Braunschweig. Das Einwegplastikplastikverbot der EU soll Mensch und Umwelt schützen und eröffnet neue Absatzchancen. Aber es gibt auch Kritik.

Wer durch die Region spaziert – egal ob durch Wolfsburgs Allerpark, den Bürgerpark in Braunschweig oder am Salzgittersee entlang – und genau hinschaut, muss nicht lange suchen, um ihn zu entdecken: den Plastikmüll. Und nicht nur in der Umwelt findet sich Plastik, auch in unseren Körpern ist er schon angekommen. Das soll sich nun ändern.

In der EU wird Einwegplastik ab Juli teilweise verboten

Die Parks sind voll von Plastikmüll.
Die Parks sind voll von Plastikmüll. © Marco Kneise | Marco Kneise

Gerade in Corona-Zeiten, in denen viel geliefert wird, entsteht viel Verpackungsmüll. Doch wer sich Speisen liefern lässt, dürfte bald eine Veränderung bemerken: To-go-Verpackungen aus Styropor verschwinden. Denn Produkte aus Einwegplastik, für die es gute Alternativen gibt, dürfen ab 3. Juli 2021 EU-weit nicht mehr verkauft werden. Das betrifft zum Beispiel Strohhalme, Wattestäbchen, Kaffeebecher, Rührstäbchen, Besteck oder Teller und Schalen. Was zunächst vor allem wie eine Einschränkung für die nahende Grillsaison klingt, öffnet neue Märkte – mit riesigen Absatzmöglichkeiten. Auch für Unternehmen in unserer Region.

Die Mengen an Plastikmüll sind enorm

Wie viel Müll produziert wird, lässt sich an dem Beispiel der Einweg-Kaffeebecher aufzeigen: Die Menschen in Deutschland verbrauchen 320.000 Stück – pro Stunde wohlgemerkt. Das hat das Bundesumweltministerium berechnet. Pro Jahr sind das 2,8 Milliarden Becher. 1,3 Milliarden Kunststoffdeckel kommen laut Bundesumweltamt noch dazu. Sie müssen ab Sommer aus anderen Materialien als Einwegplastik hergestellt werden.

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Menschen nehmen Mikroplastik auch durch Nahrung auf

So entsteht Mikroplastik.
So entsteht Mikroplastik. © dpa | dpa-infografik GmbH

Das Verbot dürfte nicht nur die Umwelt entlasten. Plastik landet oft in Parks, an Uferböschungen oder am Strand. Dort muss es aufgesammelt werden. Passiert das nicht, zerbröselt es mit der Zeit. Die Mikropartikel werden vom Wind fortgetragen, vom Regen in Flüsse, Seen und Meere gespült, wo sie von Vögeln und Fischen gefressen werden. Das Mikroplastik landet auf verschiedenen Wegen wieder auf unseren Tellern und in unseren Gläsern.

Bis zu fünf Gramm Mikroplastik nehmen Menschen nach Angaben australischer Forscher täglich zu sich – abhängig von den Lebensumständen. Das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte. Die Untersuchung basiert auf Daten zu Mikroplastik – also Teilchen kleiner als fünf Millimeter – in der Atemluft, im Trinkwasser, in Salz, Bier und in Schalentieren.

Milliarden Dollar für Reinigung und Schadensbehebung

Der Fluss Tagaret in Bolivien ist vor Plastikmüll nicht mehr zu sehen.
Der Fluss Tagaret in Bolivien ist vor Plastikmüll nicht mehr zu sehen. © dpa | Juan Karita

Auch wirtschaftliche Schäden können durch falsch entsorgtes Plastik entstehen. „Wir Menschen empfinden entsorgten Unrat im Landschaftsbild als unschön und bleiben als Reisende besonders vermüllten Regionen fern, was zu Verlusten im Tourismussektor führt“, schreibt der niedersächsische BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland) auf seiner Homepage. „Weitere wirtschaftliche Schäden umfassen zum Beispiel Materialausfälle (verstopfte Pumpen und Filteranlagen, blockierte Schiffsschrauben, beschädigtes Fischereigerät und anderes), Reparaturkosten und Säuberungsaktionen und belaufen sich weltweit auf mehrere Milliarden US-Dollar pro Jahr.“

In Braunschweig gibt es einen verpackungsfreien Laden

2019 wurden 60 Prozent des Obst und Gemüses, das private Haushalte im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt kauften, laut einer Studie des Naturschutzbundes (Nabu) von 2020 vorverpackt. Die Kunden und Kundinnen hatten hier also gar nicht die Möglichkeit, auf eine Einwegverpackung zu verzichten. Doch dass es auch anders geht, sieht man in Braunschweig.

Denise Gunkelmann möchte mehr Bewusstsein für gesunde Ernährung wecken.
Denise Gunkelmann möchte mehr Bewusstsein für gesunde Ernährung wecken. © Elif Redzo/Archiv

„Die Nachfrage nach plastikfreien Artikeln wächst stetig. Jeden Tag gibt es mehr Leute, die sich bemühen, Müll zu reduzieren“, sagt Denise Gunkelmann. Sie hat im Dezember 2016 den Laden „Wunderbar Unverpackt“den ersten Laden, der in Braunschweig auf Verpackungen verzichtet , eröffnet. Die Kundinnen und Kunden bringen die Behältnisse – beispielsweise in Form von Gläsern – selbst mit. Im Mai 2018 öffnete sie einen zweiten Laden in Göttingen – mithilfe einer Spendenkampagne im Internet.

Sie gründete die Läden, weil ihr die Möglichkeit, unverpackt einzukaufen, in der Region fehlte. Ihre Beweggründe sind somit in erster Linie keine wirtschaftlichen. „Wir haben nur diese eine Erde. Je mehr wir sie vermüllen, desto weniger wird uns die Natur erhalten bleiben. Es geht ja nicht nur um uns, sondern auch um die nächsten Generationen, denen sie erhalten bleiben soll“, sagt Gunkelmann. „Da ist wirklich jeder Einzelne von uns gefragt.“

In dem Laden gibt es nicht nur unverpackte Lebensmittel, sondern auch verschiedene Produkte, die Plastikprodukte ersetzen können – beispielsweise Strohhalme aus Glas.

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Göttinger Unternehmer erobern den neuen Markt

Gerade werden viele neue Produkte, die Plastikprodukte ersetzen sollen, entwickelt. So kann das Verbot von Einwegplastik in der EU Chancen für die Wirtschaft bergen, indem es neue Märkte öffnet – auch in Niedersachsen.

In Göttingen etwa produzieren zwei Jungunternehmer essbares Besteck. Die Idee kam dem 25 Jahre alten Hemant Chawla in seinem Heimatland Indien, wie er sagt. Auf einem Festival bestellte er ein Reisgericht, aber der Stand hatte keine Löffel mehr. Stattdessen reichte ihm der Verkäufer Brot. Die Idee, Besteck aus Brotteig herzustellen, war geboren.

Rezepte Wunderbar Unverpackt Kosmetik

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    Heute vertreibt Chawla mit seiner Geschäftspartnerin Juliane Schöning, die er bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr in Kassel kennenlernte, essbare Löffel, Schüsseln, Strohhalme und Teller. Ihr Start-up Kulero produziert in Westindien und bei einem Kekshersteller in Baden-Württemberg.

    Abnehmer seien Supermärkte wie Edeka und Rewe, aber auch Hotels, Restaurants, Gefängnisse und Psychiatrien. Psychiatrien? „Ja“, sagt Schöning. Die Patienten können sich mit Besteck aus Metall oder Plastik selbst verletzen. Mit Brot-Besteck gehe das nicht so leicht. Ähnlich in Gefängnissen: Da gehe es nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Sicherheit.

    Geschirr aus Teig, Verpackungen aus Algen

    Das Ziel „zero waste“ (übersetzt: null Abfall) verfolgt auch Füllett. Das Unternehmen produziert wie Kulero To-go-Verpackungen und Geschirr aus Brot. Die Zutaten: Weizen- und Roggenmehl, Wasser, Rapsöl und Salz – alles biologisch produziert.

    Doch nicht nur Teig ist ein Mittel der Wahl: In Norddeutschland entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler essbare Verpackungen aus Algen. Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) und die Hochschule Bremerhaven kooperieren dazu mit dem Fischhändler Nordsee.

    Verpackungen aus Algen gehören in Indonesien schon zum Alltag. Evoware produziert „biologisch abbaubare Alternativen zu Einwegplastik-Produkten“ aus Algen und Seegras. Die Produkte sollen nicht nur den Lebensunterhalt von Meeresalgenbauern aufbessern, wie das Unternehmen auf seiner Webseite schreibt - sie sind auch kompostierbar und essbar.

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      Wie sehen Supermärkte die Sache mit dem Plastik

      „Gemeinsam mit unserem Partner, dem WWF, arbeiten wir als Regionalgesellschaft Edeka Minden-Hannover daran, unseren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Verpackungsvermeidung und -optimierung sind seit Jahren wichtige Anliegen von Edeka“, so Julia Katharina Simon, Pressesprecherin der Regionalgesellschaft Edeka Minden-Hannover. „So haben wir zuletzt die Umverpackung unserer Bio-Zucchini reduziert und bieten unsere Bio-Gurken neuerdings ohne Folie an.“ Einwegplastik-Geschirr der Eigenmarke habe man schon Ende 2019 aus dem Angebot genommen und durch Mehrweg-Alternativen ersetzt.

      Brauchen keine Verpackung: Gurken.
      Brauchen keine Verpackung: Gurken. © dpa | Jan Woitas

      Eine weitere Alternative, um Verpackungen im Obst- und Gemüse-Segment einzusparen, sei das Smart Branding. Dabei wird über einen Lichtstrahl die Oberflächenstruktur der äußersten Schalenschicht einer Frucht leicht verändert. Somit tragen die Früchte die gesetzlichen Kennzeichen auf der Oberfläche und ein zusätzliches Etikett ist nicht notwendig.

      Essbar und vor allem unsichtbar sind auch neuartige Verpackungen in deutschen Supermärkten. Wer hierzulande Obst und Gemüse kauft, muss es zu Hause aus Unmengen Plastik schälen. Der Grund: Ohne Verpackung verderben viele Produkte schneller. Das US-Unternehmen Apeel hat eine „zweite Haut“ für Früchte und Gemüse entwickelt. Edeka testet sie aktuell an Avocados. Der Schutzfilm sei aus pflanzlichen Materialien und verlangsame den Wasserverlust und das Eindringen von Sauerstoff – zwei Hauptfaktoren, die für das Verderben verantwortlich sind, wie Edeka schreibt.

      Verpackungen können auch ein Schutz sein

      Doch ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. „Wir treffen tagtäglich in unseren Märkten auf eine große Bandbreite an Kundenwünschen hinsichtlich Verpackung und Schutz der Ware“, als Beispiel nennt Simon hierfür Brokkoli, der ohne Folie schnell nicht mehr verkaufsfähig sei. „Ähnlich ist das zum Beispiel bei Tomaten – hier dient die Verpackung auch als Schutz und zum anderen als Unterscheidungsmerkmal, zum Beispiel an der Kasse. Lose Tomaten, Beeren, Trauben und so weiter sind empfindlich in Bezug auf Druckstellen und insbesondere bei Trauben oder Rispentomaten bleiben häufig viele in den Regalen lose über.“

      Somit könne die Verpackung auch dazu beitragen, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden und somit Lebensmittelverschwendung vorbeugen.

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        Ein Verbot von Einwegplastik wird die Welt nicht retten

        Ein generelles Plastikverbot lehnt Achim Schmiemann ab. Schmiemann ist Professor und Leiter des Instituts für Recycling an der Ostfalia in Wolfsburg. Außerdem ist er bei Zwirn aktiv, dem Zentrum für wissenschaftliches, interdisziplinäres Risikomanagement und Nachhaltigkeit an der Ostfalia. „Wenn es Alternativen gibt, die ökologischer sind, ist ein Verbot sicher sinnvoll. Aber für mich ist nicht von vorneherein klar, dass alles, was aus Plastik ist, verboten werden muss,“ so Schmiemann. Man müsse sich erst einmal intensiv damit befassen, ob die Ersatzprodukte wirklich einen geringeren ökologischen Fußabdruck besäßen, als die Plastikprodukte, sich hierfür auch die ganze Herstellungskette inklusive Energieverbrauch anschauen. „Ist das eindeutig, bin ich natürlich dafür, dass das Plastik verboten wird.“

        Die richtige Entsorgung ist ein Problem.
        Die richtige Entsorgung ist ein Problem. © dpa | Patrick Pleul

        Das Problem mit dem Plastik in der Umwelt ist für Schmiemann in erster Linie ein anderes. Es liege doch vor allem daran, dass die Menschen nicht sachgerecht mit den Artikeln umgehen, sondern diese nach Gebrauch einfach wegschmeißen. „Einweg bedeutet ja einmal benutzen und weg. Das ist nicht nur ein Plastikthema, sondern ein generelles Problem. Die Nutzer und Verbraucher müssen umdenken und wieder zu einem ganzheitlichen Nutzen von Gegenständen zurückkehren“, sagt Achim Schmiemann.

        Auch Gunkelmann von dem Unverpackt-Laden sieht das Verbot nicht nur positiv. „Es ist schon mal ein Anfang, aber für mich reicht es noch nicht aus. Man muss sich auch anschauen, was bei der Herstellung von zum Beispiel Lebensmitteln alles verursacht wird“, sagt die Gründerin. Das Bedürfnis, Müll zu reduzieren, wachse in der Gesellschaft. „Ich hoffe nur, dass die Politik es ernst meint und mit dem Verbot nicht nur versucht, den Aufschrei in der Gesellschaft zu beruhigen.“