Braunschweig. Auf dem Burgplatz in Braunschweig stemmen sich Gewerkschaften und Belegschaften den vielen Krisen entgegen.

„Hinter dem Burnout liegt das Paradies“ – dieser Stimmungshit, interpretiert von Sascha Münnich, ist zwar kein klassisches Arbeiterlied, bringt aber die Befindlichkeit an diesem 1. Mai 2023 hier auf dem Burgplatz in Braunschweig durchaus auf den Punkt.

Zum Mitwippen im Takt. Tag der Arbeit! Und ja, es ist eine, die für viele immer zerklüfteter wird, auf immer weniger Schultern lastet – und dein Lohn zerbröselt dir in der Inflation. Das ist die Stimmung, und da mus man was tun. Heraus zum 1. Mai.

Am Montag hat das funktioniert, Hunderte auf dem Burgplatz, anschließend per Maidemonstration zum traditionellen Internationalen Fest im Bürgerpark.

Professorin: Solidarität – das sind nicht nur schöne Reden

„Hinter dem Burnout liegt das Paradies. Es ist schöner als Paris ...“ Rein mikro- und makroökonomisch ist das alles etwas komplizierter, aber dafür spricht jetzt ja eine Professorin für die Soziologie von Arbeit, Unternehmen und Wirtschaft.

Das ist Professorin Nicole Mayer-Ahuja von der Uni Göttingen, sie ist bei ihrer Mairede freilich weniger wissenschaftlich, dafür mehr kämpferisch unterwegs. „Hoch die Solidarität!“, ruft sie gleich zu Beginn und fragt: „Wann, wenn nicht am 1. Mai, sollten wir an diese alte Forderung der Arbeiter- und Arbeiterinnen-Bewegung erinnern?“

Tatsächlich ist es das Motto dieses 1. Mai: „Ungebrochen solidarisch“.

Mayer-Ahuja erläutert, was Solidarität bedeutet: Es sind nicht nur schöne Reden von oben herab, die Ausrufung von Pflegekräften in der Pandemie beispielsweise zu Heldinnen und Helden, sondern konkrete Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen für hart arbeitende Menschen, ja, wie sie auch schon mal durch solidarische Aktionen der Gewerkschaften und Gegenmacht erkämpft werden müssen.

Das kommt an auf dem Burgplatz, wo sich die Gruppen der verschiedenen Gewerkschaften und Betriebe versammelt haben.

Immer wieder Thema: die Bedingungen im Gesundheitssystem.
Immer wieder Thema: die Bedingungen im Gesundheitssystem. © Henning Noske

Gesundheit ist keine Ware und Patienten sind keine Kunden“, heißt es auf einem Plakat, „Gleiches Streikrecht für alle“ steht auf einem anderen – und Forderungen in laufenden Tarifkämpfen werden untermauert.

Ein Welt im Krisenmodus – Gewerkschaften wollen auch politisch dagegenhalten

Eine Welt im permanenten Krisenmodus, auch in Braunschweig: Kaufkraftverlust, Energiekostenexplosion, Kriegsangst, Klimaturbulenzen – und eine Wirtschaft, die spart, oft auch sparen muss, wo sie nur kann.

Gewerkschaften halten dagegen, nicht nur solidarisch und kollegial, auch politisch. So zuletzt Daniela Cavallo vom VW-Konzernbetriebsrat im Altstadtrathaus, so jetzt auch die Professorin: „Solidarität, das ist nicht allgemeine Menschenfreundlichkeit“, erklärt sie. „Es geht um Konflikt, es geht um Interessen, es geht um Macht.“

Menschenwürdige Arbeit, so Nicole Mayer-Ahuja in ihrer Mairede, „ist uns nie geschenkt worden von denen da oben. Sie musste und sie muss weiter erkämpft werden.“

Das ist bekanntlich die Tonlage am 1. Mai. Da wird auch Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum echt kämpferisch solidarisch. Sofort erinnert er in seiner Ansprache an den Kampf der hiesigen Karstadt-Belegschaft gegen die Schließung ihres Hauses in der Braunschweiger Innenstadt.

Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum am 1. Mai auf dem Burgplatz.
Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum am 1. Mai auf dem Burgplatz. © Henning Noske

„Ungebrochen solidarisch – das passt heute. Ohne diesen Einsatz und die große Unterstützung wäre es nicht gelungen, dass Karstadt hier erhalten bleibt, dass 185 Menschen weiter hier Arbeit haben, dass dieser tolle Magnet in unserer Innenstadt erhalten bleibt“, so Kornblum.

Unterdessen versammelt sich ein Trupp Rechtsradikale von der Partei „Die Rechte“ auf dem Schlossplatz, ausgerechnet am 1. Mai.

Oberbürgermeister: Stehen für Solidarität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Das löst Empörung auf dem Burgplatz aus. Kornblum fasst es in Worte: „Eine Provokation, die nicht hinzunehmen ist. Das ist nicht Braunschweig! Denn Braunschweig steht für Vielfalt und nicht für Ausgrenzung. Es steht für Toleranz und nicht für Ressentiments. Wir stehen für Solidarität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, so Kornblum. „Eintracht gibt es nur in Vielfalt!“

Ein Motto, das später beim traditionellen Internationalen Fest im Bürgerpark bekräftigt und vertieft wird.

Erstmal kommt jetzt aber noch ein richtiges Traditionslied der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit ...“ singen sie jetzt um Abschluss auf dem Burgplatz.

Übersetzt in die heutige Zeit könnte man vielleicht singen: Hinterm Burnout, liebe Brüder und auch ihr Schwestern, leuchtet die Zukunft hervor.

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