Braunschweig. Die Virologin Melanie Brinkmann spricht im Podcast „Forsch!“ über Impf-Fortschritte und ihren Spaß am beharrlichen Erklären.

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Star-Virologin. Top-Virologin. Melanie Brinkmann, Braunschweigs derzeit wohl bekannteste Forscherin, sagt, sie kann mit diesen Etiketts nichts anfangen – im Gegenteil: „Das nervt. Ich kann es nicht mehr hören. Ich bin einfach eine Virologin, die versucht, dieses Virus zu erklären.“ Seit Beginn der Pandemie tut sie das regelmäßig: im Fernsehen, in Sozialen Netzwerken wie Twitter und Youtube und immer wieder auch in Einschätzungen für unsere Zeitung. In der neuen Folge des Wissenschaftspodcasts „Forsch!“ spricht sie über die Mühe und den Lohn des Erklärens, beantwortet die Fragen unserer Leserinnen und Leser – und gibt ihr Bild der aktuellen Corona-Lage.

Und das sieht optimistisch aus. Melanie Brinkmann sieht das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels, wenngleich sie warnt, sich davon täuschen zu lassen: „Es sieht gut aus. Die Zahlen sinken“, sagt sie. „Aber in manchen Landkreisen steigen die Inzidenzen auch wieder. Genau diesen Trend müssen wir jetzt vermeiden. Wenn man nicht aufpasst und denkt, jetzt ist es wieder vorbei, dann wird man leider eines Besseren belehrt. Wir sind noch in einer Situation, in der noch nicht ausreichend Leute geimpft sind, um die Pandemie in Deutschland für beendet zu erklären.“

„Nadelöhr“ beim Impfen steht noch bevor

Trotzdem: Auch wenn erst rund 15 Prozent der Deutschen vollständig geimpft sind und das „Nadelöhr“ durch die Aufhebung der Priorisierungen und die Unwägbarkeiten beim Impfstoffnachschub noch bevorsteht, findet die TU-Professorin die vorhandenen Fortschritte „sehr erfreulich“. „Wir haben bei der Impfgeschwindigkeit sehr, sehr aufgeholt“, sagt Brinkmann. „Jetzt gilt es, am Ball zu bleiben.“

„Wettrennen mit den Virus-Varianten“

Ihre Sorge gilt den Virus-Varianten, die sich herausgebildet haben und, solange die Verbreitung nicht drastisch reduziert wird, wohl weiter herausbilden werden. „Wir stehen in einem Wettrennen mit den Varianten“, erklärt die Braunschweigerin. Wer ist schneller? Wir mit unseren Maßnahmen und Impfungen oder das Virus?

Denn zum Umstand, dass die neuen Varianten, etwa die auf dem Vormarsch befindliche „indische“, ansteckender sind, kommt erschwerend hinzu, dass der Schutz der vorhandenen Impfungen gegen manche Mutanten weniger wirksam ist. „Bei den meisten Varianten sieht es da noch sehr gut aus“, erklärt Brinkmann, „aber wir sehen eine leichte Abschwächung beim Immunschutz gegen die neuen Varianten.“ Ihre Schlussfolgerung: „Wir müssen sehr gut aufpassen. Je mehr Menschen geimpft sind und je niedriger das Infektionsgeschehen ist, desto weniger Angst müssen wir vor den Varianten haben.“

„No Covid“: das Virus maximal zurückdrängen

Die Infektionszahlen drastisch zu reduzieren – dieser Appell zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit Melanie Brinkmann über die richtige Corona-Strategie. Er ist der Kern der „No Covid“-Initiative, die sie gemeinsam mit 13 anderen Wissenschaftlern, darunter auch der Braunschweiger System-Immunologe Michael Meyer-Hermann, entwickelt hat und die sie im Interview erläutert. Auch wenn eine komplette weltweite Ausrottung des Virus unrealistisch sei, könne es gelingen, das Virus „soweit irgend möglich“ zurückzudrängen – zum einen durch konsequente Nutzung der bekannten AHA-Maßnahmen, zum anderen durch möglichst flächendeckendes Testen – überall, wo Menschen zusammenkommen. „So kann man auch ohne harte Lockdownmaßnahmen erreichen, dass die Infektionszahlen gering bleiben“, ist sie überzeugt.

Kritik an Deutschlands Corona-Strategie

Entsprechend kritisch sieht sie große Teile der bisherigen Strategie im Umgang mit Corona in Deutschland – mit langanhaltenden Einschränkungen und dem ängstlichen Schielen auf ausgehandelte Schwellenwerte – seien die maßgeblichen 7-Tage-Inzidenzen nun 100, 65 oder 35. „Der Mittelweg, den wir gerade gehen, ist nicht zufriedenstellend“, beklagt sie. „Ich hätte bevorzugt, die Zahlen konsequent herunterzubringen – indem man für eine kurze Zeit wirklich konsequent und intensiv Kontakte reduziert. Wenn man dann bei einem niedrigen Niveau angekommen ist, gilt es das zu halten. Und das kann man durch eine Teststrategie sehr gut machen.“ Die Vorteile liegen auf der Hand, so Brinkmann: „Ist die Inzidenz sehr niedrig, kommen die Gesundheitsämter besser hinterher, die Belastung der Kliniken und Arztpraxen wäre deutlich geringer.“ Und weniger Menschen müssten mit den Covid-Langzeitfolgen kämpfen.

Verständnis für Zwickmühle der Politik

Dass sich die Politik in der bisherigen Pandemie nicht immer an die Vorschläge der Virologen und Epidemiologen gehalten hat, dafür hat Brinkmann sogar Verständnis. „Politiker haben oft das Problem, dass sie meinen, zwischen den Stühlen zu sitzen – zwischen den Aspekten Gesundheit und Wirtschaft. Ich habe immer versucht, ihnen diesen Konflikt zu nehmen und ihnen den Gegensatz auszureden.“ Nicht immer sei ihr dies gelungen. „Als Wissenschaftler sagt man irgendwann: Ich hab’s gesagt. Aber ihr trefft letztlich die Entscheidungen.“ Ob sie deshalb enttäuscht oder desillusioniert ist, möchten wir von ihr wissen. „Diese Phasen gab es bestimmt. Wenn im Herbst auf die Wissenschaft gehört worden wäre, hätten wir die Welle vermieden. Daran knapse ich schon. Viele Menschen sind erkrankt und gestorben. Das hätten wir uns sparen können.“

Brinkmann: Der Zug für „No Covid“ ist nicht abgefahren

„Hätte.“ Heißt das, der Zug für „No Covid“ ist endgültig abgefahren nach anderthalb Jahren des „Rumeierns“, das sie in einem früheren Statement gegenüber unserer Zeitung einmal beklagte? Nein, so negativ möchte sie den Konjunktiv an dieser Stelle nicht verstanden wissen: „Wir sehen den Effekt der Impfungen. Hinzu kommt die Jahreszeit. Das Wetter wird besser, und wir werden mehr Aktivitäten nach draußen verlegen. Dadurch werden wir dem Virus noch ganz schön ein Bein stellen. Das gibt uns Rückenwind, die Inzidenzen nach unten zu drücken.“

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Melanie Brinkmann ist eine zugewandte, beharrliche, manchmal hartnäckige Erklärerin. Ihre Sprache wird auch außerhalb der wissenschaftlichen Fachwelt verstanden. Genau das schätzen ihre zahlreichen Fans an ihr. Hochachtung spricht auch aus Fragen, die Leserinnen und Leser unserer Zeitung an die Wissenschaftlerin richten.

So bittet Erik Heinzmann, der sich für die Wirksamkeit sogenannten Kreuzimpfungen (bei denen Erst- und Zweitimpfung mit verschiedenen Impfstoffen erfolgen) interessiert: Frau Brinkmann möge auf seine Frage bitte „genau so ehrlich und wissend“ antworten, wie man es von ihr bei „Lanz, Illner, Maischberger, etc.“ gewohnt sei.

„Kreuzimpfungen machen Sinn“

Macht sie doch glatt: „Solche Kreuzimpfungen machen sehr viel Sinn“, sagt sie. Bei manchen Impfungen, etwa gegen Ebola, sei es sogar üblich, dass „heterolog“ geimpft werde, dass also etwa zunächst ein mRNA- und im zweiten Schritt ein Vektor-Vakzin gespritzt werde – oder andersrum. „Das hat den Vorteil, dass die Antwort des Immunsystems häufig besser ist.“

Auch bei Corona habe man in einigen Ländern schon positive Erfahrungen mit Kreuzimpfungen gemacht. „Wenn man zuerst mit Astrazeneca impft und als Zweitimpfung den mRNA-Impfstoff nimmt, sind die Antikörpermengen im Blut noch höher als bei einer Zweitimpfung mit Astrazeneca.“ Das ist für Brinkmann aber kein Argument gegen die gängige Doppelimpfung mit Astrazeneca – denn „die funktioniert hervorragend, und ich bin ganz begeistert von der Wirksamkeit dieses Impfstoffes“.

Neue Wege bei der Corona-Impfung

Vielmehr seien die darüber hinausreichenden guten Erfahrungen mit Kreuzimpfungen erfreulich, weil sie neue Wege für die Weiterentwicklung und Verbesserung der Impfung aufzeigten. „Man hat zu Anfang der Pandemie natürlich nicht von vorneherein auf eine solche heterologe Impfung gesetzt, sondern jede Firma hat erstmal die eigenen Impfstoffe getestet. Aber jetzt ist es völlig natürlich, dass man versucht, Impfstoffe zu kombinieren – in allen möglichen Varianten. Die Daten hierzu gibt es noch nicht, aber sie werden kommen. Und dann wird man entscheiden, was in Zukunft am klügsten ist.“

Kreuzimpfungen, die Wirksamkeit von Luftfiltern, Zoonosen (also den Übergang von Krankheitserregern aus der Tierwelt auf Menschen): Leserfragen zu diesen und weiteren Themen beantwortet Melanie Brinkmann im „Forsch!“-Podcast-Gespräch gewohnt bürgernah – auch aus Verpflichtung, aber nicht nur: „Ich möchte schon etwas zurückgeben. Forschung wird durch Steuergelder unterstützt. Da habe ich auch eine Verantwortung, das zu erklären, was ich mache. Da stehen wir Wissenschaftler in einer Bringschuld. Aber wenn mir keinen Spaß machen würde, würde ich es nicht machen.“

Hier geht es zum Podcast:

Melanie Brinkmann – Zur Person

Die Braunschweigerin Melanie Brinkmann zählt zu den bekanntesten Virologen Deutschlands und meldet sich in der Corona-Pandemie regelmäßig zu Wort.

Mit der Initiative „No Covid“ setzt sie sich zusammen mit anderen Wissenschaftlern für die Strategie ein, die Infektionszahlen auf regionaler Ebene nahe Null zu bringen und in „grünen Zonen“ normales Leben zuzulassen statt das Infektionsgeschehen lediglich einzudämmen.

Die 47-jährige Virologin leitet seit 10 Jahren eine Forschungsgruppe am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Seit 2018 ist sie zudem Professorin der TU Braunschweig.

In der Corona-Krise hat sie Politiker auf Bundes- und Landesebene beraten.

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