Braunschweig. Wie wirken sich riesige Offshore-Windkraftanlagen auf die globale Luftbewegung aus? Das wollte ein Leser wissen, wir haben recherchiert.

Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann, wie wirken dann hunderte Rotoren von Windkraftanlagen in Deutschland?

Das fragt unser Leser Wolfhard Peters aus Schöppenstedt.

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Der sogenannte Schmetterlingseffekt, den unser Leser anspricht, ist ein Bild für die Unberechenbarkeit dynamischer, chaotischer Systeme. Als Beispiel dient häufig das Wetter, das von einer Vielzahl von Parametern abhängig ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur mit einer endlichen Genauigkeit bestimmt werden können. Geringfügige Abweichungen können sich dann über einen längeren Zeitraum zu enormen Unterschieden auswachsen.

„Allerdings spielt das vor allem dann eine Rolle, wenn viele kleine Effekte gleichzeitig wirken und keine einzelne Kraft dominiert“, erklärt Professor Stefan Emeis vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU) am Karlsruher Institut für Technologie. Im Winter werde das Wetter häufig von großen, stabilen Tiefdruckgebieten bestimmt. Da seien Vorhersagen auch für fünf bis sieben Tage recht zuverlässig. „Im Sommer hingegen haben wir oft eine flache Luftdruckverteilung mit wenig Unterschieden. Da können dann einzelne Flächen oder Berge eine große Rolle für das Wetter spielen“, so Emeis. Entsprechend sinke die Verlässlichkeit der Wetterprognosen.

Können auch die Rotoren von Windkraftanlagen Auswirkungen auf Wetter und Klima haben? Um diese Frage dreht sich das Forschungsprojekt „WIPAFF – Windpark-Fernfeld“. Daran beteiligt ist neben dem IMK-IFU unter anderem auch das Institut für Flugführung (IFF) der TU Braunschweig. „Satellitenbilder zeigten hinter Windparks eine veränderte Struktur der Wasseroberfläche“, sagt Dr. Astrid Lamert vom IFF. „Das wollten wir messen.“

40 Messflüge über die Nordsee klären auf

Die Wissenschaftler unternahmen daher rund 40 Messflüge über der Nordsee nordöstlich von Helgoland und nördlich von Norderney und Juist – in Windrichtung hinter den Windparks Godewind und Amrumbank West. 90 Meter über dem Wasser, etwa auf Höhe der Rotornaben der Windkraftanlagen, ermittelten die Forscher in größer werden Abständen Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit. Ein Laserscanner maß die Rauigkeit der Wasseroberfläche – und bestätigte die Satellitendaten. „Noch bis zu 65 Kilometer hinter den Windparks war das Meer glatter, die Windgeschwindigkeit geringer. Die Effekte waren zum Teil sogar im Flugzeug zu spüren“, sagt Lampert. Denn an den Rändern dieser als Nachlauf bezeichneten Zone herrschten durch die hier stattfindende Vermischung mit der „normalen“ Atmosphäre hohe Turbulenzen. Im Inneren der Zone wiederum sei es besonders ruhig gewesen. Die Ergebnisse ihrer Messungen veröffentlichten die TU-Forscher Anfang 2018 im Fachmagazin „Nature Scientific Reports“.

„Energie bleibt immer erhalten, und die Energie, die Windräder als Strom erzeugen, nehmen sie aus der Luft“, erklärt Professor Emeis. Entsprechend sinke die Windgeschwindigkeit hinter den Anlagen. Wie weit sich diese Nachläufe erstrecken, hänge von der Wetterlage ab: „Besonders lang sind sie bei einer stabilen Schichtung von kalter Luft direkt über dem Meer zu wärmerer Luft weiter oben.“ Anders sei es, wenn warme Luft von unten aufsteigt. „Dann brodelt es wie in einem Kochtopf, die Luftschichten vermischen sich viel stärker, und der Effekt der Windparks ist schon bald wieder verschwunden“, so Emeis.

Schmetterlingseffekt? Nicht bei Windkraftanlagen

Als Beispiel für einen Schmetterlingseffekt seien die Windkraftanlagen wohl nicht geeignet. „Auf der Detailebene sind kleine Effekte nicht beherrschbar, das große Bild aber stimmt“, ist Emeis überzeugt. Da alle drei im Projekt verwendeten Methoden – Satellitendaten, Messungen vor Ort und Modellrechnungen am Computer – zu denselben Ergebnissen gekommen seien, ist Emeis überzeugt, dass die erstellten Modelle zuverlässig sind. Das Chaos bleibt somit in überschaubaren Grenzen. „Sollte es Auswirkungen auf das Klima geben, dann sind diese gut zu ermitteln“, sagt Emeis.

Noch sind solche Auswirkungen nicht abschließend bestimmt. Satellitenmessungen hätten gezeigt, dass in den USA hinter Windparks an Land die Bodenoberfläche nachts etwas weniger stark abkühlt als in der Umgebung. Szenarien für die klimatischen Auswirkungen von Offshore-Windparks sollen bis Auslaufen des WIPAFF-Projekts Ende 2018 ausgearbeitet sein. Denkbar sei ein gewisser Einfluss auf die Windgeschwindigkeit auch an der Küste und möglicherweise auf die Wolkenbildung. Doch das sei noch nicht spruchreif. „Der Einfluss auf das Klima dürfte aber klein sein“, sagt Emeis.

Anders ist es wahrscheinliche bei einem anderen Faktor, dervor allem wirtschaftlich relevantist. Allein in Deutschland gingen 2015 mehr als 500 Offshore-Windenergieanlagen ans Netz. „Schon jetzt zeigt sich, dass sich die Windparks zum Teil gegenseitig den Wind klauen“, sagt Astrid Lampert. Das erklärt, warum WIPAFF vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Die Forscher wollen auf Grundlage ihrer Daten Modelle für den Einfluss von Windparks auf die Luftströmung entwerfen. „Wir hoffen, dass sich das auf die künftige Planung der Anlagen auswirkt und sich eventuell in Leitlinien für den Bau widerspiegelt“, sagt Lampert. Denkbar sei etwa eine Anpassung der Windparkgeometrie oder sogar die gezielte Erzeugung von Turbulenzen, die zu einer schnelleren Vermischung der Luftschichten und damit zu kürzeren Nachläufen führen.

Der Meteorologe Emeis wiederum kann sich darüber hinaus einen Einfluss auf sein Fachgebiet vorstellen: „Künftig sollten die Effekte von Windparks in Wettervorhersage-Modelle mit eingerechnet werden.“