Braunschweig. Die Impfquote in Südosteuropa liegt nur bei 34 Prozent. Vereine in unserer Region sammeln Spenden – und suchen nach Ursachen.

Wenn es hart auf hart kommt, muss man halt die Bibel bemühen. Am 30. Oktober fand Corinna Ladar, Heimleiterin in der Kleinstadt Orastie in Siebenbürgen (alter Name: Broos), in ihrem Kalender mit täglichen Losungen den Verweis auf eine Stelle im Lukas-Evangelium, Kapitel 4, Vers 40: „Als die Sonne untergegangen war, brachten alle ihre Kranken mit mancherlei Leiden zu Jesus. Und er legte einem jeden die Hände auf und machte sie gesund.“

Das Blatt habe sie gleich zur Seite gelegt, um fromme impfunwillige Pfleger zu bearbeiten, erzählt Corinna Ladar unserer Zeitung am Telefon. „Man muss doch versuchen, die Menschen zu überzeugen. Die Situation hier ist katastrophal.“

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Kritische Verläufe sorgen für katastrophale Situation

Katastrophale Situation. Dramatische Lage. Solche Begriffe fallen oft in Gesprächen, die man mit Rumänen, aber auch mit Helfern in unserer Region darüber führt, wie es dem südosteuropäischen
EU-Staat mit knapp 20 Millionen Einwohnern in der Corona-Pandemie geht. Rumäniens Gesundheitswesen wird mit der Versorgung der steil steigenden Anzahl von Covid-19-Patienten kaum noch fertig.

Zweifach Geimpfte in Europa - Anteil in der Bevölkerung
Zweifach Geimpfte in Europa - Anteil in der Bevölkerung © Jürgen Runo

Dabei geht es nicht so sehr um die nackte Zahl der Infektionen, sondern um die kritischen Verläufe. Dutzende schwer kranker Patienten wurden bereits in Nachbarländer gebracht, weil es auf den Intensivstationen keinen Platz mehr gibt. Schon vor zwei Wochen überstieg laut „Süddeutscher Zeitung“ die Zahl der Menschen in intensivmedizinischer Behandlung die der vorhandenen Intensivbetten. Das Portal „ourworldindata“ hat sogar errechnet, dass die Sterberate durch das Virus in Rumänien auf der ganzen Welt am höchsten ist: 19,01 pro eine Million Einwohner.

Als „nationales Drama furchtbaren Ausmaßes“ bezeichnete Staatspräsident Klaus Iohannis die Lage. Immerhin hat die EU-Kommission Ärzte und Ausrüstung nach Rumänien geschickt. Teams aus Dänemark und Polen unterstützen die Behandlung von Corona-Patienten in Bukarest. Zudem wurden 350 Sauerstoffkonzentratoren, 20.000 Dosen mit Antikörpern, 500.000 Antigentests sowie weiteres Gerät geliefert. Die EU sei entschlossen, Rumänien „jede erforderliche Hilfe“ zukommen zu lassen, sagte EU-Kommissar Janez Lenarcic.

Misstrauen und Ahnungslosigkeit

Das entscheidende Problem liegt auf der Hand: Die Impfquote dümpelt knapp über 30 Prozent herum. Ein klares West-Ost-Gefälle wird ersichtlich, in Russland, der Ukraine, aber eben auch in den balkanischen EU-Staaten ist die Quote, ohne dass es an Impfstoff mangeln würde, meilenweit von der in südeuropäischen oder skandinavischen Ländern entfernt. Und an dieser Stelle wird dann auch gleich die Relevanz des Themas deutlich. Es geht zum einen um Anteilnahme und Unterstützung – wobei dann auch gleich auffällt, wie viele seriöse Helfer in unserer Region den Rumänen immer schon zur Seite stehen. Zum anderen kann man an diesem Beispiel (auch ohne oberlehrerhaft gereckten Zeigefinger!) schmerzhaft scharf erkennen, wie gravierend die Folgen von Verweigerung, Misstrauen und Ahnungslosigkeit in der Pandemie sein können.

Verweigerung, Misstrauen, Ahnungslosigkeit… Diese kleine Aufzählung ist eine Art Zusammenfassung der Gespräche mit passionierten Rumänien-Unterstützern. Mit dem Wendeburger Hans-Joachim Grove haben wir gesprochen, der seit Jahrzehnten Hilfstransporte nach Cluj-Napoca organisiert. Mit Axel Gummert vom Wolfenbütteler „Freundeskreis Satu Mare“. Mit Werner Seelemeyer von der „Rumänienhilfe Braunschweig-Ölper“, mit dem ehemaligen – rumänischen und deutschen – Kunstturn-Meister Marius Toba vom „rumänisch-deutschen Verein Niedersachsen“. Und mit Hans-Jürgen Schünemann vom Partnerschaftsverein Helmstedt-Orastie, der auch den Kontakt zu Corinna Ladar hergestellt hat.

Corinna Ladar aus Orastie 2015 mit Hans-Jürgen Schünemann.
Corinna Ladar aus Orastie 2015 mit Hans-Jürgen Schünemann. © Archiv: Flatt

Die fragwürdige Rolle der Kirche

In bestechendem Deutsch, mit rollendem R, nimmt die Frau kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Ursachen für die geringe Impfquote geht. „Sowohl die Information über Impfstoffe als auch die Impfungen selbst waren bei uns von Beginn an schlecht organisiert – das ist ein politisches Problem“, sagt sie. Und natürlich muss an dieser Stelle die Information ergänzt werden, dass es in Rumänien seit 2012 nicht weniger als 17 verschiedene Premierminister und 13 verschiedene Regierungen gab. „Es herrscht das totale politische Chaos in dem Land“, sagt auch Hans-Joachim Grove. Die Folgen sind erheblich für die Mentalität der Bürgerinnen und Bürger: Es gebe keinen „Glauben an den Staat“, meint er. „Jeder macht was er will und was er kann.“

Rumänien-Karte.
Rumänien-Karte. © Jürgen Runo

Ja, man sei „entsetzt“ angesichts der sich zuspitzenden Corona-Probleme, sagt Axel Gummert vom Freundeskreis Satu Mare. Aber alles andere als untätig. Derzeit sei man nach Abschluss der Sammelaktion damit beschäftigt, die Hilfspakete zu packen, die – in Zusammenarbeit mit der Caritas – den Menschen in dem Ort am Fuße der Karpaten das Leben erleichtern sollen, auch den vielen dort in bitterer Armut lebenden Sinti und Roma. Pakete mit Masken, Hygieneartikeln, Winterkleidung und Lebensmitteln, wie Gummert aufzählt.

Viele Helfer aus der Region

Natürlich werden auch Werner Seelemeyer und die vielen Rumänienhelferinnen und -helfer in Ölper und Umgebung sich für weitere Transporte in die Gegend um Suceava in Norden ins Zeug legen. Immerhin seit 1991 ist man aktiv. Stolz und dankbar verweist Hans-Joachim Grove darauf, dass derzeit in Cluj-Napoca vom Sozialamt die jüngst (nach dem 176. Hilfstransport dieser Art!) frisch eingetroffenen Spenden aus unserer Region an die Krankenhäuser verteilt würden.

Eine Helferin packt Kartons für Cluj.
Eine Helferin packt Kartons für Cluj. © Hans-Joachim Grove

Und die Heimleiterin Corinna Ladar in Helmstedts Partnerstadt Orastie? Wird weiter versuchen, die Menschen in ihrer Umgebung davon zu überzeugen, dass menschliches Leid im Allgemeinen und eine Pandemie im Besonderen nicht gottgegeben sind. Sondern dass man etwas dagegen tun soll. Genau so versteht sie den 40. Vers im 4. Kapitel des Lukas-Evangeliums.

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