Braunschweig. Laut Forschungsministerin Karliczek wird es die eine „Wunder-Pille“ nicht geben. Forscher aus Braunschweig erhalten nun Millionen vom Bund.

Lange haben die Corona-Forscher aus Braunschweig um Mittel vom Bund geworben, nun haben sie einen Durchbruch erzielt: Die beiden Startups Yumab und Corat Therapeutics erhalten einen Millionen-Betrag vom Bundesforschungsministerium.

Ministerin Anja Karliczek (CDU) persönlich erklärte am Donnerstagvormittag in einer eilig einberufenen digitalen Pressekonferenz, dass Corat eines von acht deutschen Corona-Unternehmen ist, das Geld aus einem 50-Millionen-Euro-Fördertopf erhält. 38 Unternehmen, zumeist Biotech-Startups wie Yumab und Corat, hatten sich bis Mitte Februar beworben.

Wie viel Geld Corat bekommt, wird sich in zwei bis drei Wochen klären. Legt man die 50 Millionen einfach auf die acht Unternehmen um, würde Corat mehr als sechs Millionen Euro erhalten. Corat-Chef Andreas Herrmann sagte: „Es hat lange gedauert. Man hat in Deutschland sehr lange allein auf die Impfstoffe gesetzt.“

Zwei Yumab-Forscher aus Braunschweig prüfen den Erfolg nach der Antikörper-Selektion. Jeder Punkt auf der Medienplatte ist eine Bakterienkolonie mit der Sequenz eines Antikörpers, das potenziell gegen das SARS-CoV-2 Virus wirkt.
Zwei Yumab-Forscher aus Braunschweig prüfen den Erfolg nach der Antikörper-Selektion. Jeder Punkt auf der Medienplatte ist eine Bakterienkolonie mit der Sequenz eines Antikörpers, das potenziell gegen das SARS-CoV-2 Virus wirkt. © Verena Meier

Das Ministerium hatte drei Gutachter beauftragt, um die 38 Anträge zu bewerten. Unter ihnen war die bekannte Virologin und Professorin Sandra Ciesek.

Hier ein Überblick über das Geschehen und den aktuellen Stand:

Was hat Ministerin Karliczek am Donnerstag sonst noch verkündet?

Auf die Frage unserer Zeitung, ob das Forschungsministerium nach einem Jahr Pandemie nicht etwas spät dran sei, Corona-Medikamente zu fördern, sagte Ministerin Karliczek: „Es ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, in dieser Phase einzusteigen.“ Corat dürfe sich bei einer bereits geplanten weiteren Förderphase gerne wieder bewerben. Das Ministerium stehe in engem Kontakt zu den Braunschweigern, sagte Karliczek. Und sie bekräftigte nun: „Am Geld wird die Entwicklung nicht scheitern.“

Aus Gesprächen mit Forschern sei aber immer wieder deutlich geworden, dass man keine Wunder erwarten dürfe, sagte die CDU-Politikerin. Arzneimittelentwicklung dauere in der Regel Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte. „Es wird nicht die eine Wunder-Pille gegen Covid-19 geben können“, sagte Karliczek. Patienten benötigten stattdessen je nach Schwere oder auch Stadium der Erkrankung unterschiedliche Therapien. Hier wolle man ansetzen.

Mehr zum Thema:

Braunschweigs Corona-Forscher hoffen auf 30 Millionen vom Bund

CDU: Braunschweig soll sich am Corona-Medikament beteiligen

Spahn prüft Kauf weiterer Corona-Medikamente aus den USA

Spahn hat offenbar unwirksames Corona-Medikament bestellt

Braunschweiger Corona-Medikament - Geht Erfolgsgeschichte weiter?

Die letzte Patrone

Was haben die Gutachter am Donnerstag gesagt?

Ein dreiköpfiges Expertengremium hatte vor der Entscheidung für die acht Projekte Empfehlungen ausgesprochen. Als Gutachter beteiligt waren unter anderem Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie in Frankfurt am Main, und Christoph Spinner, Oberarzt für Infektiologie und Pandemiebeauftragter des Klinikums rechts der Isar in München. Ciesek und Spinner waren bei der Videokonferenz zugeschaltet.

Beide sprachen ebenfalls von langwierigen Prozessen. „Es gibt nach wie vor kaum Medikamente mit einem erwiesenen Nutzen gegen diese Erkrankung“, sagte Ciesek. Sie wies dabei auf die Corona-Medikamente hin, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Wert von 400 Millionen Euro in den USA bestellt hatte. Diese hätten nicht das gebracht, was man sich von ihnen versprochen hätte.

Spinner sagte, viele einstige Hoffnungsträger wie das Malaria-Medikament Chloroquin seien gänzlich verschwunden, weil sie keinen Nutzen gehabt hätten. Spinner sieht noch großen Forschungsbedarf. „Es geht um das richtige Medikament zur richtigen Zeit.“

Ciesek verwies darauf, dass Corona-Medikamente, die wie das aus Braunschweig auf Antikörpern basieren, einen Nachteil hätten: Sie müssen in einem frühen Stadium der Erkrankung verabreicht werden, sonst ist ihre Wirkung nicht ausreichend.

Wie haben Corat, Politiker aus Niedersachsen und Pharma-Verbände reagiert?

Corat-Chef Andreas Herrmann war natürlich sehr zufrieden. Die Braunschweiger sehen sich in ihrer Arbeit bestätigt. Da man nun endlich den Kontakt zum Bundesforschungsministerium, aber auch zum Bundesgesundheitsministerium hergestellt habe, war sich Herrmann sicher, dass es nicht bei einer Beteiligung aus diesem 50-Millionen-Euro-Fördertopf des Bundes bleiben werde.

Das Land Niedersachsen hat das Projekt aus Braunschweig bereits zweimal mit insgesamt zehn Millionen gefördert. An dieser Summe haben sich auch drei private Investoren aus Braunschweig beteiligt. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sagte unserer Zeitung: „Ich freue mich, dass unser vielfacher Einsatz für das Braunschweiger Unternehmen ‚Corat Therapeutics‘ in Berlin Gehör gefunden hat. Wir müssen für wegweisende Forschung nicht in die Ferne schweifen – die haben wir in Niedersachsen direkt vor Ort.“

Der SPD-Landtagsabgeordnete Christos Pantazis wertete die Verkündung von Ministerin Karliczek als eine „fantastische Nachricht“. Pantazis hatte kürzlich mit zwölf weiteren SPD-Landtagsabgeordneten aus unserer Region einen offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel geschrieben, weil sich der Bund bisher nicht bewegt hatte.

Auch der Braunschweiger CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller zeigte sich erfreut. Er sagte: „Das ist ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Medikament gegen Covid-19, denn gegen die vom SARS-CoV2-Virus ausgelöste Erkrankung ist bislang kein wirksames Mittel vorhanden.“

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verlangte angesichts der aufwendigen Medikamentenentwicklung jedoch eine kräftige Aufstockung der Fördergelder. „Wir brauchen mindestens das Zehnfache, um die Entwicklungsansätze von dringend benötigten Arzneimitteln zum Patienten zu bringen“, erklärte Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen laut Mitteilung. Die verschiedenen beschlossenen und angekündigten Förderprogramme seien zwar erfreulich. Offenbar sei die Bundesregierung aber nicht in der Lage, den entschiedenen Willen aufzubringen, um nationale Therapieansätze gegen Covid-19 tatkräftiger zu unterstützen, beklagte Joachimsen.

Wer außer den Braunschweigern profitiert noch?

Ministerin Karliczek las die Liste der beteiligten Unternehmen am Donnerstag sehr schnell vor. Eine Pressemitteilung gab es dazu nicht. Es handelt sich wie bei Corat und Yumab aus Braunschweig oft um kleine, aber hoch spezialisierte Ausgründungen von Universitäten oder bekannten Forschungseinrichtungen. Yumab und Corat sind eng an die TU Braunschweig und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung angebunden.

Die weiteren sieben Unternehmen sind: AdrenoMed AG aus Hennigsdorf, Aptarion Biotech AG aus Berlin, Atriva Therapeutics GmbH aus Tübingen, Eisbach Bio GmbH aus Planegg, EMC microcollections GmbH aus Tübingen, Explicat Pharma GmbH aus Hohenbrunn – und als einziger großer Mitspieler die Bayer AG aus Leverkusen.

Gibt der Bund weiteres Geld?

Ja, der große Schluck aus der Pulle kommt erst noch. Vor allem die sieben genannten Unternehmen streiten sich dann sehr wahrscheinlich mit den Braunschweiger Forschern um Geld aus einem Topf, der sogar 300 Millionen Euro umfassen wird. Nach monatelangem Zögern entschlossen sich das Gesundheitsministerium und auch das Forschungsministerium, dieses weitere Förderprogramm aufzulegen. Das geht aus einer Antwort des Gesundheitsministeriums an den Grünen-Abgeordneten Kai Gehring hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Die Förderrichtlinie soll noch im April erscheinen. Die Braunschweiger Forscher gehen nach der Entscheidung vom Donnerstag noch selbstbewusster ins Rennen um die 300 Millionen Euro. Der Ausgang ist aber noch offen, ebenso wie die Frage, wann das Geld fließen soll.

Welche möglichen Geldgeber kommen noch ins Spiel?

Corat benötigt insgesamt 50 Millionen Euro, um das Medikament zur Marktreife zu bringen. Ein chinesischer Staatsfonds würde die 50 Millionen auf einen Schlag zahlen. Auch Vietnam ist bereit, 20 Millionen auf den Tisch zu legen. Diesen „Ausverkauf“ wollen die Braunschweiger möglichst verhindern. Am Ende ist ihnen aber das Patienten-Wohl wichtiger als die Frage der Herkunft des Geldes.

Das Land Niedersachsen und weitere private Investoren aus Braunschweig und der Region verhandeln derzeit mit Corat über eine weitere Finanzierungsrunde. Es geht um weitere fünf bis acht Millionen Euro. Die Mindestbetbeteiligung soll bei 500.000 Euro liegen, damit der Kreis der Gesellschafter nicht zu unübersichtlich wird. Das ist auch der Grund, warum Corat doch wieder Abstand vom Modell des Crowdfunding, also einer Art Schwarmfinanzierung, genommen hat. Die schlanken Strukturen sollen erhalten bleiben.

Und Spenden ohne Beteiligung am Unternehmen lehnt Corat noch ab. Man wolle den Leuten nicht das Geld aus der Tasche ziehen, hieß es. Erst am Donnerstag meldete sich eine Dame bei unserer Zeitung, die anonym bleiben möchte, aber 50.000 Euro spenden würde.

Wo stehen die Braunschweiger aus medizinischer Sicht?

Sie stehen unmittelbar vor der klinischen Phase. Am 27. April erhalten in der Uni-Klinik Tübingen die ersten Corona-Patienten das Präparat. In Tests an Tieren hat es bereits voll angeschlagen. Zwei Wochen später sollen Patienten im Klinikum Braunschweig, die am Coronavirus erkrankt sind, mit dem Medikament versorgt werden. Insgesamt wollen Yumab und Corat das Medikament an 45 freiwilligen Corona-Patienten in fünf Kliniken in Deutschland testen.

Parallel bereiten die Braunschweiger Startups bereits die zweite Phase der klinischen Studien für den August vor. Die Braunschweiger stehen dazu im Austausch mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Dann wird das Medikament in 15 Studienzentren und Kliniken an 216 freiwilligen Corona-Patienten getestet. Die dritte klinische Phase mit Tests an Hunderten von Patienten muss sich dann anschließen. Läuft alles optimal, ist das Medikament Ende des Jahres marktreif. Laut Corat steht die Wahrscheinlichkeit derzeit bei 30 Prozent. Das Erstellen von Arzneimitteln ist immer ein Hochrisiko-Projekt.

Was ist ihr medizinischer Ansatz?

In Rekordzeit wurde die klinische Studie zugelassen. Die Antikörper blockieren das Virus. Es handelt sich um winzig kleine Mengen klarer Flüssigkeit. Laut Corat verringern die Antikörper die Viruslast in der Tiefenlunge um 99 Prozent innerhalb von wenigen Tagen. Das war im Laborversuch. Gespannt sein darf man auf die Tests an Freiwilligen in den nächsten Wochen. Ministerin Karliczek bedauerte am Donnerstag, dass solche Antikörper-Mittel nicht in Tablettenform verabreicht werden können. Sie müssen gespritzt werden. So oder so sei man auf Medikamente angewiesen, erklärte die Ministerin. Einige chronisch kranke Patienten könnten aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden, andere wollen nicht. Karliczek erinnerte an Ebola und Masern und sagte: „Das Virus wird uns leider noch lange begleiten. Daher brauchen wir Corona-Medikamente.“