Braunschweig. Politologen, Politiker und Regionsmanager sind sich einig, dass Fördermittel eingeworben werden müssen: Ein Regionalbeauftragter soll her...

Unsere Leserin Elke Klug aus Schöningen fragt:

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist kein Sachbearbeiter vorhanden, um wegen der Komplexität förderungsfähige Dinge herauszufinden. Warum stellen die niedersächsischen Unternehmen niemanden ein, der solche Dinge übernimmt?

Fördermittel für kommunale Projekte können nur politische Gremien einfordern. Möglicherweise könnten Wirtschaftsunternehmen den Kommunen den Sachbearbeiter finanzieren.

Nach wie vor steht der Vorwurf im Raum, das Land Niedersachsen habe unsere Region bei der Vergabe von EU-Fördermitteln vernachlässigt. Die Politik weist diesen Vorwurf zurück, zuletzt der frühere Landeswirtschaftsminister Jörg Bode (FDP), der sagt, es hätten gar keine Anträge aus unserer Region vorgelegen.

Fakt ist: Gefördert wurde nichts beziehungsweise kaum etwas. Die Frage lautet daher: Was muss geändert werden, damit die Förderung wieder in Gang kommt, den Aspekt des von der Wirtschaft bezahlten Förderungsscouts ausgenommen.

„Das Dilemma ist die Abschaffung der Bezirksregierungen“, bedauert Klaus Lompe, Politologe und emeritierter Professor der TU Braunschweig. „Die Bezirksregierung hatte explizit die Aufgabe, regionale Projekte zu vertreten. Jetzt brauchen wir aktuell ein Gremium, das diese Aufgabe übernimmt“, fordert Lompe. Wenn beispielsweise die verfasste Region bereits bestehen würde, sei es deren Aufgabe, Projekt-Förderung zu beantragen. „Dann könnten Schwächen und Gefälle in der Region ausgeglichen werden, denn die Region besteht eben nicht nur aus Braunschweig und Wolfsburg“, so Lompe. Egoistisches Denken müsse im Sinne einer Region aufgegeben werden. „In Hannover ist das wunderbar gelungen. Dort funktioniert die Region. Das muss man einfach sehen und zugeben“, sagt der Politologe.

Den Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) mit dieser Aufgabe zu betrauen, hält Lompe für nicht denkbar. „Der ZGB hat keine Legitimation für die Außenvertretung der Region. Und er ist zu schwach ausgestattet.“

Den ZGB für diesen Auftrag aufzuwerten, hält Julius von Ingelheim, Geschäftsführer der Allianz für die Region, für eine Möglichkeit. „Aber auf der Verwaltungsseite müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Es muss der nun schon länger angekündigte Regionalbeauftragte her“, fordert von Ingelheim.

„Auf die Förderungssystematik muss geachtet werden“, stellt Matthias Wunderling-Weilbier (SPD) klar. Schwache Kommunen, und damit seien diejenigen gemeint, die besonders förderungsbedürftig seien, könnten die Kofinanzierungsmittel teilweise gar nicht aufbringen, die nötig sind, um ein Projekt überhaupt von externer Seite gefördert zu bekommen. „Ein Regierungsbeauftragter wäre wirklich von außerordentlicher Bedeutung. Die Rückkehr der Bezirksregierungen wird vermutlich niemand verantworten wollen“, sagt der Landrat.

Marion Lau (SPD), Landrätin des Kreises Gifhorn, will keine plakativen Forderungen nach Förderungsscouts oder Ähnlichem stellen. „Wir Gifhorner sind Teamplayer und wir gucken nach, wer welches Problem hat und wie wir zur Problemlösung beitragen können“, sagt die Landrätin. Ihr Landkreis könne auf ein ausgezeichnetes Netzwerk zurückgreifen, um erfolgreich zu agieren.

„Man hat es immer mit handelnden Personen zu tun. Man muss sprechen“, erklärt die SPD-Politikerin Erfolg beim Eintreiben von Fördermitteln. „Wer nicht handelt, wer nicht spricht ...“, sagt sie und lässt ihren Satz unvollendet.

Die Antworten gaben Klaus Lompe, Julius von Ingelheim, Marion Lau und Matthias Wunderling-Weilbier am Freitag am Rande der Fachtagung „Süd-Ost-Niedersachsen – Lebenswerte Region oder Fusion aus Not“. Dazu hatte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in die Aula der TU Braunschweig eingeladen. Das Hauptreferat hielt Klaus Lompe. Er beschäftigte sich mit den „Voraussetzungen und Herausforderungen für einen Regionalisierungsprozess von unten.

Die Landesregierung unter Sigmar Gabriel (SPD) habe regionale Kooperationen angeregt und sogar dafür plädiert, Regionalisierungsprozesse selbst zu organisieren. „Das ist leider wieder aufgegeben worden. Und neuerdings haben wir es hier bei uns mit vielen Ressentiments zu tun, die zum Teil sogar historisch begründet werden, um Abgrenzungen zu schaffen“, stellte Lompe fest.

So entstehe keine Region, schon gar keine Region von unten, die die Menschen, die Bürger mittragen. Lompe nannte Faktoren, die unabdingbar für eine Regionsbildung seien:

• Einsicht in die Notwendigkeit regionalen Handelns,

• Definieren der regionalen Ziele,

• Handlungskompetenz übernehmen,

• hohe Akzeptanz in der Gesellschaft schaffen,

• Alleinstellungsmerkmale schaffen,

• Einbindung der gesellschaftspolitischen Kräfte,

• Einbindung von Wissenschaft, Administration und Wirtschaft,

• Öffentlichkeitsarbeit, um die Bürger für die Region zu gewinnen.

„Die zentrale Herausforderung für die Region aber ist, dass der demografische Wandel bewältigt werden muss“, stellte Lompe klar. „Das bedeutet, dass sich das Dienstleistungsangebot ändern muss“, mahnte der Politologe.

Dafür sei eine konsequente regionale Strategie erforderlich, die über das Gerangel um Ansiedlung von Familien mit Kindern und Fachkräften hinausgehe.

Wer es noch nicht bemerkt habe: „Der Wettbewerb hat längst begonnen. Gewinner ist, wer frühzeitig auf den demografischen Wandel reagiert“, machte Lompe deutlich. Auch Unternehmen müssten jetzt Strategien entwickeln.

Früher sei die Regionalisierung auf den Strukturwandel ausgerichtet gewesen, und das bedeutete seither, den Niedergang der Industrie zu verhindern. Strukturwandel heute bedeutet aber, dass alle Branchen betroffen sind.

„Alle Branchen müssen sich ändern“, machte Lompe deutlich. Und fügte an: „Jetzt geht es vor allem um Wissen. Wir müssen auch in Wissen investieren.“

Zur angestrebten Fusion der Stadt Wolfsburg mit dem Landkreis Helmstedt bemerkte der Politologe: „Die Fusion kann die Lebensbedingungen in Helmstedt verbessern. Aber diese Fusion kann nur ein Baustein für die Gesamtregion sein.“