Braunschweig. Immer mehr Verbraucher wollen auf Plastik verzichten. Doch bislang gibt es nur wenige Alternativen.

Ist da nicht erst die Politik gefragt? Wenn kein Plastik hergestellt wird, werden alternative Verpackungen im Vordergrund stehen.

Das bemerkt unser Leser Jürgen Knigge auf unserer Webseite.

Zum Thema recherchierte
Katrin Schiebold.

Lange hat sich Denise Gunkelmann darüber geärgert, dass es beim Einkaufen kaum möglich ist, Plastik zu vermeiden. Paprika, Weintrauben, Äpfel, Brokkoli, Tomaten, Salat – in den Supermärkten sind Obst und Gemüse oft überzogen mit Folie, eingepackt in Tüten. „Ich wollte Plastik sparen, aber das war kaum möglich.“ Für sie gab es deshalb nur eine Möglichkeit: In immer mehr Städten entstanden Läden, die Lebensmittel ohne Verpackungen anboten, in Braunschweig noch nicht. Sie wollte das ändern, etwas bewegen. Also setzte sie sich Anfang 2016 hin und schrieb einen Business-Plan. Im Sommer besuchte sie im Urlaub eine Schildkröten-Auffangstation auf Sansibar. Plastik vermüllt unsere Meere. Die Bilder von Tieren, die sich in Kunststoffteilen verhedderten, ließ sie nicht mehr los. Im Dezember eröffnete sie „Wunderbar unverpackt“ in der Fallersleber Straße, das erste Geschäft in der Region, in dem plastikfreies Einkaufen zum Konzept gehört.

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Die 30-Jährige steht hinter dem Tresen. Sie trägt eine Schürze, die langen blonden Haare hat sie locker zum Zopf gebunden. „Ich brauche einmal Waschmittel, bitte“, sagt eine Kundin und reicht ihr einen leeren Behälter.

Denise Gunkelmann stellt ihn auf die Waage. Sie geht zu einem großen Spender, dreht den Hahn auf und lässt die cremige Masse in die Flasche laufen. Die stellt sie wieder auf die Waage, das vorher registrierte Leergewicht des Behälters zieht sie ab. Die Frau bezahlt. Hinter ihr stehen weitere Kunden mit Gläsern, Dosen, Baumwollsäcken und Flaschen voll Müsli, Nudeln, Nüssen, Reis oder Gewürzen. Es bleibt kaum Zeit für ein Gespräch.

Der Laden brummt. Im Jahr der Fridays-for-Future-Bewegung, in Zeiten, in denen die Politik Antworten auf die Forderungen umweltbewusster Verbraucher finden muss und wirksame Strategien gegen den Klimawandel leidenschaftlicher diskutiert werden denn je, scheint das Angebot immer mehr Kunden zu locken. „Es kommen Studenten, Schüler, umweltbewusste Familien, aber auch viele Ältere, die das Abfüllen von Lebensmitteln noch aus den Tante-Emma-Läden kennen“, sagt Denise Gunkelmann. Sie hat Industriekauffrau gelernt und BWL studiert, jede Menge Idealismus mitgebracht, viel Kraft und Geld investiert und 2018 sogar einen zweiten Laden in Göttingen aufgemacht – mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne im Internet. 50.000 Euro kamen so zusammen. Inzwischen beschäftigt sie neun Mitarbeiter, sagt sie – und seit Anfang des Jahres verdient sie genug, um davon zu leben.

Ihre Erfahrung zeigt, dass es einen Markt gibt für alternative Angebote. In Deutschland wird deutlich mehr Verpackungsmüll produziert als in den meisten anderen Ländern: Nach Angaben des Bundesumweltamtes sind es 220 Kilogramm pro Jahr und Einwohner, der europäische Durchschnitt liegt bei 170 Kilogramm pro Kopf. Insgesamt kommen hierzulande 18 Millionen Tonnen solchen Abfalls im Jahr zusammen – Tendenz steigend. 2019 waren es noch 15 Millionen Tonnen. Private Haushalte waren für die Hälfte des gesamten Mülls verantwortlich. Als Gründe für diese Entwicklung werden unter anderem sich ändernde Lebensbedingungen angeführt: Der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte sowie von Senioren nimmt zu. Es werden kleinere Füllgrößen nachgefragt und vorportionierte Einheiten. Die Folgen sind gravierend: Wenn der Müll in die Natur beziehungsweise in die Gewässer gelangt, braucht er teilweise mehrere hundert Jahre, um abgebaut zu werden. Winzige Plastikpartikel sind wasserunlöslich, schwer abbaubar und können sich in Organismen anreichern. Eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit.

Nicht zuletzt deswegen fragen sich viele Verbraucher, was sie gegen die Vermüllung tun können. Nach einer Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) wünschen sich 87 Prozent der Befragten ein größeres Angebot an unverpackten Produkten in Supermärkten. Vor allem die Verpackungsflut bei Obst und Gemüse ist für viele ein Ärgernis. 63 Prozent des Obstes und Gemüses sind vorverpackt. Wer Äpfel oder Paprika ohne Plastikverpackung kaufen will, muss häufig mehr bezahlen.

Verbraucherschützer und Umweltverbände kritisieren seit langem, dass die Politik zu wenig unternimmt, um die Plastikflut einzudämmen. Sie fordern verpflichtende Mehrwegquoten, Einweg müsse teurer werden. Im vorigen November hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) einen Fünf-Punkte-Plan vorgestellt. Dieser sah unter anderem vor, einen Runden Tisch mit Vertretern des Handels einzurichten. Nach dem ersten Treffen im Februar hatte Schulze angekündigt, bis zum Herbst eine freiwillige, aber konkrete Vereinbarung für weniger Verpackungen zu treffen, etwa zu Plastik in Obst- und Gemüseverpackungen. Doch bis jetzt konnten sich die Vertreter auf keine konkreten Ziele einigen.

Vorerst ist also vor allem der Verbraucher gefordert, beim Einkauf nach Alternativen zu schauen. „Zahnbürsten gibt es auch aus Bambus und Strohhalme aus Metall“, sagt Denise Gunkelmann vom Braunschweiger Laden „Wunderbar unverpackt“ und zeigt auf ein entsprechendes Sortiment im Regal. Trotz allem weiß sie, dass es nicht komplett ohne Plastik geht. Einige Hersteller liefern ihre Produkte noch in riesigen Plastikbehältern, die großen Spender in ihrem Geschäft sind ebenfalls aus Plastik – sie werden allerdings viele Jahre genutzt statt sofort im Müll zu landen. Aber für einige Produkte gebe es schlichtweg noch keine Alternativen: „Hafermilch zum Beispiel gibt es nur im Tetrapack“, räumt sie ein. Auch könne es sich nicht jeder leisten, komplett auf Discounter-Produkte zu verzichten. „Man muss nicht alles perfekt machen“, sagt sie. Aber vielleicht ab und zu bewusster in die Regale greifen. „Jeder Schritt zählt – sei er noch so klein.“