Braunschweig. Verträge seien um Pandemie-Schließzeiten einseitig verlängert worden, sagt die Verbraucherzentrale in Hannover. Droht den Betreibern eine Klagewelle?

Verbraucherschützer raten Kundinnen und Kunden von Fitnessstudios zu einer genauen Prüfung einseitiger Vertragsanpassungen während der Corona-Pandemie. Nachdem die Fitnessstudios wegen des Lockdowns mehrere Monate schließen mussten, hätten einige Anbieter nun Verträge verlängert, indem sie die Schließzeiten angehängt hätten, erklärte die Verbraucherzentrale Niedersachsen in Hannover. Dies sei ohne Zustimmung Mitglieder von Fitnessstudios aber nicht zulässig. „Einseitig die Anpassung der Verträge vorzunehmen, ohne Rücksprache mit dem Vertragspartner, ist ein Unding und muss korrigiert werden“, sagt Tiana Preuschoff, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale gegenüber unserer Zeitung.

Verbraucherschützer: Klagen haben gute Chancen auf Erfolg

Die Verbraucherzentrale rät daher Betroffenen, sich zu wehren und wenn nötig auch vor Gericht zu ziehen. Bislang gebe es zwar keine höchstrichterliche Entscheidung dazu. „Wir schätzen die Erfolgsaussichten für Verbraucherinnen und Verbraucher im Fall einer Klage aber gut ein.“ Vor der Klage sollte man sich aber rechtlich beraten lassen. Es habe auch schon „verbraucherunfreundliche Urteile“ gegeben, auf die sich die Branche stütze, so Preuschoff.

Die Verbraucherzentrale rät auf ihrer Internetseite: „Halten Sie an Ihren Forderungen fest, lassen Sie sich nicht einschüchtern. Grundsätzlich gilt: Erbringt ein Anbieter die vertraglich vereinbarte Leistung nicht, müssen Kunden auch nicht zahlen. Ist also Ihr Fitnessstudio vorübergehend geschlossen, können Sie für diesen Zeitraum nach unserer Auffassung die Leistung – sprich Zahlung – verweigern.“

Vorwurf: Fitness-Studios verspielen Vertrauen

Preuschoff spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „gängigen Praxis“ der Studio-Betreiber. Das habe die Vielzahl an Beschwerden offenbart. „Es gibt Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben, die Branche in diese Richtung zu beraten. Das ist ein riesengroßes Ärgernis“, so die Verbraucherschützerin. Die Kunden hätten teilweise schon die Bestätigung von Kündigungsschreiben bekommen, dann aber die Korrektur mit dem Hinweis auf ein späteres Vertragslaufzeitende. Damit verspielten Fitnessstudios das Vertrauen. „Wir wünschen uns mehr Kompromissbereitschaft von den Anbietern. Es kann nicht sein, dass sie staatliche Hilfen in Anspruch nehmen und ihre Kunden unrechtmäßig auf den Kosten sitzen lassen“, sagt Rechtsexpertin Preuschoff.

„Hygia“-Chef widerspricht Verbraucherschützern

Diese Vorwürfe will der Betreiber „Hygia“-Fitness, einer der größten in unserer Region mit Studios in Braunschweig, Wolfsburg, Wolfenbüttel, im Kreis Gifhorn, Peine oder Celle, nicht im Raum stehen lassen. Geschäftsführer Christian Haertle teilt auf die Nachfrage unserer Zeitung schriftlich mit. „Während der Studioschließung nicht gezahlte Beiträge führen zu einer kostenpflichtigen Vertragsverlängerung, insofern machen wir von unserem Vertragsanpassungsrecht gem. § 313 BGB Gebrauch. Die Informationsverbreitung der Verbraucherzentrale betrachten wir kritisch, da an den Verbraucher appelliert wird, eine solche Vertragsverlängerung sei nicht rechtens.“ Auch „Hygia“ verweist auf den weiter fehlenden höchstrichterlichen Beschluss. Man sehe sich im Recht, gefällte Entscheidungen an Amts- und Landgerichten hätten die eigene Auffassung und die der eingeschalten Anwälte bestätigt. Am Telefon stellt Geschäftsführer Haertle allerdings nochmal klar. „Die Vertragsverlängerung ist nur bei den Kunden erfolgt, die entweder die Beitragszahlung beendet oder Geld zurückverlangt haben.“

Haertle: Eine extreme Situation

Haertle skizziert eine Alternativlosigkeit des Handelns. Er verweist auf die Großinvestitionen zu Beginn des Jahres 2020 – kurz vor dem ersten Lockdown. In dieser Phase habe man keine staatliche Unterstützung erhalten. Die November- und Dezemberhilfen seien jeweils drei Monate zu spät eingetroffen, das Überbrückungsgeld III sei längst beantragt, bislang sei aber erst ein Abschlag von unter 20 Prozent ausgezahlt worden, so der „Hygia“-Chef. Auch hier sei noch längst nicht klar, in welchem Umfang die Hilfen zurückgezahlt werden müssten. „Von etwa 20.000 Mitgliedern haben wir in der Pandemie rund 3000 verloren. Wir müssen für die Mitglieder, die bei uns trainieren aktuell einen enormen bürokratischen und administrativen Aufwand leisten. Meine Mitarbeiter machen Überstunden ohne Ende, um alle vertraglichen Fragen zu klären.“ Der Hygia-Chef Haertle will sich nicht beschweren, spricht aber von einseitiger öffentlicher Darstellung. Und er appelliert auch an die Geduld und den guten Willen der Kundschaft in dieser Extremsituation, die mit Blick auf aufkommende Virusvarianten noch nicht überstanden sei.

Auch Verbraucherschützerin Preuschoff will die Notlage durch die Pandemie für die Branche nicht kleinreden. Darauf habe der Gesetzgeber aber reagiert, indem er die Gutschein-Regelung eingeführt habe. Fitnessstudios könnten Gutscheine ausgeben, anstatt Ihnen die Beträge für die Zeit der Schließung zu erstatten. Hygia-Chef Haertle erklärte, auch seine Kunden könnten ab dem 1. August über Gutscheine eine „Kompensation“ entgangener Leistungen erhalten.

Neue Kündigungsfristen bei Neukunden

Elke Paschek, Geschäftsführerin des Injoy-Fitnessstudios in Braunschweig, kann nicht für die gesamte Branche sprechen. Sie sagt: „Wir haben Vertragslaufzeiten nicht einseitig nach hinten verlängert.“ Man habe mit den Kunden immer wieder kommuniziert und ihnen während der Zeit des Lockdowns Gutscheine angeboten. Dabei habe weiter die vierteljährliche Kündigungsfrist gegolten. „Das wurde in der Regel akzeptiert.“

Paschek weist in dem Zusammenhang jedoch auf eine gesetzliche Neuregelung hin daraufhin. Neukunden, die einen Vertrag über zwei Jahre abschließen, könnten im Anschluss monatlich statt vierteljährlich den Vertrag kündigen. Die Laufzeit verlängere sich automatisch um nur noch ein Jahr, bestätigt der Verbraucherschutz in Niedersachsen. „Wir haben nichts gegen Flexibilität. Jeder Kunde sollte sich auch kurzfristig umentscheiden können, wenn er unzufrieden mit seinem Studio ist“, sagt Paschek. Kunden machten ihre Mitgliedschaft nicht von der Dauer der Kündigungsfrist abhängig, sondern ob sie zufrieden mit den Angeboten seien oder nicht, ist die Injoy-Geschäftsführerin überzeugt. „Davon könnten im Zweifel ja auch wir profitieren“, kann Paschek der Neuregelung auch Gutes abgewinnen. Allerdings bedeuteten die kürzeren Kündigungsfristen einen erheblichen administrativen Mehraufwand für die Betreiber. „Das ist der große Nachteil.“

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Verbraucherschützerin Preuschoff erklärt den Hintergrund. Die Änderung sei im Rahmen eines neuen Gesetzes für mehr Verbraucherschutz vom Bund beschlossen worden. Es gehe um „fairere Verbraucherverträge“. Profitieren würden davon aber nur Neukunden. Bei Altverträgen gelte eine Übergangsfrist von 18 Monaten. Das Gesetz habe bereits den Bundesrat passiert und werde bald in der Praxis umgesetzt, ist Preuschoff optimistisch. Der Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen (DSSV) schätzt allerdings, dass es noch bis zum neuen Jahr dauere, bis die Regelung gilt. Weitere Fragen zum Streit um einseitig verlängerte Kundenverträge und die neuen monatlichen Kündigungsfristen wurden vom DSSV bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitung nicht beantwortet. Auch der Verband Deutscher Fitness- und Gesundheitsunternehmen (VDF) meldete sich in dieser Angelegenheit nicht mehr zurück.

Andere Regeln bei Vereinsmitgliedschaft

Bei Vereinsmitgliedschaften ist die Situation aber eine andere. Darauf weisen Verbraucherschützer hin. Sie seien ein Zusammenschluss von Mitgliedern, die durch ihren Beitritt gewisse Rechte und Pflichten anerkennen. Da Vereine zudem nicht gewinnorientiert arbeiten, müssen Mitgliedsbeiträge weiterhin gezahlt werden, auch wenn Angebote zeitweise entfallen.

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