Lehre. Am 20. September ist die bisher einspurige Weddeler Schleife 20 Jahre in Betrieb. Nun soll sie für den zweispurigen Betrieb ausgebaut werden.

Der Bau des zweiten Gleises soll also 2023 abgeschlossen sein. Diese fünfjährige Bauzeit für eine 20 Kilometer lange Bahnstrecke ist wohl vielen Bahnnutzern kaum zu erklären.

Das bemerkt unser Leser
Horst Gerike aus Hannover

Zum Thema recherchierte
Andre Dolle

An der Eisenbahn-Überführung am Fluss Schunter bei Lehre wird das ganze Dilemma der Weddeler Schleife deutlich: An der eingleisigen Strecke zwischen Braunschweig und Wolfsburg muss ein IC auf einen ICE warten. Heiko Lattke von der Firma Keller Grundbau sieht dieses Schauspiel in diesen Tagen oft. Er und seine Kollegen erkunden derzeit den Baugrund und die Brückenpfeiler an der Eisenbahn-Überführung. Denn die Weddeler Schleife – das Bahn-Nadelöhr in Niedersachsen schlechthin – wird endlich ausgebaut.

Bahn im 30-Minuten-Takt

Mehr als 100 Nahverkehrs-, Fernverkehrs- und Güterzüge teilen sich täglich das Gleis. Die Bahnstrecke ist extrem verspätungsanfällig. Bis Abhilfe geschaffen ist, dauert es noch eine ganze Weile. Zwar ist der Planfeststellungsbeschluss aus den 90er Jahren weiterhin gültig. Und auch die 150 Millionen Euro für das zweite Gleis stehen bereit. Denn das Land Niedersachsen und der Bund haben sich darauf geeinigt, sich die Kosten zu teilen. Es dauert dennoch bis 2023. Erst dann kann der Enno, der Regionalzug zwischen Braunschweig und Wolfsburg, alle 30 Minuten fahren. Bisher fährt er in der Regel jede Stunde. Für zwei Großstädte wie Braunschweig und Wolfsburg im industriellen Herz Niedersachsens ist das eigentlich ein Unding. Doch das ist seit 1998 der Standard. Damals stand kein Geld für das zweite Gleis zur Verfügung.

Alleine die Vorarbeiten ziehen sich bis Weihnachten. Das hatte die Bahn schon angekündigt. Polier Heiko Lattke bestätigt dies. „Das dauert hier noch eine ganze Weile“, sagt er. Zum Einsatz kommen unter anderem Kernbohrgeräte, Rammgeräte, Raupentransporter und Sondier-LKW. Obwohl es sich erst einmal nur um Vorarbeiten handelt, ist bereits schweres Gerät im Einsatz. Damit der Zugverkehr so wenig wie möglich beeinträchtigt wird, sollen die Arbeiten teilweise nur in den nächtlichen Zugpausen stattfinden. Die Arbeiter werden Schotter an den Bahndämmen abtragen, Bohrungen zur Baugrunduntersuchung und auch an den Brücken vornehmen.

Polier Lattke und seine Kollegen bringen die Bodenproben zu einem leerstehenden Wohnhaus samt Hinterhof in Lehre. Jeden Meter entnehmen sie eine Probe. Das Grundstück samt Haus, das sie extra angemietet haben, dient derzeit als Bauhof. Dort warten Sara Polanyi und Uwe Scheunemann vom Planungsbüro der Deutschen Bahn auf die Proben, werten sie aus. Geologen sind auch vor Ort. Die Bahn plant generalstabsmäßig.

Nach Abschluss der Vorarbeiten machen Polanyi und Scheunemann vom Bahn-Planungsbüro ihr Gutachten. Dann steht fest, ob bei Fundamenten nachgebessert werden muss. Eventuell müssen diese verbreitert werden. Seit den 90ern wurden die technischen Normen und auch die Umwelt-Standards verschärft. Deshalb müssen die Pläne hier und da auf den aktuellen Stand gebracht werden. Den Lärmschutz entlang der Strecke hatte die Bahn – bis auf kleine Teile – für das zweite Gleis bereits hergestellt.

Wie unsere Zeitung erfuhr, drängelt das Land Niedersachsen hinter den Kulissen ganz erheblich. Und doch dauert es noch bis 2023. Umgerechnet 4,2 Kilometer Gleis schafft das Land bis dahin pro Jahr für die gut 20 Kilometer lange Strecke. Zum Vergleich: Bis die Autobahn 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg durchgängig befahrbar sein soll, rechnet das Landesverkehrsministerium mit zehn Jahren. Das entspricht für die etwa 110 Kilometer Autobahn, die ganz neu geplant und gebaut werden müssen, 11 Kilometern pro Jahr.

Ein Sprecher des Landesverkehrsministeriums erklärt auf Anfrage, dass Bauten bei der Bahn und auf der Straße sich nur schwer miteinander vergleichen ließen. Er sagt: „Während der Verkehr im Straßenbereich aufgrund des dichten Straßennetzes recht einfach umgeleitet werden kann, ist dies im Eisenbahnbereich aufgrund der begrenzten Kapazität der Schienen nur sehr aufwändig und mit langem Vorlauf möglich.“ Sogenannte Sperrpausen bedürften einer mehrjährigen Voranmeldung.

Anfang 2016 ging das Landesverkehrsministerium noch von einer gut zweijährigen Bauzeit aus. Baubeginn sollte 2018 sein. Das war allzu optimistisch, wie sich herausstellte. In der Zwischenzeit einigten sich Bund und Land auf die Übernahme der Kosten, die Arbeiten wurden öffentlich ausgeschrieben. Bereits Anfang 2016 bezeichnete Bernd Meier, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Braunschweig, trotz aller Vorfreude über das Bauvorhaben die angekündigte Zeitschiene als „kleine Enttäuschung“. Nun dauert es drei Jahre länger als gedacht.

Neben dem Verkehrsministerium wirbt auch eine Bahn-Sprecherin um Verständnis. Für den Ausbau der Weddeler Schleife seien nicht nur mehr als 20 Kilometer Gleis, sondern auch elf neue Weichen notwendig. Zwischen Klein Brunsrode und Sülfeld müssten außerdem fünf Straßen- und zwei Eisenbahnüberführungen zurück- oder neu gebaut werden. Bei den Eisenbahnüberführungen Schunter bei Lehre und Sandbach bei Hordorf komme jeweils ein zweiter Überbau hinzu.

Wirklich langwierig mache den Ausbau jedoch die Planung – und die Abstimmung mit dem Bahnverkehr, wie auch schon der Sprecher des Ministeriums betonte. Die Bahn-Sprecherin sagt: „Generell hängt die Dauer von Ausbauvorhaben im Eisenbahnbereich nicht primär mit der Streckenlänge zusammen. Vielmehr sind neben umfangreichen Planungs- und Ausschreibungszeiträumen auch langfristige Anmeldungen von Sperrpausen mit einem mehrjährigem Vorlauf erforderlich.“

Wie schon gesagt: Täglich fahren mehr als 100 Züge auf der Weddeler Schleife. Trotz des Ausbaus sollen möglichst wenige Züge ausfallen. Das stellt die Bahn ganz offensichtlich vor große Probleme.

Ganz vermeidbar sind sogenannte Sperrpausen für Züge nicht. Gerade für den Fernverkehr stellt das die Bahn vor Herausforderungen. Die Bahn-Sprecherin: „Diese führen dazu, dass Schienenprojekte auch nach ihrer Planfeststellung regelmäßig eine längere Umsetzungsdauer benötigen.“ Gibt es Brückenarbeiten, müssten diese auch noch mit der Umleitung des Straßenverkehrs abgestimmt werden.

Dass es noch so lange dauert, bis das zweite Gleis liegt, überrascht Björn Gryschka vom Fahrgastverband Pro Bahn nicht. Der Verband vertritt die Interessen von Bahnfahrern. Gryschka sagt: „Wir haben ein hoch belastetes Gleis.“ Die Bauarbeiten würden im laufenden Betrieb stattfinden. Gryschka: „Ich hoffe darauf, dass der Bauplan und der Fahrplan vernünftig geregelt und aufeinander abgestimmt werden.“ Den Tausenden von Bahnpendlern bleibt also nichts anderes übrig, als sich weiter zu gedulden. In fünf Jahren ist die Weddeler Schleife endlich zweigleisig.

Stichwort Weddeler Schleife

Die Bahnstrecke zwischen Weddel im Kreis Wolfenbüttel und Fallersleben, einem Ortsteil von Wolfsburg, ist 21,1 Kilometer lang. Der schon lange geforderte Ausbau der Strecke erfolgt nun als Projekt unabhängig vom Bundesverkehrswegeplan. Da dieser Projekte auf der Straße, auf der Schiene und auf dem Wasser von bundesweiter Bedeutung vorsieht, hatte das zweite Gleis der Schleife keine Chance.

Doch es handelt sich nicht nur um ein Nahverkehrsprojekt. Steht das zweite Gleis, entfällt für ICE- und Güterzüge ein verspätungsanfälliges Nadelöhr von Süden Richtung Berlin. Deswegen beteiligt sich der Bund an den Kosten in Höhe von voraussichtlich 150 Millionen Euro. Aktuell fahren im Schnitt täglich 49 Nahverkehrs-, 29 Fernverkehrs- und 26 Güterzüge auf der Strecke.

Das Baurecht für die drei Planfeststellungsabschnitte wurde bereits Mitte der 1990er Jahre erteilt und ist wirksam. Damals wurde allerdings nur ein Gleis gebaut. Bis Mitte 2019 aktualisiert die Bahn die Planunterlagen für den zweigleisigen Ausbau. Bei Bedarf muss die Bahn die Pläne anpassen.

Beim Bau des ersten Gleises von 1996 bis 1998 hatte die Bahn bereits einen Großteil der Vorbereitungen für den zweigleisigen Ausbau getroffen. Das galt zum Beispiel für den Bahnkörper und die meisten Brücken. Die Hauptbauarbeiten sollen 2021 beginnen, liegen soll das zweite Gleis 2023. Dann gilt endlich der 30-Minuten-Takt zwischen Braunschweig und Wolfsburg. ad