtlinien.

Zweitens ist über den sogenannten „Ko-Finanzierungs-Satz“ festgelegt, „welchen Anteil die EU an den zuwendungsfähigen Ausgaben übernimmt“. Auch dieser Satz variiert laut Natascha Manski: „Er hängt auch davon ab, ob es sich um öffentliche oder privat getragene Vorhaben handelt.“

Ein Beispiel: Der Co-Finanzierungs-Satz beträgt bei Maßnahmen im „Schwerpunktbereich 3“ maximal 50 Prozent. Was verbirgt sich hinter diesem Schwerpunktbereich 3?

Über das Landwirtschaftsministerium wird das niedersächsische Förderprogramm „Profil“ zur Entwicklung des ländlichen Raums betreut. Diese Mittel kommen aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (Eler).

Beim Profil-Programm investieren Gemeinden laut Manski meist in das „Leader“-Programm für innovative Aktionen im ländlichen Raum oder aber in besagten „Schwerpunktbereich 3“. Über diesen werden die „Lebensqualität im ländlichen Raum und die Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft“ gefördert.

Konkret: Mit einem Fifty-fifty-Mix aus EU-Mitteln und kommunalen Geldern werden Projekte zur Dorferneuerung, zur Verbesserung des ländlichen Tourismus oder für die Schaffung von Dienstleistungseinrichtungen gefördert.

Zur zweiten Frage von Leser Harald Menges erklärt Manski: „Weshalb von Kommunen in Südostniedersachsen Mittel für bestimmte Maßnahmen nicht aufgebracht werden, kann das Landwirtschaftsministerium nicht für den Einzelfall oder pauschal beurteilen.“ Hier könnten eher die Kommunen Auskunft geben, denn die Ursachen für eine verpasste EU-Förderung dürften von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Das Ministerium: „Neben der Frage, ob eine Kommune Handlungsbedarf sieht und tätig werden möchte, spielt grundsätzlich natürlich auch die Finanzkraft von Kommunen eine Rolle.“

Während im Landkreis Helmstedt tatsächlich fehlende Eigenmittel für die Fördermittel-Ebbe mitverantwortlich sind, führt ein Verantwortlicher aus dem Kreis Wolfenbüttel noch weitere, hausgemachte Probleme an: „Die Wirtschaftsförderung ist bei uns schlecht aufgestellt. Das hat die SPD schon vor zwei Jahren bemängelt“, sagt Falk Hensel, SPD-Fraktionschef im Kreistag. „Eine koordinierte Wirtschaftsförderung für den gesamten Landkreis, die Fördermittel-Akquise betreibt, wird gebraucht.“

Allerdings führen die Sozialdemokraten seit der Kommunalwahl im September die Mehrheitsgruppe im Kreistag an – warum haben sie nichts unternommen?

Erstmal habe man das Projekt für eine koordinierte Tourismusförderung vorangebracht, so Hensel, nun komme die gesamte Wirtschaftsförderung in die Beratung. Der Fraktionschef kritisiert auch die Abläufe bei der landeseigenen Fördergesellschaft N-Bank: „Oft sind die Formalitäten sehr umfangreich, es muss viel Geld vorgeschossen werden, die Abrechnung dauert lange – Fördermittel zu beantragen, muss attraktiver gemacht werden.“

Auch bei der Beantragung von Fördergeldern aus dem europäischen Sozialfonds (ESF) gruppiert sich der Kreis Wolfenbüttel – ebenso wie Helmstedt, Gifhorn, Goslar oder Peine – in der Gruppe mit dem geringsten Fördermitteleingang ein. Darüber werden beispielsweise Projekte gefördert, die arbeitslosen Jugendlichen den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Das ProAktiv-Centrum/Pace in Wolfenbüttel gehört ebenso wie die Jugendwerkstatt in Gifhorn zu den sozialen Projekten in unserer Region, die es in die Förderung geschafft haben. Wie ist das der Einrichtungsleiterin der Jugendwerkstatt, Daniela Schilling, gelungen? Das sei für Neueinsteiger schwierig, antwortet sie, nicht für ihre Einrichtung: „Wir sind schon sehr lange im Jugendwerkstättenprogramm und können von daher immer wieder Mittel aus dem Sozialfonds beantragen.“

Das EU-geförderte Projekt beschreibt Schilling so: „Bisher arbeitslose junge Menschen arbeiten in den Werkstätten mit und lernen Grundqualifikationen wie Pünktlichkeit, den Umgang mit Vorgesetzten oder das Arbeiten acht Stunden am Stück.“ Außerdem wird in der Jugendwerkstatt verloren gegangenes Schulwissen aufgefrischt, Sozialpädagogen schließen Zielvereinbarungen mit den Jugendlichen.

Doch wenn es den Landkreisen so schwer fällt, Fördermittel zu organisieren, warum hat dann nicht längst der Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) die Förderinteressen der Region gebündelt und vorangebracht?

Die Antwort der Sprecherin der Behörde fällt kurz und schlicht aus: „Ihre Fragen liegen nicht in der Zuständigkeit des ZGB und deswegen möchten wir uns in der Presse nicht zu den Fragen äußern.“ Dass diese Haltung des ZGB unbefriedigend ist, haben die Regionalpolitiker inzwischen erkannt. In dem Konzept, in dem die regionale SPD die Gründung eines Regionalverbands fordert, sieht sie auch ein „Europabüro“ vor. Über dieses soll die Beantragung von EU-Fördermitteln koordiniert und forciert werden. Auch der Wolfenbütteler Falk Hensel hält das für aussichtsreich. In Lüneburg habe man schon gute Erfahrungen gesammelt.

Gundolf Algermissen, ehemaliger Bezirksvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Braunschweig, schüttelt allerdings angesichts der bisherigen Untätigkeit nur noch den Kopf: „Seit annähernd 20 Jahren forderten und fordern die Gewerkschaften eine Einrichtung, an die sich der Mittelstand richten kann, um in Förderstrukturen einbezogen zu werden.“

Notwendig seien eine Beratung und Betreuung der Betriebe von der Erstinformation bis zum unterschriftreifen Antrag, so Algermissen, der ehrenamtlicher Geschäftsführer der Akademie regionale Gewerkschaftsgeschichte ist.

Das von ihm aufgezeigte Defizit deckt sich mit einer Analyse von Wolf-Michael Schmid, Präsident der Industrie- und Handelskammer Braunschweig, und Eckhard Sudmeyer, Vize-Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Die Beiden erklärten bereits: Ein wesentlicher Grund, warum so viele EU-Fördermittel in die West-Landkreise Emsland oder Aurich geflossen seien, sei die dortige Stärke der mittelständischen Wirtschaft. Diese ist sehr emsig bei der Entwicklung förderwürdiger Projekte.

Der Volkswagen-Konzern oder die Salzgitter AG verfügen über eigene Mitarbeiter, die Förderprogramme durchforsten. Die kleineren Betriebe sind hingegen oft, anders als in Weser-Ems, auf sich allein gestellt. Die ellenlangen Förderrichtlinien und Antragsunterlagen sind so komplex, dass Betriebe die Formalitäten nicht alleine bewältigen können.

Gundolf Algermissen erinnert sich daran, dass Politiker bei der Gewerkschaftsforderung nach einer Fördermittel-Zentrale immer „freundliches Interesse“ gezeigt hätten – „und das war es dann.“

Podiumsdiskussion

„Südostniedersachsen – Lebenswerte Region oder Fusionen aus Not?“ lautet der Titel einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung. Sie findet am Freitag von 9.30 bis 14.30 Uhr in der Aula des Hauses der Wissenschaft Braunschweig statt, Pockelsstraße 11.

Es sind zu hören (unter anderem): Klaus Lompe (TU Braunschweig), Michael Walther (Braunschweiger Forum), Jörg Röhmann (Sozialministerium), Peter Wagner (Stadt Wolfsburg), Frank Ahrens und Detlef Ahting (Verdi), Julius von Ingelheim (Allianz für die Region), Marion Lau (Kreis Gifhorn).