Braunschweig. Die Gräberschändung ruft Entsetzen bei Stadt und muslimischen Verbänden hervor. Täter wird man selten habhaft, erklärt ein Experte.

Was für eine verachtenswerte Tat! Hoffentlich werden die Täter bald gefasst und hart bestraft.

Das schreibt unsere Leserin Nadja Nitschke auf Facebook

Dazu recherchierten Ramona Dusny und unseren Agenturen

Mit roter Farbe haben Unbekannte in der Nacht zum Sonntag zwölf Grabsteine muslimischer Grabstätten und einen Hinweisstein auf dem Northeimer Stadtfriedhof besprüht. Nun prangen darauf widersprüchliche Symbole: Hakenkreuze, wie sie die rechtsextreme Szene verwendetet, und ein „Anarcho-A“, Kennzeichen der linksextremen Szene. Die Namen der Bestatteten wurden unkenntlich gemacht. Ein Spaziergänger habe das kurz nach 9 Uhr am Morgen entdeckt, so die Polizei.

Die Stadt Northeim hat Strafantrag gestellt, die Polizei ermittelt wegen Störung der Totenruhe, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – was mit einer Geldstrafe oder auch einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann – und gemeinschädlicher Sachbeschädigung, worauf dieselbe Strafe steht. „Der Staatsschutz ist involviert“, sagte ein Sprecher. In der Form hätte es so etwas in Northeim noch nicht gegeben. „Die Hintergründe sind noch völlig unklar“, berichtet er, zu den Tätern gebe es noch keine Spur.

Gräberfeld besteht seit 2011

Der Sachschaden in Höhe von 1300 Euro ist noch das kleinste Übel. Die Wirkung ist groß. Als „tief betroffen über die abscheulichen Schmierereien“ lässt sich der Northeimer Bürgermeister Simon Hartmann in einer Pressemitteilung zitieren. Er habe sich gemeinsam mit den Angehörigen am Sonntag vor Ort ein Bild gemacht.

Auch die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, meldete sich am Montag zu Wort. Sie geht von einer politisch motivierten Grabschändung aus. „Aus jeder rechten Gewalttat, aus jeder Hakenkreuz-Schmiererei, aus jeder Grabschändung, wie sie sich am Wochenende in Northeim ereignete, spricht blanker Menschenhass und Fremdenfeindlichkeit“, heißt es in einer Mitteilung. „Diese feigen Taten gefährden das friedliche Zusammenleben in unserer kulturell und religiös vielfältigen Gesellschaft, zu der die Muslima und Muslime in Niedersachsen seit jeher einen wichtigen bereichernden Beitrag leisten“, heißt es darin weiter.

Der Stadt Northeim zufolge ist das muslimische Gräberfeld 2011 freigegeben worden, nachdem schon 2007 die Einrichtung beschlossen wurde. Dabei unterstützten Vertretern verschiedener muslimischer Verbände die Stadt.

Tendenz zu Anfeindungen

Darunter war auch Firouz Vladi, Sprecher des Landesverbands der Muslime in Niedersachsen. „Ich habe mich selbst um die Errichtung gekümmert und die Stadt beraten“, erinnert er sich. Es galt vieles zu berücksichtigen, so werden Muslime ohne Sarg und mit den Augen Richtung Mekka bestattet.

„Dass die Grabsteine jetzt beschmutzt wurden, ist unerhört, es ist verwerflich, die Totenruhe zu stören“, sagt Vladi. Zwar gäbe es eine allgemeine Tendenz zu Anfeindungen gegenüber Muslime, „aber in dem sonst so friedlichen Südniedersachsen finde ich das bedenklich.“

Laut Vladi steige die Nachfrage nach muslimischen Grabstätten in Niedersachsen nur ganz allmählich, eher bei Jüngeren. Die meisten Muslime würden ihre Toten wieder in die Heimat, etwa in die Türkei, zurückfliegen lassen. „Das hat zum einen ökonomische Gründe, auf dem Land in der Türkei kostet die Bestattung im Vergleich zu Deutschland quasi nichts“, sagt der Verbandssprecher. Zudem gingen Angehörige davon aus, dass der oder die Tote dort auch ewig liegen bleiben könne. In Northeim etwa gilt eine muslimische Grabstätte als Wahlgrabstätte, die erst einmal nur auf 30 Jahre gekauft wird und dann verlängert werden kann. Sie kann jedoch auch schon nach 25 Jahren sogenannter Ruhefrist wieder eingeebnet werden.

Ein weiterer Vorteil eines Grabes etwa in Arabien liege im Klima, sagt Vladi: „Dort gibt es meist nur Sand und Steine, während sich hier Angehörige daran gewöhnen müssen, die Gräber auch zu pflegen.“

Nun von den Verunstaltungen zu hören, könnte natürlich auch abschreckend wirken. „Aber man muss das hinnehmen und versuchen, den Täter festzustellen“, so Vladi.

Täter klammern Tabu aus

Anders als auch unsere Leserin hofft, werde man der Täter jedoch selten habhaft, belastbare Daten zu solchen Grabschändungen gäbe es nicht, erklärt Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. „Antimuslimische Motive stecken sicherlich dahinter“, vermutet er. Um ein Grab zu beschmieren, müsse der Täter erst einmal den Skrupel gegenüber dieser Stätte wie auch gegenüber Moscheen oder Kirchen überwinden, das Tabu ausklammern. Er betrachtet solche Vorfälle als Vorstufe einer Radikalisierung, die das Institut im Moment beobachte.

Das „Bündnis gegen Rechts Braunschweig“ machte Sonntagfrüh auf Twitter auf eine weitere Tat in der Region aufmerksam: Eine Stolperschwelle an der TU Braunschweig, mit der der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird, wurde – ebenfalls mit roter Farbe – beschmiert. „Wir werden diese immer wieder reinigen“, schreibt die TU bei Twitter.

Es gelte, solche Schmierereien „sofort zu entfernen, damit sich niemand damit länger brüsten kann“, erklärt Bliesener. Auf Anfrage bestätigt die Stadt Northeim, dass auch sie das bei den muslimischen Grabsteinen schnellstmöglich vorhat.

Wenn es jedoch darum geht, solche Taten zu verhindern, weiß auch Bliesener keinen Rat. „Man muss manche Dinge hinnehmen und die Folgen reduzieren“, sagt er. „Häufig wird gleich nach Videokameras gerufen, aber wollen wir wirklich welche auf Friedhöfen? Zumal ihnen viel mehr Wirkung zugeschrieben wird, als sie wirklich haben.“ So sei Videoüberwachung vor allem bei Parkhäusern erfolgreich, im öffentlichen Raum dagegen nicht. Bliesener erzählt von abgestellten Zügen, die trotz Überwachung weiter besprüht würden, „die Täter nutzen dann schwierige Wetterverhältnisse.“ Es helfe nur soziale Kontrolle, also dass etwa Friedhofsbesucher und Passanten direkt die Polizei einschalten, wenn sie etwas Verdächtiges beobachten.