Braunschweig. „In Zeiten, in denen Rassisten und Rechtspopulisten den öffentlichen Diskurs vergiften, gilt es ganz besonders, aufmerksam zu bleiben.“

„Als schwarze Familie erleben wir leider immer wieder, dass wir komisch behandelt werden. Wenn ich mit meinen Kindern einen Spielplatz besuche, rufen manche Eltern ihre Kinder zurück, damit sie nicht auf die Idee kommen, mit unseren zu spielen.“

Kinder dürfen nicht mit anderen Kindern spielen – wegen ihrer Hautfarbe. Was für eine demütigende und verletzende Erfahrung. Geschildert hat sie Céline M. (Name von der Redaktion geändert),die aus einem ostafrikanischen Land nach Deutschland geflüchtet ist. Sie ist eine von vier Personen, die in unserer Zeitung ihre Erlebnisse anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus geteilt haben.

Rassismus ist ein alltägliches Problem – auch hier bei uns. Zuletzt flammte das Thema rund um die Vorwürfe gegen den Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma in Braunschweig auf. Dieser hatte den Sprecher des Stadtschülerrats in dessen Büro für einen Einbrecher gehalten und ihn mit Unterstützung der Polizei des Gebäudes verwiesen. Der Mann soll gesagt haben, er könne sich nicht vorstellen, dass ein Türke Sprecher des Stadtschülerrats sei.

Es geht darum, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die unter Rassismus leiden

Auch wenn der Fall noch ungeklärt ist: Solche Denkmuster diskriminieren Menschen. Es gilt, sie zu überwinden. Deshalb ist es wichtig, dass es Aktionstage und -wochen wie diese gibt. Damit diejenigen zu Wort kommen, die Rassismus erfahren. Und damit diejenigen sensibilisiert werden, die Rassismus verhindern können: Wir alle.

Dabei geht es nicht um Schuldzuweisung, sondern um Verantwortung. Wollen Sie, will ich andere Menschen verletzen? Die Antwort lautet hoffentlich: nein. Ob Rassismus bewusst oder
unbewusst geschieht, spielt dabei keine Rolle. Durch Blicke, Handlungen und Aussagen wie „Und wo kommst Du ursprünglich her?“ kann ich Menschen verletzen. Wenn ich jemandem aus Versehen auf den Fuß trete, dann tut es trotzdem weh.

Auch wir als regionales Medium tragen hier Verantwortung. Uns lesen viele Tausend Menschen jeden Tag. Wenn wir unbedarft, vielleicht unwissend Stereotype wiederholen, unsensibel mit unserer Sprache umgehen, dann reproduzieren wir das Problem.

Was also können wir, kann jeder und jede Einzelne, tun? Dazu gibt Türkân Deniz-Roggenbuck, Inhaberin der Braunschweiger Kulturton-Agentur für Diversität und Transkulturalität, Tipps:

1. „Respektiere die Gefühle anderer“

Laut Nationalem Diskriminierungs- und Rassismusmonitor von 2022 sagen 90 Prozent der Bevölkerung, dass es Rassismus in Deutschland gibt.

Aber: Die Reaktionen darauf sind widersprüchlich. So sind knapp 70 Prozent der Menschen in Deutschland bereit, Rassismus entgegenzutreten – durch Unterstützung auf Demonstrationen, Sprachkritik oder Geldspenden. Die repräsentative Studie zeigt aber auch: Betroffene von Rassismus werden von 33 Prozent als überempfindlich und von 52 Prozent als zu ängstlich wahrgenommen. Die Studie verdeutlicht: Menschen erkennen das Problem. Aber gleichzeitig reden sie es klein.

Rassismus ist auch ein strukturelles Problem. Wenn Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer unter Umständen auch nur angenommenen Herkunft schwerer einen Job finden. Oder sie in der Schule schlechter beurteilt werden. Oder sie nur Absagen auf der Suche nach einer Wohnung erhalten.
Rassismus ist auch ein strukturelles Problem. Wenn Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer unter Umständen auch nur angenommenen Herkunft schwerer einen Job finden. Oder sie in der Schule schlechter beurteilt werden. Oder sie nur Absagen auf der Suche nach einer Wohnung erhalten. © Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa)/ Antidiskriminierungsstelle des Bundes | Kristin Heine

In der öffentlichen Debatte werden oft Meinungsfreiheit und „Political Correctness“ gegeneinander ausgespielt. Zum Beispiel bei der Frage, ob ein auf das indigene Volk Nordamerikas anspielendes Kostüm zu Karneval getragen werden sollte oder nicht. Nach meinem Empfinden gibt es keine selbst ernannte „Sprachpolizei“, niemanden, der Verbote erteilen will. Es geht um grundsätzlichen Respekt vor den Gefühlen anderer. Und um Anstand.

2. „Schäme Dich nicht, Fehler passieren“

Jeder Mensch hat Vorurteile. Und jedem und jeder kann auch mal ein Spruch rausrutschen. Wichtig ist es laut Deniz-Roggenbuck aber, sich dieser Vorurteile klar zu werden und aus Fehlern zu lernen. Jeder und jede sollte sich bewusst sein: Selbst kleine Bemerkungen im Alltag können bei Betroffenen dauerhafte Spuren hinterlassen. Deshalb gibt Türkân Deniz-Roggenbuck auch den dritten Tipp:

3. „Sei achtsam in Sprache und Verhalten“

Rassismus umfasst zwei Dimensionen. Die eine ist die strukturelle, eine gesamtgesellschaftliche. Die andere Dimension ist eine individuelle. In unserem Denken, in unserer Sprache und in unserem Verhalten. Rassismus kann überall stattfinden. Sei es bei der Diskussion am Küchentisch über die korrekte Bezeichnung von Schaumküssen. Oder in der Straßenbahn, wenn die Handtasche fester unter den Arm geklemmt wird – je nachdem, wer die Bahn betritt.

4. „Informiere Dich – und stelle Fragen“

Oft prägt eine Frage den öffentlichen Diskurs rund ums Thema Diskriminierung: „Was darf man heutzutage überhaupt noch sagen?“ Dabei geht es weniger ums Dürfen, als vielmehr darum, was man sagen will und sollte. Sprache ist immer im Wandel. Um der eigenen Unsicherheit zu begegnen, gibt es wissenschaftliche Arbeiten und Literatur, die in den meisten Buchhandlungen zu finden ist. Außerdem lohnt es sich, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich mit den Themen Rassismus und Diskriminierung befassen.

So wird Rassismus in der Bevölkerung wahrgenommen.
So wird Rassismus in der Bevölkerung wahrgenommen. © Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa)/ Antidiskriminierungsstelle des Bundes | Kristin Heine

5. „Sei Dir Deiner Privilegien bewusst“

Rassismus ist auch ein strukturelles Problem. Wenn Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer unter Umständen auch nur angenommenen Herkunft schwerer einen Job finden. Oder sie in der Schule schlechter beurteilt werden. Oder sie nur Absagen auf der Suche nach einer Wohnung erhalten. Von solchen Diskriminierungen berichteten auch unsere Gesprächspartnerinnen und -partner. Wir sollten uns deshalb unserer strukturellen Privilegien bewusst sein – und darauf hinarbeiten, Chancengleichheit für alle herzustellen.

Was fangen wir also nun mit diesen Tipps an? Rassismus ist vielschichtiger als reine Aggression und Hass. Das sind die extremsten Formen. Rassismus beginnt in den kleinen Alltagssituationen, beim vermeintlichen Schenkelklopfer oder dem Klischee über das Herkunftsland einer Person. In Zeiten, in denen Rassisten und Rechtspopulisten den öffentlichen Diskurs vergiften, gilt es ganz besonders, aufmerksam zu bleiben.

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