Braunschweig. Der Regionalverband muss die Pläne von elf der 49 Windfarmen ändern. Dazu muss er erneut Bürger beteiligen. Das wird dauern.

Wer im Nahbereich solcher Anlagen lebt, könnte dem Lärm nach auch an einer ICE-Strecke oder einem Walzwerk leben. Wie nah darf eine solche Anlage am Ortsrand stehen, und wie hoch dürfen die Windräder sein?

Das fragt unsere Leserin Annette Behrens

Die Antwort recherchierten Andre Dolle und Tobias Feuerhahn

Mal waren es Schwarzstörche, mal fehlender Abstand zu Siedlungen, mal der fehlende Abstand zu einem Segelflugplatz: Der Regionalverband Großraum Braunschweig muss seine Pläne für die 49 Windparks in unserer Region erneut ändern. Und er muss Bürger zum dritten Mal beteiligen. Das schmerzt besonders, weil noch nicht absehbar ist, was das zeitlich bedeutet.

Seit 2011 plant der Regionalverband bereits. Noch in diesem Frühjahr sah sich der Verband am Ziel. Doch das Amt für regionale Landesentwicklung hatte als Prüfbehörde ernste Bedenken. Und forderte nun die Änderungen für elf Windparks.

„Es gab intensiven Austausch“, sagte ein Mitarbeiter des Landesamtes. Das ist wahrscheinlich eine Untertreibung. Hinter den Kulissen hat es ordentlich geknirscht. Dem Landesamt kam es darauf an, dass die 7000 Seiten umfassenden Pläne rechtssicher sind und eventuellen Klagen vor Gericht standhalten – nach all den Jahren der Planung.

Mit Blick auf den Zeitplan lässt sich schon jetzt zumindest sagen: Noch im Juni wird es ein abschließendes Gespräch zwischen dem Regionalverband, dem Landesamt und dem Landwirtschaftsministerium geben. Im August soll die Verbandsversammlung – bestehend aus Landtagsabgeordneten, Bürgermeistern und Kreistagsmitgliedern aus der Region – die Änderungen für die elf Windparks beschließen. Ab Ende August sollen diese Pläne dann mehrere Wochen lang ausgelegt werden. Es handelt sich dabei aber nur um die Pläne zu den geänderten Gebieten. Der Verbandsvorsitzende Detlef Tanke sagte: „Damit kann das Verfahren jetzt zügig zu Ende gebracht werden.“ Und doch wagt der Verband keine Prognose. Er muss die Einwände anschließend abarbeiten. Bei den ersten beiden Bürgerbeteiligungen gab es bereits 20 000 Einwände von fast 4000 Bürgern. Alleine die zweite Bürgerbeteiligung dauerte fast zwei Jahre. Allerdings sind viele Knackpunkte bereits abgeräumt.

Das Thema Windparks wird in der Region emotional geführt. Es gibt Gewinner, die mit der Verpachtung von Land pro Windrad und Jahr leicht Zehntausende von Euro kassieren. Und es gibt die Anwohner, die Verlierer, deren Immobilienpreise in den Keller gehen. Wer will schon Windradriesen von 200 Metern Höhe in seiner Nähe haben?

Es gibt viele Anwohner, die sich ungerecht behandelt fühlen. Felicitas Naundorf von der Bürgerinitiative Windkraftgegner Elm etwa bezeichnet das ganze Verfahren des Regionalverbands als undurchsichtig. Naundorf kritisiert: „Warum spielt der Schutz des Vogels Rotmilan woanders eine Rolle, bei uns aber nicht?“

Wie an einer Zugstrecke – diesen Vergleich bemüht unsere Leserin zur Beschreibung des Lebensgefühls an einem Windpark. Lärm ist neben dem Ausblick auf die Windriesen ein häufiges Argument von Gegnern. Das Land Niedersachsen empfiehlt, dass Windräder mindestens 400 Meter von Wohngebieten entfernt entstehen sollen.

Der Regionalverband kommt den Anwohnern entgegen: 1000 Meter soll der Mindestabstand zu Siedlungen betragen. Bei einzelnen Häusern sind es 500 Meter. Das gilt jedoch nur für die neuen Windparks und für Erweiterungen. Bei alten Windparks darf der Abstand zu Einzelhäusern auch 400 Meter betragen. Darauf einigten sich der Verband und das Amt für regionale Landesentwicklung. Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte dem bei eventuellen Klagen folgen werden.

Doch reichen die Abstände, um Lärmbelästigungen auszuschließen? Und wie viel Krach ist zumutbar? Das ist klar geregelt – in der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Die bundesweit gültige Vorschrift legt fest, dass Menschen in reinen Wohngebieten tagsüber eine Dauerbeschallung von 50 Dezibel zugemutet werden darf. Das ist vergleichbar mit der Geräuschkulisse in einem Büro. Nachts ist der Geräuschpegel geringer zu halten. Dann liegt der Grenzwert bei 35 Dezibel. „Das entspricht etwa einem ruhigen Raum“, sagt Jakob Bergner. Er ist Teil eines Forschungsteams an der Leibniz Universität Hannover, das sich mit der Vorhersage und Beurteilung der Schallemissionen von Windenergieanlagen befasst.

Mit welcher Kraft die Geräusche der riesigen Rotorblätter im heimischen Garten ankommen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig – etwa von der Rotationsgeschwindigkeit, oder, ob der Schall vom Wind getragen wird. „Wenn der Wind genau von der Anlage zum Haus weht, ist die Schallbelastung natürlich höher“, sagt Bergner. Eine pauschale Aussage über die Lautstärke einer Windkraftanlage ist demnach gar nicht möglich.

Allerdings variiert auch die Wahrnehmung von Mensch zu Mensch. Was also empfinde ich überhaupt als Lärm? Auf einem Konzert etwa knallt die Musik mit hoher Kraft aus den Lautsprechern. Unangenehm ist den Besuchern das aber nicht. Sobald der Körper Schlaf sucht, verschiebt sich die Toleranzgrenze. „Grundsätzlich gibt es Ergebnisse im Allgemeinen, dass eine dauerhafte Lärmbeeinflussung – wenn man etwa über einen langen Zeitraum an einer Autobahn lebt – zu gesundheitlichen Schäden führt“, sagt Bergner. Je nach Individuum kann sich das Krankheitsbild ganz verschieden äußern: von Schlafstörungen über Migräne bis hin zu Bluthochdruck etwa. Bergner: „Die pauschale Aussage, dass Windkraft krank macht, würde ich aber nicht unterschreiben. Man ist im normalen Leben größerem Lärm ausgesetzt, als die Anlagen verursachen.“

Nun müssen Schallwellen aber nicht zwangsläufig hörbar sein. Eine Wirkung auf den Körper üben sie trotzdem aus. „Die Folgen sind ja noch gar nicht absehbar – insbesondere, was das Thema Infraschallwellen angeht. Mir ist es wichtig, dass geklärt wird, ob es tatsächlich gesundheitliche Auswirkungen gibt“, sagt Christian Hecker von der Bürgerinitiative „Windpark-Ade“ im Kreis Wolfenbüttel. Infraschall hat eine sehr niedrige Frequenz. „Die tonale Wahrnehmung verschwindet daher bei den meisten Menschen, wenn die Wellen nicht mit sehr hoher Lautstärke produziert werden“, erklärt ein Forscher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Nach den Ergebnissen eines Forschungsteams der Universitätsmedizin Mainz verringere der Einfluss von Infraschall die Kraft des Herzmuskels. Eine Gedächtnisstudie der PTB unter Einfluss von Infraschall konnte keine Beeinträchtigung nachweisen – zumindest keine kognitiven.

Der Ausbau der Windkraft ist so oder so beschlossene Sache. Zwischen Harz und Heide ist sie das Kernelement, um bis 2050 zwei Ziele zu erreichen: 95 Prozent weniger Treibhausgase und 50 Prozent weniger Energieverbrauch.

Die Windkraft-Fläche in der Region soll von derzeit 3100 Hektar auf 6840 Hektar mehr als verdoppelt werden. Das sind 13 000 Fußballfelder. Die dann 49 Windparks sollen 1,4 Gigawatt Nennleistung liefern. Schon jetzt ist klar: Das wird nicht ausreichen, um die Klimaziele des Regionalverbands zu erreichen. Weitere Windparks werden in den nächsten Jahren entstehen müssen. Der Widerstand wird wachsen.

Die Pläne für diese elf Windparks in der Region wurden geändert

Die Pläne für elf der 49 Windparks zwischen Harz und Heide musste der Regionalverband Großraum Braunschweig ändern. Das sind die elf Windparks:

Landkreis Gifhorn, Brome, Zicherie: Die Erweiterungsfläche des Windparks entfällt, weil ein Seeadler hier nun seinen Horst gebaut hat. 113,1 Hektar entfallen.

Landkreis Gifhorn, Meinersen, Seershausen: Der Flugkorridor des Modellflugplatzes muss beachtet werden, 0,7 Hektar entfallen.

Kreis Gifhorn, Wesendorf, Wahrenholz: Der Verband verkleinert die Fläche um 9,6 Hektar, weil er die Siedlungsabstände und den Abstand zu einem einzelnen Haus nicht eingehalten hatte.

Kreis Gifhorn, Wesendorf, Zahrenholz: Hier plant der Verband 2,3 Hektar mehr, da er 1000 Meter Siedlungsabstand eingerechnet hatte. Da es sich aber östlich von Grebshorn um einzelne Häuser handelt, reichen 500 Meter Abstand aus.

Kreis Gifhorn, Wittingen, Stöcken: Der Regionalverband schlägt 0,7 Hektar drauf, weil er hier einen rechtwinkligen Versatz im Bestandsgebiet bereinigt.

Kreis Helmstedt, Velpke, Papenrode: Hier streicht der Verband 18,9 Hektar, weil sich in der Erweiterungsfläche des schon bestehenden Windparks Schwarzstörche angesiedelt haben.

Kreis Helmstedt, Velpke, Volkmarsdorf: Damit Funkanlagen des Bundesamtes für Flugsicherung und der Deutschen Flugsicherung nicht durch die Windräder gestört werden, entfällt der gesamte geplante Windpark. Er hätte 46,4 Hektar groß sein sollen.

Landkreis Peine, Edemissen, Oelerse: Eine Fläche von 33 Hektar entfällt, weil die Gemeinde den Flächennutzungsplan inzwischen geändert hat. Es geht um den Abbau von Rohstoffen. Das ist mit dem Verband abgestimmt.

Kreis Peine, Hohenhameln, Bierbergen: Der Verband streicht 0,8 Hektar, damit der Windpark nicht zu nahe an den Windpark Groß Bülten heranreicht.

Salzgitter-Lesse: Der Verband verkleinert die geplante Fläche um 10,7 Hektar, weil er die Platzrunde des Segelflugplatzes in Salzgitter-Lebenstedt nicht richtig einkalkuliert hatte.

Wolfsburg-Brackstedt: Hier wurden mehrere Horste des Vogels Rotmilan nachgemeldet. Der Verband muss sämtliche Erweiterungsflächen streichen. Es dreht sich um 49 Hektar.