Berlin. . Verkehrsminister Scheuer setzt weiter auf die Selbsteinschätzung älterer Autofahrer. Unfallforscher empfehlen aber die Überprüfung ab 75 Jahren.

Der Unfall ereignete sich auf der Landstraße A149 in der Nähe des Landsitzes der britischen Königin in Ostengland. Der 97 Jahre alte Fahrer war an diesem Nachmittag allein unterwegs. Die Sonne stand schon tief und schien ihm ins Gesicht, als der Geländewagen mit einem entgegenkommenden Auto zusammenstieß und sich mehrfach überschlug. Der Fahrer blieb unversehrt, die zwei Frauen in dem anderen Fahrzeug erlitten Verletzungen; ein neun Monate altes Kleinkind kam ohne Schaden davon.

Der Zusammenstoß, den Prinz Philip, der Ehemann der Königin, vor gut zwei Wochen verursachte, ist in gewisser Weise typisch. „Die Hell-Dunkel-Empfindlichkeit nimmt im Alter zu“, sagt Siegfried Brockmann, Unfallexperte der Versicherungsunternehmen. Die Augen von alten Menschen könnten sich nicht mehr so schnell auf wechselnde Lichtverhältnisse einstellen, sagt Brockmann. Jedenfalls ginge es nicht mehr so schnell wie bei Jüngeren.

Seit Jahren schon befasst Brockmann sich mit der Verkehrssicherheit von Senioren. Er wertet Statistiken und medizinische Erkenntnisse aus. Er sortiert das Unfallgeschehen nach Altersgruppen oder nach gefahrenen Kilometern und danach, wie viele Menschen in einer Altersgruppe überhaupt einen Führerschein haben. Sein Fazit: „Vie­len älte­ren Autofahrern man­gelt es an Selbs­t­er­kennt­nis.“ Wenn sie wüssten, dass sie eine Gefahr seien, würden viele ihr Verhalten ändern, glaubt Brockmann. Unermüdlich wirbt er für einen verpflichtenden Fahrtest für Ältere: eine Stunde Autofahren in Begleitung eines Experten, danach ein aufklärendes Gespräch mit Ratschlägen. „Aber niemandem wird der Führerschein entzogen.“

Bisher hat sein Werben wenig Erfolg, auch nicht beim Bundesverkehrsminister. „Dass ältere Autofahrer ihre Verkehrstauglichkeit testen lassen müssen, ist nicht sinnvoll. Ich setze auf Eigenverantwortung“, sagt Andreas Scheuer. Der 44 Jahre alte CSU-Politiker ist leidenschaftlicher Autofahrer. Aus der Unfallstatistik würden sich keine Auffälligkeiten bei älteren Fahrern ergeben, meint Scheuer. „Unfälle können einem 21 Jahre alten Fahrer genauso passieren wie einer 81 Jahre alten Fahrerin.“ Eigenverantwortung, das heißt für ihn, dass jeder Fahrer „immer wieder selbst seine Fitness und seine Fähigkeiten im Straßenverkehr überprüft“. Eine Verpflichtung, dies ab einem bestimmten Alter zu machen, lehnt er ab: „Einen Verkehrstest für Senioren wird es mit mir nicht geben.“

Ältere Fahrer verursachen die meisten Unfälle selbst

Unfallexperte Brockmann empfiehlt für die Kontrollfahrt – er selbst verwendet den Begriff „Rückmeldefahrt“ – das Alter von 75 Jahren. In den Jahren zuvor seien die meisten älteren Fahrer noch sicher unterwegs und würden von ihrer oft jahrzehntelangen Fahrpraxis profitieren. Ab 75 Jahren aber gebe es immer öfter Situationen, in denen die Fahrer nicht mehr schnell genug reagieren könnten. Gerade an Kreuzungen seien diese Fahrer oft überfordert, es komme zum Unfall.

Um die Grenze für den Fahreignungstest beim Alter 75 Jahre belegen zu können, hat Brockmann sich die Statistiken genau angeschaut. Es komme darauf an, die richtigen Daten in Bezug zueinander zu setzen, sagt er. Die absoluten Zahlen der Unfälle von Senioren seien gering, gibt der Experte zu. Das liege daran, dass oft nur das Alter „ab 65 Jahre“ erfasst werde. Auch allgemein bestimmte Altersgruppen zu betrachten nütze nichts, denn viele Senioren würden tatsächlich nicht mehr Auto fahren oder hätten gar keinen Führerschein. Entscheidend sei also, dass man die Fahrleistung berücksichtige, sagt Brockmann. Sein Fazit aus allen verfügbaren Statistiken: Jenseits der 75 Jahre verursachen Senioren 75 Prozent aller Unfälle, an denen sie beteiligt sind, selbst. Das sei ein etwas höherer Wert als bei den 18- bis 21-Jährigen.

Doch weder die Politik noch große Automobilclubs halten etwas von einem Fahrtest für Senioren. Der ADAC beispielsweise glaubt, dass bei den Testfahrten geeignete Fahrer irrtümlich als ungeeignet eingestuft würden. Und: „Ein positives Testergebnis kann einen älteren Fahrzeugführer dazu verleiten, seine eigenen Fähigkeiten weit über den Testzeitpunkt hinaus zu überschätzen.“

Minister Scheuer findet darüber hinaus, dass sich das ganze Thema bald ohnehin erledigen wird: „In naher Zukunft werden ältere Menschen auch nicht mehr unbedingt selbst fahren müssen“, sagt er. „Gerade auf dem Land können die Menschen mithilfe von autonomen und automatisierten Systemen mobil bleiben.“