Braunschweig. Einige Senioren geben trotzdem ihren Führerschein freiwillig ab. Hauptunfallverursacher sind laut Unfallstatistik aber 18- bis 25-Jährige.

Warum haben wir in Deutschland ein so
großes Problem mit einem jährlichen „Fahrer-TÜV“ ab einem bestimmten Lebensalter?

Das fragt unsere Leserin Birgit Brinkmann aus Vechelde.

Die Antwort recherchierte Alina Brückner mit unseren Agenturen

Prinz Philip, Ehemann der britischen Königin Elisabeth, hat kürzlich eine Debatte über Senioren am Steuer ausgelöst. Der 97-Jährige verursachte einen Unfall mit zwei Verletzten. Danach gab er seinen Führerschein freiwillig ab.

In Niedersachsen ist die Zahl derjenigen, die ihre Fahrerlaubnis freiwillig abgegeben haben, in einigen Städten deutlich gestiegen. War es in Braunschweig im Jahr 2017 lediglich eine Person, so hat sich die Zahl nach Angaben der Stadt 2018 auf 10 erhört. In Wolfsburg stieg die Zahl von 26 auf 35. Ein landesweit einheitliches Bild gibt es laut Deutscher Presseagentur allerdings noch nicht. Doch ab wann sollte jemand seinen Führerschein abgeben und ist das überhaupt eine Frage des Alters? „Die Fähigkeit, Auto zu fahren, hängt im Wesentlichen nicht vom Alter ab“, betont Dieter Quentin, erster Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Niedersachsen. Denn: „Da gibt es ganz andere Kriterien“, sagt der Vorsitzende. Dazu zählt er psychomotorische Fähigkeiten und das Seh- und Hörvermögen ebenso wie kognitive Kenntnisse in Bezug auf die Verkehrsregeln. „Schleichen sich erste Schwierigkeiten ein, muss man einen Check zulassen“, sagt Quentin. Dieser ist allerdings freiwillig. Einen „Senioren-TÜV“ oder auch „Fahrer-TÜV“ gibt es hierzulande nicht. Im Gegensatz beispielsweise zu Schweden und Großbritannien. Dort müssen Autofahrer ab 70 Jahren alle drei Jahre einen Hör- und Sehtest machen. „Wir bauen auf Eigenverantwortlichkeit, weil es sehr schwer ist, an einem bestimmten Alter festzumachen, wie die Fahrfertigkeiten sind“, sagt Christine Rettig, Pressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

Dennoch passieren immer wieder auch schwerwiegende Unfälle, in die Senioren verwickelt sind: Erst am Montagmittag hat ein 83-Jähriger in Grevenbroich laut Polizei beim Zurücksetzen aus einer Parklücke eine Gruppe Fußgänger erfasst. Eine 92-Jährige starb kurz nach dem Unfall, eine 81-Jährige und ein 76-Jähriger wurden schwer verletzt. „Die Hauptgruppe derer, die Unfälle verursachen, ist aber die der jungen Fahrer“, betont Rettig und verweist auf die Straßenverkehrsunfallstatistik Niedersachsen. 2017 gab es demnach 6041 Hauptverursacher bei Unfällen mit Personenschäden in der Altersgruppe 18 bis 25. Bei den Senioren waren es 4852 Verursacher in einer Altersgruppe von 65 bis 75 Jahren und älter. Mit einbezogen wurden alle Arten von Fahrzeugen. „Die Unfälle, die von Senioren verursacht werden, werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich zunehmen, weil die Bevölkerung immer älter wird“, räumt Rettig ein. Wäre ein „Fahrer-TÜV“ dann nicht doch sinnvoll?

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, schlug erst kürzlich in einem Gastbeitrag für unserer Zeitung Rückmeldefahrten für Senioren ab 75 Jahren vor. Darunter werden begleitete Fahrten von 45 bis 60 Minuten verstanden, in denen Senioren beispielsweise mit Verkehrspsychologen im Straßenverkehr unterwegs sind. „Gern können wir abwarten, wie ein solches Instrument freiwillig angenommen wird. Wenn es da hakt, sollte man die Teilnahme an einem solchen Check verpflichtend machen“, schrieb Brockmann.

Außerdem bietet beispielsweise die Landesverkehrswacht Niedersachsen Seminare für Senioren an, um Fahrkenntnisse aufzufrischen. Merkt ein Teilnehmer dann oder zu einem anderen Zeitpunkt, dass er sich nicht mehr sicher fühlt, kann er sich aus dem Straßenverkehr zurückziehen. Dafür muss er, wenn es nach Quentin geht, allerdings nicht den Führerschein abgeben: „Man kann auch einfach nicht mehr fahren.“ Vor allem dann, wenn es für die Senioren keinen erkennbaren Anreiz für eine Abgabe gibt. In Lingen beispielsweise bekommen Senioren ab 80 eine kostenlose Bus-Jahreskarte. Dieses Angebot gibt es in Braunschweig und Hannover jedoch nicht.