Braunschweig. Die Politiker in Helmstedt, Wolfsburg und Braunschweig haben bereits grünes Licht gegeben. Nun steht noch die Entscheidung in Wolfenbüttel aus.

Die beiden Autobahnen sind ganz nah – A 39 und A 2. Das Rauschen der Autos und Laster am Kreuz Wolfsburg/Königslutter ist auf der Anhöhe zwischen Wohld und Scheppau deutlich zu hören. Mitunter sind sie auch zu sehen, wenn man hier oben über die Feldwege geht. Und man hört noch mehr: Zwei Kraniche stehen auf den Ackerflächen, ihr Ruf ist unverkennbar. Dreht man sich um, begrenzen Rieseberg und Elm die Sicht.

In diesem Bereich können sich der Landrat von Helmstedt, die beiden Oberbürgermeister von Wolfsburg und Braunschweig sowie die Landrätin von Wolfenbüttel ein Gewerbegebiet vorstellen. Ob es auch machbar ist, soll eine Studie zeigen. Es geht um 186 Hektar landwirtschaftliche Flächen mit Wiesen und Hecken – ungefähr so groß wie 260 Fußballfelder oder auch dreimal so groß wie der Tankumsee bei Gifhorn. Fast die gesamte Fläche liegt im Landkreis Helmstedt. Je nach Zuschnitt wäre zu einem kleinen Teil auch der Kreis Wolfenbüttel berührt. Nach Schätzungen sind etwa 120 Hektar für Gewerbe nutzbar. In der Umgebung gibt es mehrere Flora-Fauna-Schutzgebiete.

Helmstedt: Landkreis hat ein Einnahmeproblem

Als der Helmstedter Kreistag im Dezember in Lehre mit großer Mehrheit der Machbarkeitsstudie zustimmte, da sagten draußen vor der Börnekenhalle etwa 20 Bürger lautstark „Nein“ zu diesem Vorhaben. Mit Transparenten und Trillerpfeifen wollten Mitglieder der sehr aktiven Initiative „Gegenwind Scheppau“ die Politiker davon abbringen, die anteiligen 50.000 Euro für die Studie freizugeben.

Doch im Kreistag entfachten dann nur die Grünen Gegenwind. Fraktionsvorsitzender Dietrich Hansmann sprach dem Großprojekt jegliche Realisierungschance ab: Das Gebiet sei gänzlich ungeeignet, um Ansprüche an die Nachhaltigkeit erfüllen zu können. Außerdem gebe es im Gewerbegebiet Ochsendorf an der A2 noch reichlich Platz für Firmenansiedlungen.

Hier das Pro & Contra unserer Autorin und unseres Autoren dazu: Pro & Contra- Wäre das Gewerbegebiet Scheppau gut für die Region?

Hingegen sagte Elisabeth Heister-Neumann (CDU), dass niemand die Absicht habe, „Heimat“ zu zerstören. Es müsse aber die Chance geprüft werden, die weit unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft des Landkreises Helmstedt zu stärken. Auch Landratskandidat Jan Fricke (SPD) sprach sich dafür aus, die Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Landrat Gerhard Radeck (CDU) betonte, dass der Landkreis ein Einnahmeproblem habe – das Land statte die Kommunen finanziell nicht ausreichend aus. Also müsse man sich selber helfen. Ob es am Markt überhaupt eine Nachfrage nach dem Gewerbegebiet gebe, könne nur die Studie klären.

Wolfsburg: Kaum noch Freiflächen für Gewerbegebiete

Der Wolfsburger Rat hat Mitte Februar nach einer sehr kontroversen Debatte grünes Licht für die Machbarkeitsstudie gegeben . Für die Zustimmung von SPD, CDU und AfD war unter anderem ausschlaggebend, dass in Wolfsburg kaum noch Freiflächen für weitere Gewerbegebiete zur Verfügung stehen. Insbesondere die SPD hatte schon zuvor ausdrücklich dafür plädiert, über den Umweltschutz die Wirtschaft nicht zu vergessen.

Zustimmung kam auch von der Parteipolitisch Unabhängigen Gemeinschaft (PUG): Die größte Oppositionsfraktion im Rat hatte erreicht, dass in den Beschlusstext der Erhalt einer Vernetzung zwischen den Schutzgebieten aufgenommen wurde. Die Grünen, Linke/Piraten und FDP versagten der Machbarkeitsstudie ihre Unterstützung. Sie sind der Meinung, dass es besser wäre, anderswo Gewerbeflächen auszuweisen oder freiwerdende Flächen neu zu nutzen. Dass Flächen frei werden, erwarten sie angesichts der stärkeren Ausrichtung von VW auf die Produktion von E-Autos.

Braunschweig: Arbeitsplätze sichern und neu schaffen

Auch in Braunschweig stimmte die Mehrheit des Rates für die Machbarkeitsstudie . Annette Ihbe (SPD) sagte: „Es geht auch um Arbeitsplätze und um die Attraktivität des Standorts Braunschweig.“ Oliver Schatta (CDU) hob hervor, wie kompliziert es bereits jetzt für die Wirtschaft sei, Flächen im Stadtgebiet zu finden. „Wenn nicht wir etwas machen, macht es wer anderes“, sagt er. Ein Grundproblem aus seiner Sicht: Einstige Flächen für Industrie und Gewerbe würden inzwischen fürs Wohnen genutzt. Daher brauche man dringend zusätzliche Flächen.

Mehrere Flora-Fauna-Schutzgebiete (FFH) umgeben die Flächen des geplanten Gewerbegebietes.
Mehrere Flora-Fauna-Schutzgebiete (FFH) umgeben die Flächen des geplanten Gewerbegebietes. © Jürgen Runo

Ablehnung äußerte Peter Rosenbaum (BIBS): „Es ist nicht so, das wir immer erst irgendetwas zubetonieren müssen, um zu Arbeitsplätzen zu kommen.“ Stattdessen müssten zum Beispiel Brachen genutzt werden. Wolfgang Büchs (Grüne) verwies darauf, dass das Gewerbegebiet die Vernetzung der zehn Schutzgebiete im Umfeld beeinträchtigen würde, etwa durch das Abschneiden von Tier-Wanderungswegen. Zudem befänden sich in dem Bereich bereits Ausgleichsflächen etwa für den Bau der A 2 und der Weddeler Schleife. Argumente, die insbesondere auch BUND und Nabu zu dem Projekt zu hören sind.

Wolfenbüttel: Eine Mehrheit scheint auch hier sicher zu sein

Am 22. März soll die Entscheidung auch in Wolfenbüttel fallen. Die Kreistagsfraktion der Grünen hat bereits angekündigt, gegen das Gutachten zu stimmen . „Das geht von vorneherein in eine falsche Richtung, da muss man keine Machbarkeit nachweisen“, sagt Fraktionsvorsitzender Holger Barkhau. Seit Monaten hagelte es im Landkreis Kritik. Umweltschützer, Klimaaktivisten und Anwohner gingen bereits auf die Barrikaden. Viel Hoffnung haben die Wolfenbütteler Grünen aber nicht, dass sie die Machbarkeitsstudie noch kippen können: „Wir gehen momentan davon aus, dass der Kreistag sich mehrheitlich dafür entscheidet.“

Ein neuer zentral gelegener Logistik-Hotspot?

Die Befürworter des Vorhabens sehen viel Potenzial: Es gibt einen direkten Autobahnanschluss. Die Anbindung wäre über die Landesstraße 633 möglich. Der Flughafen Braunschweig ist über die A 2 innerhalb von 10 Minuten erreichbar, der Hafen Braunschweig innerhalb von 20 Minuten. Aufgrund der Lage und Größe wären flexible Flächenzuschnitte möglich und eine Nutzbarkeit an sieben Tagen rund um die Uhr, heißt es in der Beschlussvorlage der Räte.

Man geht davon aus, dass der Standort insbesondere für größere Betriebe aus dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe sowie für Logistikunternehmen interessant sein könnte. Die Rede ist von einem „zentral gelegenen Logistik-Hotspot“, der die Logistikbeziehungen in der Region neu sortieren könne. Auch nachhaltige grüne Technologien seien naheliegend.

Erinnerung an gescheiterten Plan von Braunschweig und Salzgitter

Das Vorhaben erinnert an den 2018 gescheiterten Plan von Braunschweig und Salzgitter, ein interkommunales Industrie- und Gewerbegebiet auf den Weg zu bringen: Laut einer Machbarkeitsstudie wäre das Gebiet zwischen A 39, Salzgitter-Stichkanal und Bahnhof Beddingen sinnvoll und umsetzbar. Allerdings wären weitere Prüfungen nötig gewesen, bevor über das Projekt hätte entschieden werden können. Der Braunschweiger Rat wollte diesen Weg mehrheitlich gehen. In Salzgitter kam jedoch das Aus: Das Ganze scheiterte angesichts einer Pattsituation von 20 Ja- und 20 Nein-Stimmen. Die Bürgerinitiativen fühlten sich in ihrem Protest bestätigt – die beiden Oberbürgermeister sahen eine Chance vertan.

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