Wolfsburg. . Die Wolfsburger wollen bis 2025 rund 3,5 Milliarden Euro in die Digitalisierung ihrer Autos und Dienstleistungen investieren.

Hinkt VW nicht – wie mit der jüngst verkündeten Digital-Offensive – der Konkurrenz von Daimler und BMW hinterher?

Das fragt unser Leser Lutz Tantow aus Braunschweig

Zum Thema recherchierte
Andreas Schweiger

Bevor die Frage unseres Lesers beantwortet wird, zwei Sätze zur Einordnung: Die Marke VW hat gestern in Berlin angekündigt, ihre Digitalisierung und den Ausbau neuer Mobilitäts-Dienstleistungen zu beschleunigen. Dafür will der Autobauer bis 2025 rund 3,5 Milliarden Euro investieren. Das Unternehmen spricht vom größten Veränderungsprozess seiner Geschichte. Das Ziel: Ebenfalls bis 2025 wollen die Wolfsburger eine führende Rolle als digitalisierter Autohersteller einnehmen.

Aber wo stehen sie heute? Professor Stefan Bratzel, der das Auto-Institut in Bergisch-Gladbach leitet, befasst sich regelmäßig mit dem Grad der Digitalisierung und den daraus abgeleiteten Mobilitäts-Dienstleistungen der verschiedenen Autobauer. Auf die Frage unseres Lesers lautet seine Antwort: „BMW und Daimler sind im Vergleich zu VW etwas voran.“ Grund: Beide Autobauer hätten sich des Themas früher angenommen und entsprechend mehr Erfahrung ­– zum Beispiel mit dem Car-Sharing.

„Aber VW ist nicht weit weg von BMW und Daimler“, ergänzt Bratzel. Im internationalen Vergleich belege das Unternehmen hinter den beiden süddeutschen Autobauern Rang drei. Als positiv wertet der Experte, dass VW nun bei der Digitalisierung aufs Tempo drücken will. „VW hat hat den Nachholbedarf erkannt und wird entsprechend aktiv.“

Allerdings messen sich die Wolfsburger nicht mehr nur mit ihren klassischen Konkurrenten aus der eigenen Branche. Im digitalen Geschäft mischen auch Unternehmen wie Google, Apple, Amazon und Alibaba mit, die nicht aus der Fahrzeugbranche kommen. Ihre Stärke ist das IT-Geschäft.

Bratzel spricht mit Blick auf den Wettbewerb zwischen den klassischen Autobauern und den neuen Internet-Konzernen vom „Kampf der Welten“. „Die Kompetenz der neuen Unternehmen in der Big-Data-Analyse, mit digitalen Ökosystemen, Software und Software-Plattformen ist um einen Quantensprung höher als die der Autobauer“, betont er.

Mit diesen Unternehmen mitzuhalten sei auch für Volkswagen die eigentliche Herausforderung. „Es erfordert enorme Anstrengungen, diesen Kampf zu gewinnen“, sagte Bratzel. Aber die Autobauer seien nicht chancenlos. Ihre Vorteile lägen im Know-how der klassischen Autoproduktion. Unumgänglich sei es aber, bei der Digitalisierung rasch aufzuholen. Und genau das haben der Konzern und die Marke VW vor.

Digitalisierung ist ohnehin das Zauberwort der Stunde. Fast jeder Lebensbereich und Wirtschaftszweig wird digital. Diese technische und letztlich auch kulturelle Revolution vernetzt die Welt noch engmaschiger, sie bringt uns jede Menge Komfort und neue Anwendungen, führt aber auch zu einer Durchleuchtung des Menschen, einer Beschleunigung des Lebens und vor allem der Veränderungsgeschwindigkeit. Da fällt es manchem schwer mitzuschwimmen.

In der Autobranche steht Digitalisierung für neue Antriebe, für das autonome Fahren, für neue Dienstleistungen und für die Vernetzung des Autos mit dem Internet.Und über das Internet kommen wiederum neue digitale Funktionen in das Auto. Das ist dann nicht mehr nur schlicht ein Gefährt, sondern ein neuartiger Lebensraum, der uns auf unserer Fahrten und Reisen permanent mit neuen Dienstleistungen und Informationen begleitet und unterhält und ununterbrochen an den Rest der Welt in Echtzeit anbindet ­ – eine kleine eigene Welt auf der großen Welt.

Die Marke VW verbindet mit ihrer gestern verkündeten Beschleunigung der Digitalisierung verschiedene Aspekte. Der vielleicht greifbarste: Das Car-Sharing soll mit Elektro-Modellen ab 2019 massiv ausgebaut werden ­– zunächst in Berlin mit 2000 Autos.

Im Zentrum der Digitalstrategie steht aber der Aufbau eines digitalen Ökosystems und einer entsprechenden konzernweiten Plattform, in dem das Car-Sharing nur ein Baustein von vielen ist. Das Ökosystem besteht aus einer eigenen Anwendersoftware mit entsprechenden Angeboten von VW aber auch von externen Dienstleistern.

Das können Mobilitätsangebote sein wie das Car-Sharing, Verkehrsinformationen für das Navi, Streamingdienste oder zum Beispiel auch zusätzliche Motorleistung für das Auto, die für einen begrenzten Zeitraum gegen Entgelt online aktiviert wird – etwa für einen Urlaub in den Bergen. Ab 2020 soll die gesamte Flotte der Marke VW über diese Software ans Internet angebunden werden. Software und Dienstleistungen wird es in dieser Form nur bei VW geben ­– in einem digitalen Ökosystem.

Das ist keinesfalls eine VW-Erfindung. Das Unternehmen orientiert sich vielmehr an Vorbildern wie zum Beispiel Apple. Der US-Konzern baut nicht nur Geräte wie I-Phone oder I-Pad, sondern liefert die intuitive und somit äußert einfach zu bedienende Software gleich mit. Externe Dienstleister bieten dazu ergänzend ihre Apps an. Das ist für den Nutzer praktisch und für die Hersteller und Anbieter wirtschaftlich sehr lukrativ.

Denn hat sich der Kunde erst einmal in einem Ökosystem eingerichtet, wird er nicht so schnell in ein anderes wechseln. Das wäre aufwendig, unkomfortabel und mit viel Lernerei verbunden. Ein digitales Ökosystem ist also ein ein sehr geeignetes Instrument, um Kunden langfristig zu binden. Nicht zufällig nennt die Marke VW ihr Ökosystem „Volkswagen We“ ­– was sich mit frei mit „Wir sind Volkswagen“ übersetzen lässt. Das digitale Ökosystem als eine Art Glaubensbekenntnis.