Braunschweig. Ein Wachdienst hat den Sprecher des Braunschweiger Stadtschülerrats vor die Tür gesetzt. Rassismus-Vorwürfe werden laut. Der Wachmann dementiert.

Der Sprecher des Stadtschülerrats in Braunschweig ist am vergangenen Sonntag von einem Mitarbeiter des Wachdienstes vor die Tür des Stadtschülerrat-Büros gesetzt worden.

Atakan Koçtürk saß gerade am Rechner und war dabei, Büroarbeit für die Interessenvertretung aller Schüler und Schülerinnen in Braunschweig zu erledigen – doch der Wachmann glaubte ihm offenbar nicht und hielt ihn für einen Einbrecher. Dabei besaß der Schülersprecher einen Schlüssel des Gebäudes an der Kleinen Burg und konnte sich auch ausweisen. Der Sicherheitsmann soll laut Koçtürk gesagt haben, dass er sich nicht vorstellen könne, dass ein Türke Sprecher des Stadtschülerrats sei.

„Ich habe das als sehr verletzend und rassistisch empfunden“, erklärte der Schüler unserer Redaktion. Der 22-Jährige wurde in Braunschweig geboren und ist hier aufgewachsen, seine Großeltern waren einst als Gastarbeiter aus der Türkei gekommen. „So bin ich noch nie behandelt worden“, sagt Koçtürk.

Die Stadt, in deren Auftrag die Wach- und Schließgesellschaft Braunschweig für die Sicherheit in dem städtischen Gebäude sorgt, hatte am Donnerstag, als der Vorfall öffentlich bekannt wurde, mitgeteilt, das Geschehene lückenlos aufklären zu wollen. Für Rassismus sei kein Platz in Braunschweig.

Am Freitagnachmittag teilte die Pressestelle mit: Die Sicherheitsfirma habe sich nun schriftlich gegenüber der Stadtverwaltung zu dem Vorfall geäußert. „Darin gibt sie an, dass ihr Mitarbeiter die vom Sprecher des Stadtschülerrats geschilderten rassistischen Äußerungen nicht getätigt habe“, heißt es in der Mitteilung.

Da mit den geschilderten rassistischen Äußerungen allerdings ein „gravierender Sachverhalt im Raum steht“, hat die Stadtverwaltung nach Erhalt des Schreibens am Freitag den Geschäftsführer kontaktiert und zu einem kurzfristigen Gespräch aufgefordert, um den Sachverhalt weiter aufzuklären. Das Gespräch werden von städtischer Seite aus die zuständigen Dezernenten Dr. Tobias Pollmann und Holger Herlitschke führen.

SPD-Bundestagsabgeordneter fordert Entschuldigung und lückenlose Aufklärung

Auch die Politik reagierte umgehend auf die Anschuldigungen des Schülers. Christos Pantazis, Bundestagsabgeordneter der SPD aus Braunschweig, schreibt in einer Stellungnahme von Donnerstag: „Ich bin schockiert und entsetzt über derartige Vorkommnisse in Braunschweig. Diese rassistischen Äußerungen gegenüber Menschen widersprechen dem Wesen der Stadt Braunschweig und unseren Werten.“ Sollte sich das Geschilderte tatsächlich so zugetragen haben, so Pantazis weiter, fordere er alle Beteiligten auf, „den Fall lückenlos aufzuklären“. Die Aufklärung des Vorfalles müsse über eine Entschuldigung für Atakan Koçtürk hinausgehen.

Pantazis erklärt: „Ich kenne Herrn Koçtürk als engagierten Genossen und Juso und bedauere es daher zutiefst, dass er als ein junger Mensch eine solch leidvolle Erfahrung machen musste. Daher habe ich ihm empfohlen, sich an die Antidiskriminierungsstelle der Stadt zu wenden. Herrn Koçtürk hat meine volle Solidarität.“

Diskriminierung und Rassismus: Die Grünen vermuten eine hohe Dunkelziffer

Auch die Ratsfraktion der Grünen hatte noch am Donnerstagabend ein Statement veröffentlicht. Ratsfrau und Bürgermeisterin Cristina Antonelli-Ngameni, Sprecherin für Vielfalt und Integration: „Wir sind sehr bestürzt über das, was am Sonntag in der Kleinen Burg geschehen ist. Unseres Erachtens handelt es sich eindeutig um einen rassistischen Vorfall, der völlig inakzeptabel ist. Die deutliche Reaktion der Stadt Braunschweig begrüßen wir daher sehr. Es ist gut und richtig, dass die Verwaltung den Vorfall schnellstmöglich lückenlos aufklären und die erforderlichen Konsequenzen ziehen will.“

Cristina Antonelli-Ngameni gibt zu bedenken: „Längst nicht alle Vorfälle dieser Art werden bekannt. Es dürfte eine hohe Dunkelziffer und viele Vorfälle geben, die nicht öffentlich werden, auch hier in Braunschweig. Der Vorfall in der Kleinen Burg stellt unseres Erachtens nur die Spitze des Eisbergs dar. Bei Diskriminierung jedweder Art – insbesondere rassistischer - müssen wir genauer hinsehen und dürfen diese nicht tolerieren.“

Der Mitarbeiter der Wach- und Schließgesellschaft Braunschweig hatte den 22-jährigen Berufsschüler am Sonntag aus dem Haus an der Kleinen Burg begleitet und die Polizei alarmiert. Diese setzte das Hausrecht des Sicherheitsdienstes um und nahm dem Stadtschülersprecher den Schlüssel ab. Koçtürk hat auch das Auftreten der Polizei vor Ort und auf der Wache kritisiert. Die Polizei hat bereits Stellung dazu genommen. Auf eine Anfrage unserer Redaktion hat die Sicherheitsfirma bislang nicht reagiert.

Atakan Koçtürk will bewusst auf den Fall aufmerksam machen

„Wir erwarten, dass Polizist*innen und andere Sicherheitskräfte besser geschult werden, um Diskriminierung und Rassismus in unserer multikulturellen Gesellschaft zu vermeiden. Im Falle der Polizei ist dies ein Thema für unsere Braunschweiger Landtagsabgeordneten. Private Sicherheitsfirmen, die kommunale Liegenschaften bewachen, müssen von unserer Stadtverwaltung in die Pflicht genommen werden. Dem Statement der Pressestelle sollten also Taten folgen“, fordert die Grünen-Frau Cristina Antonelli-Ngameni.

Atakan Koçtürk sagte am Donnerstag, er habe sich entschieden, mit dem Vorfall an die Öffentlichkeit zu gehen: „Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt einen Stempel aufgedrückt bekomme wie: ,Jetzt zieht er die Rassismus-Karte’.“ Er sei sich bewusst, dass er sich in einer privilegierten Lage befinde: „Ich bin politisch aktiv und in der Stadt gut vernetzt. Ich möchte mich nicht verstecken, sondern auf den Fall aufmerksam machen, damit sich auch andere Leute trauen, über ihre Erfahrungen mit Rassismus zu sprechen.“

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