Braunschweig. Die Bundesregierung hat trotz mehrfacher Versuche der Beteiligten noch nicht einmal Kontakt zu Corat aufgenommen. Das ist ignorant.

Ende des vergangenen Jahres stand ein mittelständisches Unternehmen vom Niederrhein plötzlich im Rampenlicht, wurde zum Politikum. Die IMST GmbH aus Kamp-Lintfort ist eine Ausgründung der Universität Duisburg-Essen mit einem Jahresumsatz von gut zehn Millionen Euro. Nur Eingeweihte, die sich mit der Entwicklung von Funksystemen, Satelliten und dem Mobilfunkstandard 5G intensiv auseinandersetzen, kannten die Firma.

Vor ein paar Monaten aber sollte das Unternehmen nach China verkauft werden – an den im Rüstungsbereich tätigen Konzern Addsino. Das Bundeswirtschaftsministerium untersagte die Übernahme, da die ISMT sicherheitsrelevante Bedeutung habe. Das Bundeskabinett billigte die Entscheidung.

Schmerzhafte Übernahme aus China - Bundesregierung schaut zu

Vor einem Jahr, als die Corona-Pandemie ausbrach, fürchtete Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Übernahme deutscher kleiner Firmen, die vor allem in der Gesundheitsbranche tätig sind. Viele sind zu einem Schnäppchenpreis zu haben. Die Regierung handelte. Die Außenwirtschaftsverordnung wurde überarbeitet, Übernahmen von Nicht-EU-Ländern erschwert. Mit Erfolg: 2020 wurden von chinesischen Investoren „nur“ 23 Firmen gekauft. Denn vier Jahre zuvor waren es 44 Übernahmen durch chinesische Firmen.

Nun aber könnte es zu einer schmerzhaften Übernahme aus China kommen – ausgerechnet in der von Altmaier als so schützenswert ausgemachten Gesundheitsbranche – und die Bundesregierung schaut dieses Mal tatenlos zu.

Antikörper-Medikament gegen Corona aus Braunschweig

Die beiden Startups Corat Therapeutics und Yumab sind wie das eingangs erwähnte Unternehmen vom Niederrhein Ausgründungen einer Universität – in diesem Fall der Technischen Universität Braunschweig.

Yumab kooperiert außerdem eng mit dem in Braunschweig ansässigen Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, deren Experten derzeit von Talkshow zu Talkshow herumgereicht werden und Fragen zur Corona-Pandemie beantworten müssen. Hinter Yumab steht mit Stefan Dübel zudem einer der namhaftesten Biotechnologen der Republik.

Die Voraussetzungen hätten also besser kaum sein können. Es ist den kleinen, aber hoch spezialisierten Biotech-Unternehmen in rekordverdächtiger Zeit tatsächlich gelungen, ein auf Antikörpern basierendes Corona-Medikament zu entwickeln. Laut den Forschern aus Braunschweig handelt es sich um das weltweit einzige Corona-Medikament, das speziell für die Behandlung von Corona-Infektionen mit schwerem Krankheitsverlauf entwickelt wurde. Es könnte also sein, dass ein wesentlicher Baustein im Kampf gegen die Pandemie aus Braunschweig kommt.

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China hat den Blick für Innovationen

Könnte. Denn die Entwicklung von Medikamenten ist immer ein Risikogeschäft. Selbst jetzt, da das in Deutschland für Arzneimittel zuständige Paul-Ehrlich-Institut vor wenigen Tagen die Zulassung für die erste klinische Studie mit Tests an Freiwilligen erteilt hat, beziffern die Chefs von Yumab und Corat die Erfolgschancen für die Marktreife des Medikaments nur auf ein Drittel – aber mit steigender Tendenz. Laut Plan gibt es noch Ende des Jahres die Notfallzulassung des Medikaments.

Zu spät wäre das auf keinen Fall. Denn wir sehen gerade anhand der Mutationen, wie gefährlich das Virus bleibt. Und es gibt einige schwer Erkrankte in der Bevölkerung, die eine Impfung nicht vertragen. Auch ihnen muss im Fall der Fälle geholfen werden.

All das hat man in China längst erkannt. Die Chinesen haben einen Blick für Innovationen. Sie haben den Braunschweigern kürzlich ein unmoralisches Angebot gemacht. Sie würden Corat über einen Staatsfonds sofort 50 Millionen Euro zahlen. Auch Vietnam will mitmischen. Die Vietnamesen würden sich mit bis zu 20 Millionen beteiligen, um Zugriff auf das Medikament zu bekommen.

Unerklärliche Arroganz der Bundesregierung

Und die Bundesregierung? Diese hat trotz mehrfacher Versuche der Beteiligten noch nicht einmal Kontakt zu Corat aufgenommen. Das ist ignorant. Und es ist unerklärlich, mit welcher Arroganz das Kanzleramt unter der Führung von Helge Braun (CDU) sowie das Forschungsministerium, das Wirtschaftsministerium und das Gesundheitsministerium unter der Leitung der Minister Altmaier, Jens Spahn und Anja Karliczek (alle CDU) den Braunschweigern die kalte Schulter zeigt.

Spahn hat lieber im Ausland Corona-Medikamente im Wert von 400 Millionen Euro bestellt, die in der EU noch gar nicht zugelassen sind und somit auf alleinige Verantwortung der behandelnden Ärzte verabreicht werden müssten. Dabei wären die 50 Millionen, die Corat benötigt, Peanuts im Vergleich zu den Milliarden, die der Staat im Kampf gegen die Pandemie einsetzt.

Unterstützung vom Landtag und Unternehmerfamilien

Die Unterstützung aus Niedersachsen hingegen ist gut. Die Landesregierung hat über die eigene NBank einen höheren einstelligen Millionenbetrag locker gemacht. Weitere Millionen im unteren einstelligen Bereich kamen von Unternehmerfamilien aus Braunschweig, die unserer Zeitung zwar bekannt sind, aber lieber nicht genannt werden möchten.

Landeswirtschaftsminister Althusmann, Bundes- und Landtagsabgeordnete aus der Region schrieben Brief um Brief an Kanzleramtsminister Braun und die Minister Spahn, Altmaier und Karliczek. Auch diese Stimmen wurden nicht erhört. Um nicht an die Chinesen verkaufen zu müssen, wählen die Forscher aus Braunschweig bald einen ungewöhnlichen Weg, den des Crowdfunding. Unsere Zeitung erreichte die ein oder andere Zuschrift von Lesern, die sich – getrieben von Lokalpatriotismus – bei Corat beteiligen wollen. Vielleicht geht die Erfolgsgeschichte weiter. Und man nennt Corat in einem Atemzug mit Biontech. Den Impfstoff-Entwickler aus Mainz kannte vor einem Jahr auch kaum jemand.